Wenn Sufis und Hindus mit Benediktinern beten
21. Mai 2022"Es ist eine Zeit des Austauschs und Lernens", sagt Thomas Hessler und verweist als Quelle seiner Aussage auf den Dalai Lama. Hessler ist Benediktiner-Mönch. In dieser Woche war er im österreichischen Kloster Aich Gastgeber für Angehörige verschiedener Religionen.
"Wir versuchen, voneinander und miteinander zu lernen. Es gibt zum Beispiel Aspekte unserer christlichen Traditionen, die die Sufis mir neu nahegebracht haben."
Neben Hessler sitzt beim Gespräch Hüseyin Haybat. Der studierte Wirtschaftsinformatiker ist in der Softwareentwicklung tätig - und er ist Sufi, Mitglied einer islamischen Strömung, die die Mystik betont.
Haybat schildert ein sehr altes Sufi-Gleichnis: "Die Religionen sind Kelche, die alle den gleichen Nektar enthalten. Wer den Nektar kostet, erkennt Nektar in jedem Kelch. Diejenigen, die nie gekostet haben, streiten sich lieber über die Form des Gefäßes anstatt über den Inhalt."
Der Benediktiner Hessler und der Sufi Haybat sind Akteure des Projekts "Weltkloster". Mit knapp zehn anderen Gläubigen kamen sie in dieser Woche im Kloster Aich zusammen, unter anderem mit einem Muslim, einem Hindu, einem Buddhisten, sowie weiteren Benediktinern. Online zugeschaltet waren zudem eine christliche Ordensfrau der Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Kreuz aus dem Kloster Hegne in Allensbach am Bodensee, ein Münchner Rabbiner und eine Münsteraner Bahai.
Zeichen gegen Extremismus
In Zeiten wachsender Spannungen und Spaltungen verstehen sie ihren Austausch als Zeichen gegen Extremismus und Krieg. "Wir wollen der Welt das Zeichen geben, dass es auch anders geht. Wir kommen aus sehr unterschiedlichen Traditionen und haben doch Vertrauen und Respekt zueinander", sagt Jakobus Geiger, Benediktiner der Abtei Münsterschwarzach am Main.
"Weltkloster" - das Projekt entstand 2008 als Aufbruch verschiedener Ordensleute zu einem gemeinsamen Weg. Ein dauerndes gemeinsames Kloster der Gruppe gab es nie. Aber zehn Jahre lang trafen sich die Akteure in Radolfzell am Westrand des Bodensees, wo das "Weltkloster" bis heute seinen Sitz hat.
Nun dienen Benediktinerklöster in Süddeutschland oder in Österreich als Standort. Es ist, wie Gastgeber Hessler sagt, immer auch eine Besinnung auf die jeweiligen Traditionen der frommen Akteure. "Man kann es vergleichen mit einer gemeinsamen Wanderung. Und während des gemeinsamen Weges nimmt jeder unterschiedliche Sachen wahr."
Das Bild der Wanderung passt. Denn gemeinsame Wege vor dem Bergpanorama gehören für die Gäste im "Europakloster Aich" im Salzburger Land zum festen Programm - wie die gemeinsamen Zeiten im Meditationsraum des Klosters, und wie das gemeinsame Schweigen und Reden.
"Das Gemeinsame sehen"
Für Mitteleuropäer, die gerne konfessionelle Grenzen definieren, mag das Projekt merkwürdig wirken. Für die Ordensleute ist es stimmig: "Wer nur oberflächlich praktiziert, der sieht lediglich die Unterschiede. Aber um so tiefer ich meine eigene Tradition praktiziere, desto stärker bin ich auch fähig, das Gemeinsame zu sehen", sagt, in feinem Schweizerdeutsch, . Der Priester im Krishna-Tempel Zürich ist Gründungsmitglied des Schweizer Dachverbandes für Hinduismus.
Die Religionsvertreter wissen um die gemeinsame Aufgabe. Ihr interreligiöser Dialog baue auf gelebter spiritueller Erfahrung auf, so Geschäftsführerin Alexandra Mann. Deshalb gelängen die geistlichen Begegnungen. Sie hofft, dass die Beteiligten die Anliegen des Projekts künftig stärker nach außen bringen, bei Akademietagungen beispielsweise oder bei Schulbesuchen.
Begegnung mit Frido Mann
Am Ende der Woche in Aich ist auch Frido Mann mit dabei, Der 81-jährige Schweizer Psychologe ist Enkel des Schriftstellers Thomas Mann.
In jungen Jahren konvertierte Frido Mann zum Katholizismus. 2009 trat er aus der katholischen Kirche aus und verwies zur Begründung auf die Versöhnungsgeste des damaligen Papst Benedikt XVI. gegenüber katholischen Traditionalisten, zu denen Holocaustleugner zählten.
"Ich habe Theologie studiert", sagt Mann der Deutschen Welle, aber dann sei er auf Distanz zur Kirche gegangen. Am "Konzept Weltkloster" sei ihm "wichtig, dass dies kein reglementierter Dialog, sondern ein gelebter Dialog ist".
"Es zeichnet die Gruppe aus, dass wir sehr offen miteinander sprechen. Und dass auch die Schattenseiten der eigenen Tradition kein Tabu sind", sagt Benediktiner Geiger. Er könne "sehr wohl" die Grenzen der eigenen Tradition benennen. "Aber man stellt auch fest, dass alle nur mit Wasser kochen", und jede Tradition ihre eigene Probleme habe.
Sind sie verändert, sind sie andere Menschen, wenn sie nach einer Woche auseinandergehen? Jakobus Geiger spricht von einer "eigenen inneren Wandlung". Und weiter: "Ich würde mich dann nicht als anderen Menschen bezeichnen", sagt der Benediktiner, "aber als einen reicheren Menschen."