Mit der Kunst nach Berlin
6. Dezember 2013Berlin gilt heutzutage als ein geradezu mythischer Ort für die Künste. Vergleichsweise günstige Mieten und eine lebendige Kulturszene mit sowohl etablierten Institutionen als auch Geheimtipps der Off-Szene ermöglichen es deutschen und internationalen Künstlern aller Sparten, sich hier für eine Weile oder auch für lange zu vergnügen. Doch hat diese Freiheit eine Vorgeschichte - und Vorkämpfer wie Peter Nestler, erster Leiter des Berliner Künstlerprogramms des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, kurz DAAD. Nestler ruft dazu im Gespräch mit der DW den 13. August 1961 in Erinnerung, symbolisch der "Tag des Mauerbaus": "Berlin war bis dahin das Schaufenster der Freiheit, der Dorn im Fleisch des Kommunismus, die deutsche Hauptstadt auf Urlaub. Und mit dem 13. August was das alles vorbei." In West-Berlin habe sich die Kulturszene vor allem vor der Isolation, vor der Bedeutungslosigkeit gefürchtet. Und als der junge Journalist Nestler dem damaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, ein Stipendienprogramm vorschlägt, das führende Schriftsteller, Komponisten und Bildende Künstler aus Ost und West in die Stadt locken soll, rennt er damit bei Brandt und der amerikanischen Ford Foundation offene Türen ein. So kamen vor 50 Jahren die ersten Stipendiaten des Berliner Künstlerprogramms in die Stadt - inzwischen sind es mehr als 1000, die dem Angebot folgten.
Künstlergrößen machen Station in Berlin
Die Teilnehmerliste liest sich wie ein "Who is Who" der Kulturwelt: Igor Strawinsky, Damien Hirst, John Cage, Liao Yiwu, Mario Vargas Llosa, Jim Jarmusch, Imre Kertész, Damien Hirst, Marina Abramović, Asghar Farhadi, Swetlana Alexijewitsch. Sie ließe sich in diesem Stile fortführen. Dabei war das Kriterium für die Auswahl nie nur der prominente Name, oft kam der Ruhm auch erst nach oder mit der Berliner Zeit, sondern, dass es Leute waren, "von denen Berlin profitieren kann und die von Berlin profitieren", betont Nestler. Trotzdem gibt es für die Gäste keinerlei Verpflichtungen: kein Abschlussprojekt, keine Pflicht-Teilnahme an einem Sprachkurs, an den Salons oder anderen Zusammenkünften. Doch die wenigsten verfallen hier in Untätigkeit - und das liegt an Berlin selbst.
Als der US-amerikanische Perkussionist und Sänger David Moss 1991, kurz nach dem Fall der Mauer, aus dem Flugzeug steigt, ist noch völlig unklar, wohin sich die wiedervereinte Stadt entwickeln wird. "Das war total aufregend für uns Künstler, und seltsam", erklärt Moss. "New York, Paris oder London, das waren fertige Städte. Berlin dagegen war veränderbar, auf der Suche nach seiner Form, das war irre." Moss blieb nicht nur 12 Monate in der Stadt sondern 22 Jahre und lebt hier noch heute. Aus einem Projekt habe sich einfach das nächste ergeben und in Berlin funktionierten seine Ideen einfach besser.
Die Großstadt kann auch entspannen
Dass Berlin auch eine beruhigende Wirkung haben kann, erlebt gerade die indische Künstlerin Sheela Gowda, die seit Juli in der Stadt ist. "Mein Körper ist viel entspannter und ich bin nicht so unter Strom wie in Indien. Es ist toll, in einer Stadt zu sein, die dich einerseits entspannt und andererseits all diese wunderbaren Dinge zu bieten hat." Auch wenn es ihr mit 54 Jahren nicht leicht gefallen sei, einfach für ein Jahr im Ausland zu leben und alles hinter sich zu lassen. Sie konnte zwar ihren Mann und ihren Sohn mitbringen, der kurz vor dem Schulabschluss steht - auch das ist möglich mit dem Berliner Künstlerprogramm. Allerdings ist ihr Sohn mittlerweile nach Indien zurückgekehrt, weil er sich in der Schule nicht wohlfühlte. Hätte seine Mutter gewusst, dass es soweit kommen würde, hätte sie das Jahr wohl sausen lassen - denn verschieben geht nicht. Aber jetzt haben sie sich auch so arrangiert.
Schade findet sie, dass sie das große Festival zum 50. Jubiläum des Berliner Künstlerprogramms verpasst: Es kollidiert mit einer Ausstellungseröffnung mit Sheela Gowdas Arbeiten in Mönchengladbach. Doch auch das ist typisch für das Stipendienprogramm: Die Gäste sind gefragte Künstler - vor, während und nach ihrer Zeit in Berlin. Und bleiben Berlin trotzdem auf ewig verbunden. Umso lebendiger kann jetzt das Jubiläum gefeiert werden. Den schrägen, lustigen und lauten Auftakt machte die irische Komponistin und Sängerin Jennifer Walshe mit einem Ausschnitt aus einer ihrer jüngsten Opern. Sie lebte 2004 in Berlin und begann hier zu meditieren. Das veränderte nicht nur sie, sondern auch ihre Art zu arbeiten. Jeder der Künstler tritt hier in seinen ganz eigenen Austausch mit der Stadt und gibt immer auch etwas zurück. So profitieren beide Seiten - und das seit mehr als 50 Jahren.