Wer bestimmt Strauss-Kahns Nachfolger?
23. Mai 2011Seit Montag (23.05.2011) nimmt der Internationale Währungsfonds (IWF) Bewerbungen für den frei gewordene Chefposten entgegen. Bewerbungsschluss ist am 10. Juni, bis spätestens Ende Juni soll über die Nachfolge Strauss-Kahns entschieden werden.
Traditionell führt ein Europäer den IWF und ein Amerikaner die Weltbank. Seit Dominque Strauss-Kahn am Donnerstag seinen Rücktritt als Direktor des IWF bekannt gab, laufen die Spekulationen auf Hochtouren: Als Favoritin gilt die französische Finanzministerin Christine Lagarde. Doch die Schwellenländer wollen die europäisch-amerikanische Tradition beenden und erheben ebenfalls Anspruch auf den Chefposten.
Gewählt wird der Direktor von den 24 Mitgliedern des Exekutivdirektoriums für eine Amtszeit von fünf Jahren. Jeder von ihnen kann einen Kandidaten für den Chefposten nominieren. Entschieden wurde in der Vergangenheit immer im Konsens, obwohl auch ein Mehrheitsentscheid zur Wahl ausreichen würde. Um den Tisch im Exekutivdirektorium sitzen fünf direkt benannte Vertreter aus den wichtigsten Mitgliedsländern des Währungsfonds: USA, Japan, Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Die 19 weiteren Plätze im Direktorium werden von den Finanzministern der übrigen 182 Ländern im IWF per Wahl besetzt.
Wie lange dauert es, bis der nächste Direktor feststeht?
So lange kein Nachfolger für Dominique Strauss-Kahn bestimmt ist, übernimmt sein Vertreter John Lipsky die Leitung des Währungsfonds. Die Nummer zwei im IWF ist im Gegensatz zum Direktor seit der Gründung der Organisation nach dem Zweiten Weltkrieg immer ein Amerikaner. Lipsky hatte noch am Donnerstag angekündigt, dass es dauern könnte, bis der Chefsessel wieder besetzt würde. In der Vergangenheit habe das Auswahlverfahren mehrere Monate beansprucht. Außerdem sei es möglich, dass der Nachfolger nicht sofort zur Verfügung stehe.
Ganz überraschend kommt die Suche nach einem neuen Chef für den IWF allerdings nicht. Die Stellenausschreibung dürfte schon in Vorbereitung gewesen sein, da man in Washington damit rechnete, dass Strauss-Kahn seinen Posten in den nächsten Wochen gekündigt hätte, um sich als Spitzenkadidat der Sozialisten auf den französischen Wahlkampf zu konzentrieren. Regulär wäre Strauss-Kahn noch bis 2012 im Amt gewesen. Auch durch die europäische Schuldenkrise erhöht sich der Druck, den Posten an der Spitze des Währungsfonds schnell neu zu besetzen. Denn um über umfangreiche Finanzhilfen für verschuldete Euro-Länder wie Portugal und Griechenland entscheiden zu können, muss der IWF an der Spitze handlungsfähig sein.
Kann Europa sich noch mal durchsetzen?
Zu der Frage, ob Europa die Führung des IWF möglicherweise zum ersten Mal abgeben könnte, äußerte sich John Lipsky nicht. Er sagte, das Auswahlverfahren sei offen und transparent. Im Vordergrund stehe die Eignung des Kandidaten. "Offen bedeutet hoffentlich nicht nur offen für einige", fügte Lipsky hinzu.
Gerade weil die akuten Herausforderungen für den IWF in Europa liegen, scheint es logisch, dass noch einmal ein Europäer das Rennen um den Chefsessel machen wird. So argumentieren zumindest europäische Politiker. "Man kann die Tradition ändern, aber nicht jetzt", sagte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, die Stelle müsse wieder mit einer "Persönlichkeit aus Europa" besetzt werden.
Schwellenländer fordern einen offeneren Wahlprozess
Vertreter aus anderen Weltregionen verlangen allerdings, dass sich das Wahlsystem für den Vorsitz des Währungsfonds ändert. Indiens Vertreter im Exekutivgremium des IWF, Arvind Virmani, forderte anstelle von Verhandlungen im Hinterzimmer eine offene Wahl des Direktors. "Es gibt viele Menschen, die glauben, dass der Prozess nicht glaubwürdig ist und dass bestimmte Länder, bestimmte Nationalitäten gewissermaßen vorausgewählt wurden." Der Generalsekretär der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und gebürtige Mexikaner, Angel Gurria, erklärte: "Ich bin absolut damit einverstanden, dass es Zeit ist, die Tradition zu ändern. Ich halte es diesmal für möglich, aber es muss schnell passieren."
Europa und die USA verfügen zusammen über mehr als die Hälfte der Stimmen im Exekutivdirektorium. Sollten die Europäer die Amerikaner überzeugen können, noch einmal einen Kandidaten aus ihren Reihen zu unterstützen, dann wäre die Wahl entschieden. Denn theoretisch könnten die Amerikaner ihre Stimme auch einem nicht-europäischen Kandidaten geben. Das gilt allerdings als unwahrscheinlich, da die USA ihrerseits die Führung der Weltbank und den zweitwichtigsten Posten im Währungsfonds nicht aufgeben wollen.
Autorin: Gönna Ketels (afp, rtr)
Redaktion: Martin Schrader