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Wie hat dieser Tag Ihr Leben und Ihr Denken verändert? (3. Teil)

15. September 2011

Sie, liebe DW-User, haben uns auch weiterhin Ihre Gedanken, Erlebnisse und Eindrücke geschrieben. Vielen Dank dafür! Hier eine neue Auswahl:

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Die Einsendungen der DW-User
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Wie ein junger Chinese in Deutschland den Tag erlebte

Damals habe ich noch in Deutschland studiert. Am 11. September 2001 hatte das neue Semester noch nicht angefangen. An diesem Tag arbeitete ich in einer Eisfabrik in Osnabrück. Viele meiner Kollegen kamen aus der Türkei. Am Nachmittag hat der Abteilungsleiter uns plötzlich aufgefordert, mit der Arbeit aufzuhören und die Werkstatt zu verlassen. Im Flur hing immer eine Beamer-Leinwand, aber sie wurde nie benutzt. Es schien, als ob eine Sendung über Krieg in diesem Moment lief. Viele Menschen stürzten sich aus einem brennenden Turm des World Trade Centers in New York City und es sah ziemlich chaotisch aus. Wenige Minuten später flog das zweite Flugzeug in den zweiten Turm des WTC. Es war sehr spannend. Zu diesem Zeitpunkt ging ich noch davon aus, dass es sich um einen Film handeln würde. Als ich die englische Erklärung hörte, war mir klar, dass die USA von Unbekannten mit entführten Flugzeugen angegriffen wurden. Zurück an die Arbeit mussten wir an diesem Tag nicht mehr. Zusammen haben wir die Live-Berichterstattung geschaut. Zunächst schwiegen wir und dann sagten alle, wer weiß, wie viele Menschen gestorben sind. Einfach grausam!

Am nächsten Tag flüsterten mir einige türkische Kollegen aufgeregt ins Ohr: “Schau, Amerika ist auch mal gescheitert. Wir Islamisten sind einfach stark!" Bis heute bleibt es für mich ein ungelöstes Rätsel: Warum wussten die türkischen Kollegen am zweiten Tag schon, dass die Attentäter Islamisten waren, obwohl es den Amerikanern selber noch unklar war.

Gedenken am Ground Zero am 10. Jahrestag der Anschläge (Foto: AP)
Gedenken am Ground Zero am 10. Jahrestag der AnschlägeBild: dapd

In den folgenden Tagen, egal ob in der Eisfabrik oder in der Küche des Studentenwohnheims, überall wurde über die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA geredet und diskutiert. Als wir an einem Abend erwähnten, dass im Zuge der Terroranschläge vom 11. September auch das Pentagon angegriffen wurde, spottete ein nigerianischer Student mit Freude: “Das Pentagon greift immer die anderen mit Waffen an. Wer hätte gedacht, dass es auch einmal angegriffen wird. Damit haben sie ihr Gesicht verloren." Ein Deutscher und ein Japaner wollten dies nicht hören und verließen deswegen die Küche.

Nach den 9/11 Anschlägen ist es für die ausländischen Studenten, vor allem Chinesen, deutlich schwierig geworden, neben dem Studium zu jobben. Im folgenden Jahr ist die Vergabe des Visums auch strenger geworden. (Liu Xiaofeng)

Aufgewachsen während des "Krieges gegen den Terror"

Ich freute mich über einen freien Tag und hatte vor, bis zum Mittag zu schlafen, als meine Mutter mich weckte und sagte, ich solle den Fernseher anschalten. Ich kam zu ihr ins Schlafzimmer. Wir saßen auf der Bettkante und sahen die Fernsehbilder von den Flugzeugen, die in die Türme gerast waren. Ich verstand nicht, was das alles zu bedeuten hatte. Im Fernsehen hieß es, Al Kaida sei dafür verantwortlich, ein Name, der mir gar nichts sagte. "Wie können sie wissen, dass es Al Kaida war?" – "Ich glaube, sie wissen von diesen Leuten schon seit einer ganzen Weile", antwortete meine Mutter, wobei sie mit "sie" die US-Regierung meinte. Am 11. September 2001 wusste ich nichts von Osama bin Laden und Al Kaida, Worte wie Dschihadist, Fundamentalisten und Extremisten wurden nicht wirklich debattiert. Ich bin jetzt 27 Jahre alt, und ich bin aufgewachsen während des Kriegs gegen den Terror. (Dana Reynolds)

Meine Frau und ich machten gerade Urlaub am entlegenen Lake Superior mit unserem acht Monate alten Sohn, als ich zum ersten Mal von den Flugzeugen hörte, die in die Twin Tower gerast waren. Es war merkwürdig, die Nachricht von der Zerstörung an einem Ort voll tiefer Gelassenheit zu hören. Seit dem 11.September habe ich viel über den Islam, aber auch über meine eigene christlich-orthodoxe Religion gelernt. Letztlich ist es für mich so: Das Leben ist ein Drahtseilakt über einem Abgrund. Dabei gibt es soviel Schönheit! (Stephen Wehr, Kanada)


Bericht des deutschen USA-Korrespondenten Thomas Spang

Der Journalist Thomas Spang (Foto: Ralf Rottmann)
Der Journalist Thomas SpangBild: Ralf Rottmann

Als ich am Morgen des 11. September in mein Büro kam, fand ich auf dem Faxgerät die Anfrage einer Partnerzeitung. "Lieber Herr Spang," schrieben die Kollegen aus der Kulturredaktion zu einem DPA-Foto, das die "Westside" von Manhattan zeigt. "Könnten Sie uns mal etwas über die neue Skyline von New York schreiben?" Die Anfrage via Fax war so ungewöhnlich wie die anfragende Redaktion, die zum ersten Mal etwas bei mir bestellte.

Nachdem wir gerade den "Sommer der Haie" hinter uns gebracht hatten, und die einzigen Sorgen der USA darin bestanden, wie der von Bill Clinton erwirtschafte Haushaltsüberschuss ausgegeben werden soll, versprach das Thema eine willkommene Abwechslung.

Ich hatte gerade damit begonnen, einen Artikel über die Ideen des Stararchitekten Frank Gehry zu lesen, da klingelte das Telefon. "Hast Du den Fernseher an?" fragt mich mein Freund und Kollege von der niederländischen Zeitung "De Volkskrant" mit aufgeregter Stimme. "Schalt mal ein, da ist ein Flugzeug in das World Trade Center geflogen", legt der alte Hase nach, ehe ich antworten kann. Die Stimme bebt. Ungewöhnlich für einen, der sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen lässt.

Mit einem Knopfdruck bin ich auf CNN und sehe mit eigenen Augen eine Wiederholung der ersten Aufnahmen vom 11. September. Für einen Moment bin ich sprachlos. "Meinst Du, das ist ein Unfall?" fragt mein Kollege. Ich konnte das nicht glauben. "Schau Dir mal den Himmel an", mutmaße ich über die geradezu idealen Flugbedingungen an diesem wolkenlosen Herbsttag. Wir vertagen uns auf später.

Meine Frau, die zu dieser Zeit auf dem Kapitolshügel arbeitete, hatte an diesem Dienstag ausnahmsweise frei. Sie eilte zu mir ins Büro, um zu sehen, was los ist. Atemlos starrten wir auf die Mattscheibe, über die Bilder des brennenden Nordturms flimmerten. Plötzlich tauchte eine zweite Maschine am strahlend blauen Himmel auf. Mit nacktem Entsetzen sahen wir, wie sie in den Südturm einschlug.

"Aufhören, aufhören", presse ich heraus, während meine Stimme weg bricht. Ich sitze am Schreibtisch und heule wie ein Schlosshund. Meine Frau, die auch Journalistin ist, kommt zu mir. Wir halten uns ganz fest. "Das ist ein Angriff", meint sie mit sicherem Instinkt. In diesem Moment ahnen wir, dass nichts so bleibt, wie es einmal war. Die dritte Maschine raste ins Pentagon, das nur ein paar Kilometer Luftlinie von unserem Haus entfernt liegt. Die Einschläge kommen bedrohlich nahe. Flug 93, den mutige Passagiere über einem Acker bei Shanksville zum Absturz brachten, hätte bei einem Gelingen des teuflischen Plans der Terroristen an einem anderen Tag meine Frau treffen können.

Das Telefon klingelt. Am anderen Ende sagt die aufgezeichnete Stimme der Schulleiterin der "Dufief Elementary", die Schule habe Vorsichtsmaßnahmen ergriffen. Was wird unser sechsjähriger Junge von all dem mitbekommen, sorgen wir uns. Meine Frau erkundigt sich im Kindergarten nach unserer Tochter, die gerade vier geworden ist.

Sonnenaufgang über Ground Zero am 11.09.2011(Foto: AP)
Sonnenaufgang über Ground Zero am 11.09.2011Bild: dapd

Kollegen, Freunde und Familie in Europa haben ihre liebe Mühe, telefonisch durchzukommen. Selbst die E-mail funktioniert nur noch sporadisch. Ein guter Teil des transatlantischen Datenverkehrs lief durch die Kabel, die in Downtown Manhattan unter der Erde lagen. Nach dem Einsturz der Zwillingstürme ging zeitweilig gar nichts mehr.

Meine Mutter kommt mit ihrem Anruf durch. Sie ist besorgt. Ein anderer Kollege meldet sich. "Kannst Du meine Zeitungen beliefern?" fragt er mit panischer Stimme. Er will mit seiner Frau in die Berge nach West-Virginia flüchten, weil er nun mit dem Schlimmsten rechnet. "Die zünden eine Atombombe".

Unser Sohn kommt gut gelaunt mit dem Schulbus nach Hause. Auch seine Schwester hat im Kindergarten nichts mitbekommen. Wir hatten beschlossen, nur dann etwas zu sagen, wenn die Kinder Fragen stellen. Die Ereignisse überforderten ja schon Erwachsene.

Die Anfrage aus der Kulturredaktion hatte sich erledigt. Bis heute versuche ich mir jedoch einen Reim auf diesen unheimlichen Zufall zu machen. Das Fax mit dem Absende-Datum "11. September 2001 12 Uhr 03 (MEZ) hebe ich wie eine kostbare Erinnerung im feuerfesten Tresor auf. Ein Dokument, das mir auch zehn Jahre später noch einen kalten Schauer den Rücken herunterlaufen lässt. (Thomas Spang, Washington)

Anmerkung der Redaktion: Das erste Flugzeug stürzte um 14:46 MEZ in den Nordturm – also 2 Stunden und 43 Minuten, nachdem Thomas Spang das Fax aus Deutschland erhielt mit der Bitte, über die New Yorker Skyline zu schreiben.

Die Welt heute: 10 Jahre danach

Damals begann die größte Katastrophe des 21. Jahrhunderts, ebenso wie die größte Jagd nach verdammungswürdigen Unmenschen, die mit größter Herzlosigkeit agierten. Dieser Tag ist nicht nur unvergesslich für die USA, sondern für die gesamte Welt. Es bleibt nur die Erinnerung an die Helden dieses Tages, die gezeigt haben, dass die Mehrheit der Menschen auf diesem Planeten mit Gott ist. (Carlos Santos)

Besucher am Denkmal für die Opfer des 11.09.2001 (Foto: AP)
Besucher am Denkmal für die Opfer des 11.09.2001Bild: dapd

Erstens: Die Anschläge am 11.September haben Veränderungen in Amerika und Westeuropa und im Rest der Welt hervorgerufen, nicht nur in der islamischen Welt.
Heute lädt die Regierung der USA Muslime ins Weiße Haus zum abendlichen Fastenbrechen im Ramadan und der US-Präsident schickt Grüße an die Muslime weltweit am Ende des Ramadan, was vorher nicht der Fall war. Viele Amerikaner versuchen jetzt, den Islam und die Muslime besser kennen zu lernen und viele lernen jetzt Arabisch. Das zeigt, wie der Islam an Bedeutung gewinnt, vor allem in der westlichen Welt.


Zweitens: Die Anschläge haben uns Muslime zum Umdenken gebracht, weil wir jetzt auf Leute achten, die unsere Religion in Verruf bringen. Leute zu töten im Namen Gottes durch Attentate, das ist nicht islamisch. Die Anschläge haben meinen Glauben gestärkt. Lange habe ich gedacht, niemand könnte Amerika so angreifen, aber genau das war passiert. Amerika war an diesem Tag ganz unten. (Sanusi Maiwada)

Zusammenstellung: Birgit Görtz

Redaktion: Daniel Scheschkewitz