Wenn Hacker virtuelle Helden ausrauben
22. Oktober 2013Im Chatfenster ploppt plötzlich ein unbekannter Kontakt auf. "Hey, du wirst nicht glauben, wer hier ist. Habe gerade wieder mit dem Spielen angefangen." Spieler A rät zwei Namen, der Gesprächspartner verneint, doch beim dritten Namen sagt Spieler B: Ja, genau der sei er. Er sei wieder eingestiegen und bräuchte für den Start ein wenig Hilfe - Tipps und Gegenstände, die ihn im Spiel weiterbringen. Spieler A ist hilfsbereit, gewährt dem vermeintlichen Bekannten Zugang zu seinem Inventar. Beim nächsten Einloggen von Spieler A ist die gesamte Ausrüstung weg - die Spielfortschritte von Wochen sind dahin. Die gestohlenen virtuellen Objekte macht der Betrüger anderswo im Netz zu Geld.
Virtuelle Ausrüstung gegen Geld
So oder ähnlich spielen sich täglich 11.500 Angriffe auf Gamer in der ganzen Welt ab. Es klingt absurd, doch im Netz hat sich ein gigantischer Schwarzmarkt für virtuelle Waffen, Rüstungen, Zaubersprüche oder Edelsteine entwickelt. Es sind Schätze aus beliebten Online-Rollenspielen wie der "Diablo"-Reihe oder "World of Warcraft". In diesen Spielen muss der Gamer seinen Avatar mit wirkungsmächtigen Waffen oder magischen Gegenständen ausstatten, damit er seine Gegner besiegen kann. Er oder sie erspielt sich beispielweise eine besonders robuste Rüstung, indem der Avatar eine Mission erfolgreich beendet oder ein widerspenstiges Monster erledigt.
Der Spieler kann diesen Weg auch abkürzen und diese Rüstung für zehn Euro im Spiel-Shop kaufen. Mit der Zeit verfügt der Spieler über ein großes Inventar - die Ausstattung macht die Stärke seines Charakters aus. "Games wie World of Warcraft sind für die Teilnehmer ein ganz normales Hobby. Sie sind bereit, für ihr Weiterkommen auch echtes Geld auszugeben", sagt Christian Funk, Virenanalyst bei Kaspersky Lab, einem der größten Anbieter von Virenschutzprogrammen.
Hacker plündern Spieler-Inventar
Der Handel mit virtuellen Spielgegenständen boomt - und das ganz legal. Die Hersteller selbst richten Auktionsplattformen ein, so wie Blizzard Entertainment für "Diablo III". Sie wollen am Handel mit der virtuellen Ausrüstung mitverdienen - denn der Markt wächst. Allein in Deutschland bewege sich der Umsatz mit virtuellen Gütern mittlerweile im zweistelligen Millionenbereich, schätzt Experte Christian Funk. Gamer kritisieren in Interenetforen, dass es mittlerweile beinah unmöglich sei, schwierige Spiellevel ohne hinzugekaufte Ausrüstung zu meistern.
Für Cyber-Kriminelle ist der Online-Spielmarkt zu einem lukrativen Geschäft geworden. Um an die Zugangsdaten der Spieler, und damit an ihre virtuellen Güter zu kommen, programmieren die Hacker spezielle Schadsoftware. Öffnet der Spieler ein heruntergeladenes Programm oder einen Email-Anhang, dringt ein kleines Spionageprogramm in seinen Computer ein. Dort sammelt es Zugangsdaten wie das Passwort zu einem Online-Spiel und sendet es an die Programmierer der Schadsoftware weiter. Der Betroffene merkt davon nichts.
Unterschiedliche Spielkulturen
Die Hacker können nun in das Inventar des Spielers eindringen und Waffen, Zaubertränke oder Schriftrollen "entwenden". In der Regel sind diesen Gegenständen eindeutige Identifikationsnummern zugewiesen. Haben die Hacker die Gegenstände also einmal geklaut und sie in ihre eigenen Kanäle transferiert, sind sie für den Spieler verloren. "Der ideelle Schaden wiegt oft schwerer als der materielle, denn die Spieler haben entweder viel Zeit oder viel Geld investiert, um an die Gegenstände zu kommen", erklärt Christian Funk.
Die Angriffe auf Gamer sind ein internationales Geschäft - vor allem Rechner in Asien sind ein beliebtes Ziel der Kriminellen. Das hat zwei Gründe, erklärt Spezialist Christian Funk. Zum einen gebe es in diesen Ländern prozentual mehr Spieler. Gaming sei in vielen asiatischen Ländern in der Mitte der Gesellschaft angekommen. "Zum anderen sind zum Beispiel in Vietnam oder China Online-Rollenspiele sehr beliebt. In Europa und Nordamerika bevorzugen Spieler eher Ego-Shooter [Schießspiele aus der Ich-Perspektive, Anm. d. Red] und Strategiespiele." Gerade in den Online-Rollenspielen, an denen Hundertausende User beteiligt sind, spielen virtuelle Güter und der Handel mit ihnen eine große Rolle.
Kein Diebstahl im juristischen Sinne
Die virtuellen Überfälle werden nur sehr selten bei den Behörden angezeigt. Wer geht schon zur Polizei und beklagt sich, seinem Waldelfen wären Köcher und Feuerpfeile gestohlen worden? "Virtuelle sind auch im rechtlichen Sinne keine echten Gegenstände", stellt Anwalt Henry Krasemann fest, der sich auf die Rechtsprechung rund um das Thema Computerspiele spezialisiert hat. "Deshalb passt hier auch nicht das Strafrecht, das bei einem Diebstahl einer reellen Sache angewendet würde." Landen virtuelle Diebstähle doch einmal vor Gericht, werden sie eher als Computer-Sabotage oder als unzulässige Veränderung von Daten behandelt. "Strafbar macht sich jemand, der betrügerisch Lücken in der Software nutzt und so an virtuelle Gegenstände herankommt, die er eigentlich nicht besitzen dürfte", erklärt Krasemann.
Auch die Spielhersteller sind zögerlich, wenn es darum geht, gegen kriminelle Hacker vor Gericht zu ziehen. Sie wollen nicht, dass sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf Sicherheitslücken in ihren Spielen konzentriert. Außerdem ist es in vielen Fällen unmöglich, die Quelle der Angriffe ausfindig zu machen.
Gamer können sich gegen Angriffe aus dem Netz vor allem mit starken Passwörtern für ihre Accounts schützen, sagt Christian Funk – genau wie auch anderswo im Netz. Außerdem sollten gerade sie sich besonders vorsichtig im Netz bewegen, rät er. Wenn ein Angebot eines vermeintlichen Spielentwicklers verdächtig attraktiv sei, dann sollte man als Spieler lieber die Finger davon lassen. Denn die Strategien der Cyber-Kriminellen im Gaming-Bereich seien mittlerweile raffinierter und professioneller als beim Online-Banking oder beim digitalen Kreditkartenbetrug.