Wie geht's weiter mit der Regierungsbildung?
30. September 2021Was sind Vorsondierungen?
Zunächst wollen sich die beschnuppern, die zusammen regieren wollen und deren politische Ziele am weitesten auseinander liegen: die liberale FDP und die Umweltpartei Bündnis 90/Die Grünen. Da waren sich die drittplatzierten Grünen (14,8 Prozent) und die viertplatzierte FDP (11,5 Prozent) noch am Wahlsonntag schnell einig. Gesagt, getan: Schon am Dienstagabend trafen sich die beiden Vorsitzenden der Grünen, Annalena Baerbock und Robert Habeck, mit FDP-Chef Christian Lindner und Volker Wissing, FDP-Generalsekretär, ganz ohne die Hauptstadt-Medien zu einem ersten Austausch.
Die beiden Parteien haben dem ganzen auch gleich ein Label verpasst: Vorsondierungen. FDP und Grüne sind so etwas wie die Königsmacher. Ohne sie kommt wohl keine neue Regierung zustande. In den beiden derzeit wahrscheinlichsten Konstellationen für eine neue Regierung - "Jamaika" mit den konservativen Unionsparteien CDU/CSU, Grünen und FDP - oder der "Ampel" mit den Sozialdemokraten von der SPD, Grünen und FDP - müssten die beiden kleineren Parteien zusammenarbeiten. Ein erneutes Bündnis der Union mit der SPD in einer großen Koalition gilt als unwahrscheinlich. Ein Jamaika-Bündnis war 2017 nach der letzten Bundestagswahl gescheitert.
"Wir hatten gestern ein gutes Gespräch", resümierte Grünen-Co-Chefin Annalena Baerbock nach dem ersten Beschnuppern. Die Liberalen waren offenbar ebenfalls zufrieden. Für zwei Parteien, die kulturell und inhaltlich oft weit auseinander liegen, weil die FDP stärker auf eine freie Entfaltung der Wirtschaft setzt und die Grünen mehr auf staatliche Vorgaben, ein positiver Start.
Gleich nach dem Gespräch wurde aber auch klar, dass die Grünen sich Wahlgewinner und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz (SPD-Wahlergebnis: 25,7 Prozent) als neuen Bundeskanzler wünschen. Die FDP favorisiert Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU/CSU-Wahlergebnis: 24,1 Prozent).
Wann kommen SPD und CDU/CSU ins Spiel?
Die Vorsondierungen zwischen Grünen und FDP sollen fortgesetzt werden und das schon am Freitag. Aus der FDP heißt es dazu, es sollten "erste inhaltliche Fragen vertieft werden". Katrin Göring-Eckardt, Co-Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, sagte dazu: "Wir werden über Inhalte sprechen - und zwar vertrauensvoll."
Erst danach wird mit SPD und Union verhandelt. Darin sind sich Grüne und FDP ebenso einig wie darüber, dass über den Inhalt der Gespräche nichts an die Öffentlichkeit dringt. Beim ersten Kontakt ist das gelungen, worauf beide Parteien stolz verweisen. "Die Verhandlungen laufen intern - nicht in aller Öffentlichkeit, keine Fotos und keine Fotos von Papieren. Man muss sich vertrauen", sagte Göring-Eckardt.
Zu oft hatte es bei Koalitionsgesprächen Ärger gegeben, weil Details über eigentlich vertrauliche Gespräche und Vertragsentwürfe "durchgestochen" - also an die Medien ausgeplaudert und veröffentlicht wurden.
Wann geht es los mit "richtigen" Sondierungen?
Die nächste Phase sind die sogenannten Sondierungen, die Gespräche mit den potenziellen Regierungsparteien SPD und Union. Die sind ab dem Wochenende geplant. Voraussichtlich am Sonntag werden Grüne und FDP getrennt und nacheinander mit der SPD-Spitze reden. Noch am Sonntagabend will die CDU/CSU-Spitze mit der FDP zusammenkommen, verlautete aus Unionskreisen.
Danach werden wohl auch die Grünen einen Termin bei der Union haben. Aber die Grüne Göring-Eckardt machte klar, dass sie die Union derzeit für "nicht sondierungsfähig" hält. Dennoch: Zunächst wollen alle vier Parteien jeweils mit allen anderen reden.
Diese Treffen werden dann aber viel weniger intim als die Vorsondierungen. Die FDP will mit sechs bis zehn Personen aus dem Parteipräsidium anrücken. Die Grünen wollen parteiintern bei einem sogenannten "kleinen Parteitag" am Samstag darüber abstimmen, wer in die Sondierungen geschickt werden soll. Es wird wohl ein nach Parteiflügeln fein austariertes Team von wahrscheinlich zehn Personen sein.
Das Ziel von Grünen und FDP ist klar: kein endloses Gezerre. "Alle Beteiligten wollen, dass es sich nicht ewig hinzieht", sagte die Grüne Göring-Eckardt.
Auch bei der Union will man nicht ewig verhandeln. Bis Oktober sollte klar sein, welche Parteien miteinander in Koalitionsverhandlungen eintreten, sagte Jens Spahn, stellvertretender CDU-Vorsitzender, dem Deutschlandfunk. Bis dahin müsse geklärt sein, "wohin die Reise geht".
Wann steht die Regierung?
Sind die Sondierungen beendet, beginnen die eigentlichen Koalitionsverhandlungen. Die potentiellen Regierungspartner müssen dann ein detailliertes Programm erarbeiten, das Klarheit darüber schafft, was sie wie in den kommenden vier Jahren erreichen wollen. Zeitlich festgelegte Vorgaben gibt es dafür nicht.
Oft gab es ein langes Gezerre um Details, die Machtverteilung und Ministerposten. Maßgeblich werden die Verhandlungen von der Person geführt, die Kanzler/in werden möchte. Steht ein Koalitionsvertrag, lassen die Parteien möglicherweise in Gremien darüber abstimmen oder befragen ihre Mitglieder. Auch das kostet Zeit.
Vor vier Jahren dauerte es fast ein halbes Jahr, bis eine Regierung aus Union und SPD zustande gekommen war. Die FDP war auf der Zielgeraden aus den sogenannten Jamaika-Verhandlungen (Union, Grüne, FDP) ausgestiegen.
Zwar beteuern alle Parteien unisono, dass es dieses Mal schnell gehen soll. Aber eine Garantie dafür gibt es natürlich nicht.
Garantiert hingegen ist, dass Deutschland bis dahin nicht führungslos ist. Kanzlerin Angela Merkel bleibt kommissarisch im Amt, bis eine neue Regierung gebildet ist.
Und vielleicht stellt sie - sollte alles doch länger dauern - so nebenbei einen politischen Rekord auf: Nach dem 17. Dezember 2021 wäre sie länger im Amt als Bundeskanzler Helmut Kohl. Der kam auf 5869 Regierungstage.