Wie Migranten über Russland nach Finnland gelangen
23. November 2023Finnland schließt alle Grenzübergänge zu Russland - bis auf eine Ausnahme im Nordosten des Landes. Damit bleibt die Grenze zwischen den beiden Ländern fast vollständig geschlossen.
Bereits in der Nacht zum 18. November waren vier Grenzübergänge an der russisch-finnischen Grenze geschlossen worden. In der Nacht auf 24. November sollen drei weitere Übergänge für einen Monat unpassierbar werden (siehe Karte).
"Rache des Kremls"
Helsinki begründet die Entscheidung mit der Zunahme illegaler Grenzübertritte. Der finnische Präsident Sauli Niinistö glaubt, dass der "Zustrom von Migranten die Rache des Kremls" für den Beitritt Finnlands zur NATO sei. Aus Moskau heißt es, die Grenzübergänge würden nur von Personen genutzt, die dazu berechtigt seien.
Seit August dieses Jahres haben 684 Bürger aus dem Jemen, Irak und Somalia sowie anderen Ländern Afrikas und des Nahen Ostens in Finnland Asyl beantragt. Das teilte der finnische Grenzschutz auf Anfrage der DW mit. Alle Migranten seien über russische Grenzübergänge auf finnisches Hoheitsgebiet gelangt, ohne eine EU-Einreiseerlaubnis zu haben.
Reise-Tipps in Messenger-Gruppen
Über eine Einreise von Russland nach Finnland ohne gültige Papiere kursieren im Internet viele Informationen. So führte eine DW-Recherche im Nachrichtendienst Telegram zu mehreren Gruppen auf Arabisch, in denen diesbezügliche Erfahrungen ausgetauscht wurden.
Beispielsweise wird in der Gruppe "Informationen Russland-Finnland" (auf Arabisch: معلومات روسيا فنلندا) gegen Bezahlung Hilfe beim Beantragen eines Visums für Russland und anschließend beim Überqueren der russisch-finnischen Grenze angeboten, sogar von den Administratoren der Gruppe.
Wie aus dem Chatverlauf hervorgeht, wurde die Gruppe im Mai 2022 vom User "Rus GT" erstellt. Sein Profil ist inzwischen gelöscht. Wer sich hinter dem Account verbarg, ist nicht bekannt.
"Hilfe" beim Grenzübertritt
Mehrere User, deren Profile ebenfalls inzwischen gelöscht sind, versicherten im Chat, sie könnten bei der Beantragung eines russischen Studienvisums und anschließend beim Überqueren der Grenze entweder nach Estland oder Finnland behilflich sein. Für die Beschaffung eines dreimonatigen Studienvisums zur formalen Teilnahme an kurzen Sprachkursen in Russland sowie für den Transport bis zur EU-Grenze wurden 1300 US-Dollar verlangt.
Für 2500 US-Dollar wurde ein Visum versprochen, das um ein Jahr verlängert werden kann. Darüber hinaus wurde eine "studentische Unterkunft" und eine Krankenversicherung garantiert, "damit es an der Grenze keine Probleme gibt".
Ferner sollte bis zur Grenze eine russischsprachige Begleitung gestellt werden, "die sich in der Gegend besser als ein GPS auskennt". Zudem wurden Hinweise gegeben, wie man "aufgrund politischer Ansichten, Überzeugungen oder Bedrohungen im Heimatland" am besten in der Europäischen Union Asyl beantragt.
Was versprechen die "Vermittler"?
Im Oktober und November 2023 gab es die meisten Nachrichten im Chat. So schrieb ein User mit einer in Belarus registrierten Telefonnummer und dem Nicknamen "Abo Abdo", er könne Menschen helfen, die nach Finnland wollten.
Sie würden erst von "bestimmten Russen" nach Wyborg gebracht, von wo sie sich dann selbst auf den Weg nach Finnland machen müssten. Für den Grenzübertritt benötige man jedoch ein Fahrrad, so "Abo Abdo".
Die meisten Grenzübergänge zwischen Russland und Finnland können tatsächlich nur mit einem Verkehrsmittel und nicht zu Fuß passiert werden. Dazu zählen auch Fahrräder und Roller.
Ein Russe, der den Kontrollpunkt Värtsilä-Niirala überquert hat, erklärte gegenüber der DW, er habe einen Kleinbus mit russischen Nummernschildern voller Fahrräder beobachtet. Der Busfahrer habe kurz vor der Grenze die Zweiräder an rund 30 Personen verteilt.
Ein weiterer Mann berichtet, die Menschen hätten zunächst schnell die Fahrräder in Empfang genommen. "Dann folgten sie einem russischen Grenzbeamten bis zur Kontrolle", so der Augenzeuge.
Ein anderer User der Gruppe mit dem Nicknamen "N" berichtete, die russische Polizei würde keine Migranten festnehmen, die zusammen mit einem "Vermittler" auftauchten.
Ein weiterer User mit dem Nicknamen "Torab" betonte, die "Vermittler" hätten eine Art Abmachung mit den russischen Grenzbeamten. Sie würden die Pässe der Migranten abstempeln und diese auf die finnische Seite schicken.
Dort könnten die Menschen dann einen Asylantrag stellen. Beide User haben auf Rückfragen der DW nicht reagiert.
Seit der Ankündigung der finnischen Behörden, die Kontrollpunkte zu schließen, wird in einer anderen Telegram-Gruppe mit der Bezeichnung "Moscow_Finland" darüber diskutiert, ob es möglich sei, die russisch-finnische Grenze hoch im Norden in der Region Murmansk oder in Karelien zu überqueren.
Die Zahl der User dieser Gruppe stieg in kurzer Zeit von 30 auf 170 Teilnehmer. Angesichts der neuen Lage verlangen viele von den "Vermittlern" eine Garantie für den Grenzübertritt in die EU.
"Wenn ich an der Grenze ankomme, kann es dann passieren, dass ich festgenommen und abgeschoben werde?", will einer der User wissen.
Die Antwort klingt beruhigend: "Innerhalb von zwei Tagen haben mehr als 100 Menschen die Grenze passiert und niemand wurde abgeschoben", versicherte der Administrator der Gruppe "Moscow_Finland".
Russland weist Finnlands Vorwürfe zurück
Unterdessen betonte die finnische Außenministerin Elina Valtonen in einem Interview mit der DW, dass Russland die gemeinsame Grenze nicht mehr gemäß der bilateralen Vereinbarungen bewache.
Dies gefährde die nationale Sicherheit und öffentliche Ordnung in Finnland. Laut Valtonen "scheint Russland illegale Grenzübertritte zu fördern".
Dmitrij Peskow, Sprecher des russischen Präsidenten, wies seinerseits darauf hin, dass Grenzübergänge "von denen genutzt werden, die das gesetzliche Recht dazu haben, und dass die russischen Grenzbeamten in dieser Hinsicht alle offiziellen Anweisungen vollständig befolgen".
Das russische Außenministerium erklärte, es halte die Idee der finnischen Behörden, alle Kontrollpunkte an der Grenze zu schließen, für "destruktiv".
Vorerst sind die vier Kontrollpunkte an der russisch-finnischen Grenze, die in der Nähe der Metropole St. Petersburg liegen, nur bis zum 18. Februar 2024 geschlossen. Vom finnischen Innenministerium heißt es, dass diese Entscheidung noch korrigiert oder ganz aufgehoben werden könnte, sollte sie nicht mehr nötig sein.
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk