Berliner Schau ehrt jüdische Sportler
23. Juli 2015Deutschland wollte sie nicht mehr, jetzt stehen ihre Abbilder lebensgroß auf dem geschäftigen Platz vor dem Hauptbahnhof in Berlin: 17 jüdische Spitzensportler, die Rekorde gebrochen, Olympiamedaillen gewonnen und zu Idolen der Bevölkerung geworden sind. Die Exponate gehören zu der Ausstellung "Zwischen Erfolg und Verfolgung - Jüdische Stars im deutschen Sport bis 1933 und danach", die an die Leistungen und Schicksale der Athleten erinnern soll. "Es ist so wenig bekannt über die Ausgrenzung von Juden im Sport und deswegen ist das ganz wichtig, dass diese Ausstellung an diesem zentralen Ort zu sehen ist", betont Kulturstaatssekretärin Monika Grütters (CDU). Die Ausstellung zeige am Beispiel des Sports den Zivilisationsbruch durch die Nazis. Die Schau solle die Passanten im vorbeigehen an die Sportler erinnern und "wie ein Stolperstein zum Einhalten und Nachdenken bringen".
Die Vorlage für die Sportlerfiguren der Ausstellung bilden vergrößerte schwarz-weiß Fotos, die die Sportler in voller Aktion zeigen. Lilly Henoch, eine der erfolgreichsten Sportlerinnen aus Berlin überhaupt, stemmt die Kugel, kurz vor dem Stoß. 1942 wird sie nach Riga deportiert und ermordet. Der Boxer Erich Seelig posiert mit erhobenen Fäusten. Dem deutschen Meister im Mittelgewicht und später Halbschwergewicht gelang die Flucht vor den Verfolgern. Über Frankreich und Kuba gelangt er 1935 in die USA, wo er 1940 sein Sportkarriere beendet und eine Boxschule in Atlantic City aufmacht. Er stirbt 1984 in den USA. "Wir wollten ganz verschiedene Schicksalswege aufzeigen", erklärt Henry Wahlig, Sporthistoriker und einer der Ausstellungsmacher. An den Biografien lässt sich ablesen, wie aus Ausgrenzung und Diskriminierung Verfolgung und Vernichtung wurden, und dass die rassistische Ideologie alle Bereiche des Lebens umfasst hat.
Flucht, Suizid, Vernichtung
Tragisch sind die Schicksale alle, die auf den Rückseiten der Exponate beschrieben werden. Wie die Sportler auch darunter gelitten haben, dass sie ihre geliebte Disziplin nicht mehr ausüben durften, zeigt besonders eindrücklich die Geschichte der Berliner Tennisspielerin Nelly Neppach. Die Berlinerin ist dargestellt im weißen Sportkleid und schwingt ihren Holzschläger waagerecht Richtung Bahnhofsportal. Die laufstarke Spielerin sorgte als eine der ersten deutschen Frauen überhaupt für Begeisterung im internationalen Sport. 1925 übernimmt sie die Führung der deutschen Tennis-Rangliste und wird zu den Riviera-Meisterschaften eingeladen. Die Nazis verübeln ihr das Gastspiel beim "Erbfeind", sie wird vom Tennisbund gesperrt, bald von ihrem Verein ausgeschlossen. Deprimiert und verzweifelt, weil sie ihren Sport nicht mehr treiben kann, nimmt sie sich das Leben. "An Neppachs Beispiel lässt sich gut zeigen, wie bereitwillig die Ausgrenzung von den anderen Vereinsmitgliedern vorangetrieben worden ist", betont Wahlig.
Der Historiker und Sportwissenschaftler bemerkt bei seinen Lehrveranstaltungen an der Universität Hannover immer wieder, wie nahe seinen Studenten die Schicksale der jüdischen Athleten gehen. "Die stellen sich dann selbst die Frage, was würde ich denn tun, wenn in meinem Verein Sportler wegen ihrer Herkunft oder Religion geschnitten würden?", beschreibt Wahlig. Diese Beobachtung steht auch hinter der Konzeption der Ausstellung: Mit Sportlern, ihren Leistungen und der Begeisterung, die sie ausgelöst haben, lässt sich vielleicht gut eine Verbindung zur heutigen Bevölkerung herstellen.
Mit ihrem Ort am Hauptbahnhof soll die Ausstellung aber auch ein Signal an die Reisenden aus aller Welt geben, die an den Abbildungen vorbeiströmen. "Hier sieht man, dass Rassismus und Antisemitismus in Deutschland keinen Platz mehr haben", interpretiert Kulturpolitikerin Grütters. Ihr Haus unterstützt die Ausstellung zusammen mit verschiedenen Stiftungen, darunter die des Deutschen Fußball-Bundes (DFB).
Jüdische Sportler zu Gast in Berlin
Die Ausstellung gehört zum Rahmenprogramm der European Maccabi-Games, die in der kommenden Woche von Bundespräsident Joachim Gauck eröffnet werden. Es handelt sich dabei um einen Sportwettbewerb zwischen jüdischen Athleten. Mehr als 2300 Sportler aus 30 Staaten werden in der Berliner Waldbühne erwartet. Die Veranstaltung hat einen hohen politischen Stellenwert: Sie findet zum ersten Mal seit ihrem Bestehen in Deutschland statt - und gerade in Berlin, wo 1936 die jüdischen Sportler an der Teilnahme bei den Olympischen Spielen gehindert wurden. "Das ist ganz wichtig, weil es zeigt, dass jüdisches Leben wieder Teil unserer Gesellschaft ist, auch im Sport", freut sich Grütters. "Das ist ein Geschenk!"