Serbien Ultranationalisten
15. Oktober 2010Es sei mehr als nur bloße Gewalt: Die Ursachen für die jüngsten schweren Ausschreitungen beim EM-Qualifikationsspiel zwischen Italien und Serbien in Genua am Dienstag (12.10.2010) seien nicht nur Taten von Hooligans, meinen Experten des in Brüssel ansässigen Think-Tanks "Centre for European Policy Studies" (CEPS).
Der Vandalismus dieser ultranationalistischen Anhänger des serbischen Teams deute auf eine starke Unzufriedenheit innerhalb dieser Bevölkerungsgruppe hin.
Lautstarke Randfiguren
Dieser Teil der Bevölkerung fühle sich ungerecht behandelt und finde, dass sich Serbien mit seiner europaorientierten Politik in eine Richtung entwickle, die nicht ihren Vorstellungen von der Zukunft Serbiens entspreche, meinen die CEPS-Experten. Auslöser für die Unzufriedenheit in der serbischen Gesellschaft seien die schwierige wirtschaftliche Lage im Lande, die hohe Arbeitslosenquote (rund 20 Prozent) und die einschneidenden Ereignisse in der Vergangenheit wie der Zerfall des ehemaligen Jugoslawien und die demokratische Wende vor zehn Jahren. Die Ultranationalisten machten ihrem Unmut in der Regel lautstark und medienwirksam Luft. Dies bedeutet dem CEPS zufolge aber nicht, dass sie viele Anhänger haben.
"Serbien war und ist ein traditionelles und orthodoxes Land, wo der Einfluss der Kirche und der Geschichte groß ist", erklärt Georg Dura, Analyst beim CEPS. "Serbien muss allerdings Frieden schließen mit der Vergangenheit, um in die Zukunft gehen zu können. Dies befürwortet auch die Mehrheit der Serben." Dura zufolge war bei den Zwischenfällen hingegen nur eine Minderheit vertreten. "Die Ultranationalisten verlieren im Augenblick den Boden unter den Füßen. Dies haben sie wahrgenommen und reagieren nun in dieser Form darauf", meint Dura. "Sie fühlen sich vermutlich auch von ihren Anführern verraten, beispielsweise wegen der moderateren Kosovo-Politik der vergangenen Monate."
Toleranz eine Zeitfrage
Die Regierung in Belgrad habe durch die Zusammenarbeit mit der EU in der Kosovo-Frage sowie durch die öffentliche Unterstützung der Veranstaltung "Pride Parade" gezeigt, dass sie den Weg in die EU mit Toleranz, Demokratie und europäischen Werten beschreiten will. Ebendies lehnten traditionell und nationalistisch eingestellte Teile der serbischen Gesellschaft kategorisch ab.
Dem CEPS zufolge ist die jüngste Geschichte Serbiens sehr besonders und ebenso ist die serbische Gesellschaft geteilt in rückwärts- und vorwärtsgewandte Vertreter. Daher sei es schwierig, direkte Parallelen mit anderen europäischen Ländern zu ziehen. Vergleichbar sei die Lage entfernt nur mit Polen und Rumänien. Dort habe es in den Jahren vor dem EU-Beitritt, aber auch in den ersten Jahren der Mitgliedschaft großen Widerstand gegen Schwulen-Veranstaltungen gegeben.
"Mit der Zeit ist dieser Widerstand verschwunden und die Bevölkerung ist offener und toleranter geworden", meint Dura. "Dies sind alles Lektionen, die auf dem Weg in die EU gelernt werden. Eine Gesellschaft muss offen werden, die Menschen müssen Meinungsfreiheit haben und sehen, dass es nicht nur eine Wahrheit und eine Art zu leben gibt." Gesellschaftlicher Wandel benötige Zeit - dies gelte ebenso für postkommunistische Gesellschaften.
Gegenmaßnahme EU-Integration
Randalierende Fußballfans seien jedoch auch in Westeuropa keine ungewöhnliche Erscheinung. Zumal gewalttätige Ausschreitungen den Ruf eines ganzen Landes schädigen können. Im Falle von Serbien ist dem CEPS zufolge die EU gefordert, "Weitblick" zu zeigen und den Ultranationalisten entgegenzuwirken, indem sie Serbien bei seiner europäischen Integration unterstützt. "Durch diese Ereignisse werden die guten Beziehungen zur EU nicht getrübt. Nur muss die EU Serbien umgehend den Kandidaten-Status geben, um die Unterstützung für den demokratischen Wandel im Land zu gewährleisten", sagt Dura.
Die Regierung in Serbien habe gezeigt, dass sie zu Kompromissen und zu unpopulären Maßnahmen bereit sei. "Nun muss die EU Serbien vollends politisch und wirtschaftlich unterstützen", fordert der CEPS-Analyst. Damit werde auch der serbischen Jugend, die im Augenblick mehrheitlich keine Zukunft im eigenen Land sehe, eine Perspektive geboten.
Autorinnen: Marina Maksimovic/ Mirjana Dikic
Redaktion: Nicole Scherschun