Wie erfolgreich ist die NATO in Afghanistan?
27. Juli 2016DW: Die Sicherheitslage in Afghanistan wird immer schlechter. Die Taliban und der so genannte Islamische Staat (IS) setzen den afghanischen Sicherheitskräften zu. Ist das ein Zeichen dafür, dass die Strategie der NATO nicht aufgegangen ist?
Generalleutnant Frank Leidenberger: Das kann man so überhaupt nicht sagen. Die Lage ist schwierig, aber mit Sicherheit nicht so schlecht, wie sie häufig kolportiert wird. Wir wissen alle, dass die afghanischen Sicherheitskräfte im vergangenen Jahr in Kundus eine sehr schlechte Leistung erbracht haben. Sie sind eher geflohen, als dass sie ihre Stellungen gehalten haben.
Aber wir haben seitdem wieder dazu gelernt. Unsere gesamte Mission besteht jetzt seit Anfang 2015 - nach dem Ende von ISAF [der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe] - darin, die Afghanen auszubilden, zu trainieren und zu beraten, damit ihnen so etwas nicht mehr passiert. Und wenn ich jetzt zurückblicke, dann kann ich eindeutig sagen, dass es einen positiven Trend gibt.
Woran machen Sie das fest?
Wir haben festgestellt, dass viele Probleme, die die Afghanen haben, insbesondere mit der Führung zusammenhängen. Und so haben wir jetzt einen sehr starken Schwerpunkt darauf gelegt, Kommandeure auszubilden. Wir haben auch mit unseren afghanischen Partnern dafür gesorgt, dass die weniger guten Führer ausgetauscht und durch Bessere ersetzt wurden. Wir haben darüber hinaus große Anstrengungen unternommen, die Fähigkeiten der afghanischen Streitkräfte zu verbessern. Zum Beispiel führen wir neue Hubschauer und Flugzeuge ein und sorgen dafür, dass sie sachgerecht, unter Vermeidung von zivilen Verlusten, eingesetzt werden.
Sind Sie damit zufrieden, dass die "Resolute Suppport"-Mission von der NATO beim Gipfel in Warschau verlängert wurde?
Warschau war für Afghanistan ein großartiges Signal. Wir sind zwar schon 15 Jahre in Afghanistan, aber das Land ist seit den 70er Jahren in einem Konflikt: der Einmarsch der Sowjetunion, die Gegenbewegung - die Herrschaft der Taliban, dann unsere Intervention, um zu verhindern, dass Afghanistan wieder eine Heimstadt von Terroristen wird. Wenn wir andere innere Konflikte zum Vergleich heranziehen, zum Beispiel Nordirland, dann sieht man, dort hat es 37 Jahre gedauert, bis es zum Friedensschluss kam. Wir sollten nicht immer so hohe Erwartungen haben, dass wir alles bis zum nächsten Jahr oder bis zum Ende der Legislaturperiode erreichen. Wir sprechen von einer Generationsaufgabe.
Aber wie erklären Sie sich, dass die Taliban wieder so erstarkt sind und Teile des Landes unter ihre Kontrolle bringen konnten?
Man muss vorsichtig sein, wer welches Territorium kontrolliert. Als wir 2014 die Lage beurteilt haben, haben wir angenommen, dass die Taliban schwächer sind, und dass unsere afghanischen Partner schon stärker sind. Wir haben uns ein bisschen täuschen lassen. Die Taliban haben sich in den bekannten Rückzugsorten außerhalb Afghanistans konsolidiert, und den Abzug der westlichen Kräfte genutzt, um zurückzukommen. Das hat die afghanischen Partner vielleicht überwältigt.
2015 war ein sehr schwieriges Jahr. Unzweifelhaft. Aber wir haben 2016 gesehen, dass große Fortschritte erreicht wurden. Die Taliban haben im Frühjahr wieder versucht, Kundus einzunehmen. Sie sind kläglich gescheitert. Sie haben viel höhere Verluste hinnehmen müssen, als sie selbst erwartet hatten. Wir wissen, dass sie in Nangarhar versucht haben, auch mit einer starken Präsenz des sogenannten Islamischen Staats Raum zu gewinnen. Sie haben dort alle Gebiete wieder verloren. Wir denken, dass die afghanischen Kräfte mittlerweile in der Lage sind, ihr Territorium zu halten und zu verteidigen.
DW: Sie haben den IS angesprochen. Wie groß ist die Gefahr, die von der Terrormiliz ausgeht?
Es ist unzweifelhaft, dass gerade im Osten Afghanistans eine signifikante 'IS'-Präsenz beobachtet wird. Die amerikanischen Streitkräfte bekämpfen den IS in ihrer eigenen Mission. Auch die afghanischen Streitkräfte und sogar die Taliban gehen gegen den IS vor. Nichtsdestotrotz sehen wir auch dort starkes Durchhaltevermögen. Dadurch, dass in der Grenznähe operiert wird, ist es natürlich immer eine Herausforderung. Wenn die IS-Kämpfer über die Grenze hin und hergehen, dann sind unsere Möglichkeiten eingeschränkt. Auch die Afghanen sind an die Landesgrenze gebunden.
DW: Vor zehn Jahren waren Sie zum ersten Mal in Afghanistan. Jetzt haben Sie ihre bereits dritte Mission beendet. Wie fällt ihr persönliches Fazit aus?
Es gibt immer gute und schlechte Tage. Wenn ich auf die letzten 13 Monate zurückschaue, dann kann ich schon sagen, dass ich zunächst sehr skeptisch war, auch wenn man die Sicherheitslage in Kabul sieht. Jetzt aber bin ich doch eher optimistisch. Ich glaube, mit den Entschlüssen in Warschau und den Ankündigungen der Amerikaner und der anderen Bündnispartner werden wir es schaffen.
Generalleutnant Frank Leidenberger übernahm im Juni 2015 die Position des Stabschefs im Hauptquartier der Mission "Resolute Support" und hat seine Mission in Afghanistan jetzt beendet.
Das Interview führte Alexandra von Nahmen.