Ausländische Einflussnahme auf US-Wahl?
1. November 2020Die Nachricht verbreitete sich Mitte Oktober - weniger als einen Monat vor der US-Präsidentschaftswahl am 3. November: Wähler, die als Demokraten registriert sind, erhielten E-Mails, die so aussahen, als kämen sie von den weißen Nationalisten der Gruppe "Proud Boys". Die Empfänger der Botschaften wurden aufgefordert, für den Republikaner und Amtsinhaber Donald Trump zu stimmen.
Wenige Wochen zuvor hatte sich der US-Präsident im ersten TV-Rededuell gegen den demokratischen Bewerber Joe Biden geweigert, die "Proud Boys" zu verurteilen. An sie gewandt sagte Trump: "Haltet euch zurück und haltet euch bereit." Die E-Mails waren wahrscheinlich ein Versuch, das Wahlkampfteam von Trump schlecht aussehen zu lassen, indem es mit einer Gruppe in Verbindung gebracht wird, die versucht, Wähler einzuschüchtern.
In einer eilig einberufenen Pressekonferenz, kurz nachdem der Vorfall öffentlich wurde, sagten US-Geheimdienstkoordinator John Ratcliffe und FBI-Direktor Cristopher A. Wray, der Iran sei für die E-Mails verantwortlich. "Wir werden ausländische Einflussnahme auf unsere Wahlen und alle kriminellen Aktivitäten, die das öffentliche Vertrauen in das Wahlergebnis untergraben, nicht tolerieren", sagte Wray.
Wie 2016?
Die Sorgen, dass sich ausländische Mächte wie Iran, Russland oder China einmischen könnten, sind berechtigt: Im Vorfeld der Wahl 2016 hatten russische Hacker in sozialen Netzwerken Falschmeldungen über Fake-Benutzerkonten verbreitet und gestohlene E-Mails und Daten von der Kampagne der damaligen Bewerberin Hillary Clinton und der Demokratischen Partei veröffentlicht. Das Ziel war, Clinton zu schaden und Trumps Chancen zu erhöhen, die Wahl zu gewinnen.
Die Führung in Moskau würde einen erneuten Sieg von Trump bevorzugen, da sie ihn als freundschaftlicher Russland gegenüber wahrnimmt, sagt Bret Schafer von der Allianz zur Sicherung der Demokratie. Die von beiden großen Parteien getragene Initiative entwickelt Strategien, um Einmischungen in demokratische Institutionen zu verhindern. Das Regime in Teheran dagegen würde Biden als Präsidenten präferieren, in der Hoffnung, er werde die strengen Sanktionen lockern, die Trump dem Iran auferlegt hat.
Die gefälschten Proud-Boys-Mails, die von iranischen Hackern stammen sollen, zeigen, dass anscheinend ausländische Mächte erneut versuchen, sich in die Präsidentschaftswahl einzumischen. Das Büro des Geheimdienstkoordinators hat eine ganze Reihe Stellungnahmen zu dem Thema veröffentlicht.
"Wir stellen fest, dass unsere Gegner versuchen, der privaten Kommunikation von politischen Kampagnen, von Kandidaten und anderen politischen Zielen zu schaden", hieß es im Juli aus dem Büro von Geheimdienstkoordinator Ratcliffe. "Zudem nutzen andere Nationen weiterhin Maßnahmen in sozialen und traditionellen Medien, um die Präferenzen und Sichtweisen von US-Wählern zu beeinflussen, den politischen Kurs der USA zu verschieben, Zwietracht zu vergrößern und das Vertrauen in unseren demokratischen Prozess zu unterlaufen", heißt es weiter. Ausländische Einflussnahme auf Wahlen sei "eine Bedrohung für unsere Demokratie".
Falschmeldungen können nicht ungesehen gemacht werden
Menschen vor ihrer Stimmabgabe zu beeinflussen, sei genauso schlimm - wenn nicht gar schlimmer - wie Versuche, den eigentlichen Wahlvorgang zu manipulieren durch Herumpfuschen an elektronischen Wahlmaschinen oder am Auszählprozess. Diese Meinung vertritt Theresa Payton. Sie ist Generaldirektorin der Online-Sicherheitsfirma Fort Alice Solutions und war unter Präsident George W. Bush für den IT-Bereich im Weißen Haus zuständig.
"Wie viele der Millionen Wähler, die bereits abgestimmt haben, waren von Falschinformationen beeinflusst?", fragt Payton. Selbst wenn Falschmeldungen als solche entlarvt würden, wer sagt, dass die Korrektur potentielle Wähler erreicht? "Wie sagt man Leuten, dass sie etwas vergessen sollen?", so Payton im DW-Interview. Es könnte sein, dass sie sich nur an die erste Geschichte erinnern. Payton übernimmt den entsprechenden Begriff aus der Computersprache und bezeichnet dies als "'Hacken' unserer Herzen und unserer Köpfe".
Stecken staatliche Stellen dahinter?
Ihr Buch mit dem Titel "Manipuliert" über Einflussnahme auf Wahlen wurde im April veröffentlicht. Für sie ist die Frage nicht einfach zu beantworten, ob ausländische Hacker aus eigenem Antrieb versuchen, die US-Wahlen zu stören, oder auf Geheiß ihrer Regierungen. "Politische Führer können den Auftrag ausgeben, dann unabhängige Zellen für die Umsetzung schaffen und sich zurückziehen." Auf diese Weise könnten sie später eine Beteiligung glaubhafter abstreiten.
Viktoria Schurawlewa, Leiterin des Zentrums für Nordamerikastudien an der Universität für Geisteswissenschaften in Moskau, glaubt nicht, dass der Kreml sich vor vier Jahren in die US-Wahl eingemischt hat oder dass die russische Führung es bei dieser Wahl versuchen würde. Sie verweist auf die Theorie, dass 2016 unabhängige russische Hacker ohne Verbindung zur Regierung dahintergesteckt haben.
"Russland ist ein sehr praktisches Thema, das in den USA bei Auseinandersetzungen um innere Angelegenheiten häufig benutzt wird", so Schurawlewa im DW-Interview. "Die Geschichte der 'russischen Einflussnahme' wird von den Demokraten stark gebraucht." Es gebe Beweise, dass Russen involviert waren, aber nicht dafür, dass es Funktionsträger mit Verbindungen zur russischen Regierung waren, so die Politikwissenschaftlerin.
Dieses Narrativ ist in Russland weit verbreitet, sagt Dimitri Suslow von der Higher School of Economics, einer renommierten Universität für Wirtschaftswissenschaften in Moskau. Es wurde demnach auch 2018 angeführt, als die US-Justiz unter anderem gegen die "Agentur für Internetforschung" (IRA), eine russische Trollfabrik, Anklage erhob wegen des Versuches der Wahleinmischung. Der mutmaßliche Geldgeber der IRA ist Jewgeni Prigoschin, ein enger Verbündeter des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Die IRA hatte irreführende Geschichten auf Facebook und anderen sozialen Netzwerken veröffentlicht. "Die russische Regierung sagt, selbst wenn das geschehen sei, habe es nichts mit ihr zu tun gehabt", so Suslow im Gespräch mit der DW. "Sie sagen, diese Leute seien einzelne Patrioten, keine Abteilung des russischen Geheimdienstes. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Ich bin kein russischer Außendienstmitarbeiter."
Einflussnahme untergräbt Vertrauen in Demokratie
US-Experten sagen, die russische Regierung sei 2016 stark in die Wahlbeeinflussung involviert gewesen und stelle dieses Jahr wieder eine Gefahr dar. "Die Beiträge in sozialen Netzwerken und die Führungsriege bei der IRA habe eine klare Verbindung zum Kreml", sagt Bret Schafer von der Allianz zur Sicherung der Demokratie.
Auf die Frage, welche ausländische Macht für die Wahl das größte Risiko darstellt, sagt Schäfer: "Russland, ohne Frage." Doch er sagt auch, niemand profitiere davon, wenn ausländische Kräfte versuchen sich einzumischen.
Schafer ist zwar zuversichtlich, dass gezielte Kampagnen wie irreführende Beiträge in sozialen Netzwerken oder gefälschte E-Mails niemals wirklich viele Wähler umstimmen können. "Aber in den USA muss man nicht hunderttausende Wähler umstimmen", so der Experte für Desinformation. Ein paar tausend Stimmen in den "Swing States" würden genügen.
Damit verweist er auf das Wahlsystem. Für den Wahlausgang entscheidend ist es, in möglichst vielen der Bundesstaaten die Mehrheit für sich zu gewinnen, in denen im Vorhinein nicht klar ist, ob die Demokraten oder die Republikaner das Rennen machen werden.
Obwohl die Schwelle für einen Effekt der Beeinflussung also niedriger liegt, besteht für Schafer die wahre Gefahr der Manipulationsversuche in den Auswirkungen, die sie auf die Zeit nach der Wahl haben. "Die große Sorge ist, was sie mit unserem Vertrauen in die Ergebnisse machen können", so Schafer. Die Vereinigten Staaten und die Bürger seien von diesem Vertrauen abhängig, "um eine gewaltfreie Demokratie zu haben". Wenn die Menschen überzeugt werden könnten, dass die Ergebnisse möglicherweise nicht echt seien, "ist das keine Selbstverständlichkeit mehr".
Adaptiert aus dem Englischen von Uta Steinwehr