Wer hat Angst vorm Drachen?
17. März 2006Die USA verfolgen die militärische Aufrüstung Chinas schon seit langem mit großem Misstrauen. Am Donnerstag (16.3.2006) rief US-Außenministerin Condoleezza Rice die chinesische Führung wegen ihres rasant steigenden Militärhaushalts zu "mehr Transparenz" auf. Die geplante Erhöhung des Militäretats um mehr als 14 Prozent sei "sehr hoch". Die chinesische Regierung solle deshalb offen sagen, welche militärischen Absichten sie habe, sagte Rice nach Gesprächen mit dem australischen Außenminister Alexander Downer in Sydney. Am Samstag wollen Rice und ihre Kollegen aus Australien und Japan über die Auswirkungen der chinesischen Militärmacht beraten.
Kein neuer Rüstungswettlauf in Sicht
Doch ist China tatsächlich eine militärische Bedrohung für die USA? "Höchstens mittel- oder langfristig", glaubt Carsten Klenke, Rüstungsexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Die Angst vor einem neuen Rüstungswettlauf, diesmal zwischen den USA und der Volksrepublik, ist für den Moment noch haltlos. Das verraten schon allein die unterschiedlichen militärischen Dimensionen, in denen sich beide Länder bewegen. So beläuft sich der chinesische Verteidigungsetat im Moment auf 35,3 Milliarden US-Dollar. Die USA geben 2006 hingegen 440,2 Milliarden Dollar fürs Militär aus.
US-Fachleute gehen allerdings davon aus, dass China faktisch sehr viel mehr für Rüstung und Streitkräfte aufwendet, als im offiziellen Haushalt angegeben ist. "Es gibt im chinesischen Verteidigungsetat sehr viele verdeckte Ausgaben, denn der Verteidigungshaushalt wird zum Teil aus anderen Töpfen finanziert. Das macht die Intransparenz der chinesischen Rüstungspolitik aus", betont auch Klenke, der von 2002 bis 2005 stellvertretender Verteidigungsattaché an der deutschen Botschaft Beijing war.
Taiwan fürchtet die chinesischen Soldaten und Raketen
Es ist gerade diese Undurchsichtigkeit, die den Befürchtungen der USA vor der militärischen Supermacht China neuen Auftrieb gibt. "China hat das größte Potenzial, um mit den USA militärisch mitzuhalten", warnt der jüngste "Quadrennial Defense Review" des Pentagon. Auch in einem am Donnerstag veröffentlichten Strategiepapier äußert die US-Regierung erneut ihre Sorge vor einem weiteren Ausbau der Militärmacht China.
Auch Taiwan glaubt der chinesischen Verteidigungsdoktrin nicht, wonach die Aufrüstung lediglich der Sicherung der territorialen Integrität Chinas gelte. Tatsächlich betrachtet das chinesische Militär die Unabhängigkeitsbestrebungen der "abtrünnigen Provinz" als direkte Bedrohung seiner regionalen Machtstellung. Peking hat an die 750 Kurzstreckenraketen und 375.000 seiner 2,3 Millionen Soldaten in den Küstenregionen gegenüber Taiwan stationiert.
Rüstungspolitik spiegelt Chinas Entwicklung zur Großmacht wider
Dessen ungeachtet ist die Angst vor einem unberechenbaren, militärischen Superdrachen China mit einigen Fragezeichen zu versehen. Denn die Steigerung des chinesischen Verteidigungsetats ist nicht automatisch mit Aufrüstung gleichzusetzen. Der Fregattenkapitän Klenke betont: "Vieles deutet darauf hin, dass ein Gros dieser Steigerungen im Verteidigungsetat auf gestiegene Personalkosten zurückzuführen ist. Damit möchte man den höheren Lebenshaltungskosten der Soldaten gerecht werden."
Zudem sei die chinesische Rüstungspolitik als Teil einer politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gesamtstrategie zu sehen, die den zunehmenden Einfluss Chinas in der Welt zum Ziel habe, sagt Klenke. Militärische Macht gehört offensichtlich zu den Attributen einer Großmacht, als die sich China sieht. Dieser Führungsanspruch schlägt sich auch in dem bei chinesischen Politikern beliebten Spruch nieder: "Das 21. Jahrhundert wird das chinesische Jahrhundert sein."
China muss international eingebunden werden
Diese Perspektive gefällt den USA natürlich gar nicht: US-Außenministerin Rice will deshalb, dass Japan und Australien China "beaufsichtigen" und damit verhindern, dass sich das Land zu einer "negativen Kraft" entwickelt. Doch mit dieser Aufgabe sind die beiden Staaten heillos überfordert. "Für die Einbindung Chinas muss die gesamte internationale Gemeinschaft in die Pflicht genommen werden", sagt der sicherheitspolitische Experte Klenke. "Nur indem China als 'global player' in die Verantwortung genommen wird, ist eine konfrontative Entwicklung zu vermeiden." Unter dieser Voraussetzung würde dann auch die Prognose vom "chinesischen Jahrhundert" ein wenig von ihrem Schrecken verlieren.