Virtuelle Streife
18. Juni 2013Streifendienst ist für Polizisten eine alltägliche Aufgabe. Im Auto oder zu Fuß zeigt die Polizei auf den Straßen Präsenz. Auch im Internet gehen "Cybercops" auf virtuelle Streifengänge. Die einschlägigen Plätze im Web, an denen viele Straftaten stattfinden, kennen sie so gut wie der Schutzmann sein Revier. Im Gegensatz zu den Kollegen auf der Straße findet der Dienst der Cybercops aber vor allem am Computerbildschirm statt.
Vom Informatiker zum Cybercop
Das bayerische Landeskriminalamt schwört auf den Einsatz speziell ausgebildeter Polizisten im Internet. Günter Maeser, der die Abteilung Netzwerkfahndung leitet, erläutert ihr Aufgabengebiet so: "Bei der Netzwerkfahndung suchen die Kollegen im Internet unabhängig von einem konkreten Anlass nach strafbaren Handlungen."
Vor allem einer bestimmten Sorte Krimineller sind Maeser und seine Kollegen auf der Spur: "Schwerpunkt sind dabei insbesondere kinderpornografische Inhalte." Aber nicht nur das wachsende Problem der Kinderpornografie im Netz macht den Einsatz von Computerkriminalisten notwendig. Von 2010 bis 2011 stieg allein in Bayern die Zahl der Internetdelikte um rund 20 Prozent an.
Angesichts dieser Entwicklung holte sich die bayerische Polizei externen Fachverstand ins Haus. Nach einem harten Auswahlverfahren schulte sie Informatiker zu Kriminalpolizisten um. Diese spüren nun gemeinsam mit erfahrenen Kriminalisten Straftätern im Internet nach. "Damit haben wir viel frischen Wind und neue Ideen in die kriminalistische Arbeit gebracht", meint Günter Maeser.
Den Tätern auf der Spur
Wenn die Beamten auf kriminelle Handlungen im Internet stoßen – beispielsweise auf eine Seite für Kinderpornografie – geht die Arbeit erst richtig los. "Die strafbaren Inhalte müssen beweiskräftig gesichert werden", erläutert Maeser das Vorgehen. Das Ziel dabei ist eindeutig: "Wir wollen den Verursachern auf die Spur kommen."
Das Internet macht natürlich nicht vor den bayerischen Landesgrenzen halt. Viele Server, auf denen strafbares Material lagert, stehen außerhalb Bayerns oder gar der Bundesrepublik. In solchen Fällen übergeben die bayerischen Computerkriminalisten ihr Material an die Staatsanwälte, die es dann an die zuständigen Stellen weiterleiten.
Der Job ist eine Herausforderung, die Sichtung von kinderpornografischem Material eine schwere seelische Belastung. Aber auch quantitativ müssen die Polizisten Schwerstarbeit leisten. "In einem konkreten Fall haben wir über drei Millionen Bild- und Videodateien erhalten", berichtet der Leiter der Netzwerkfahndung. Die einzige Lösung: "Wir haben Softwaretools entwickelt, um dies teilweise automatisiert abarbeiten zu können."
Selbstmorde verhindern
Aber auch in anderen Bereichen sind die Cybercops aktiv. Sie versuchen zum Beispiel, Anzeichen für bevorstehende Selbstmordversuche und Amokläufe zu finden. Angesichts der schieren Datenmenge sind die Polizisten hier aber auch auf Hinweise von Mitgliedern oder Betreibern sozialer Netzwerke angewiesen.
"Dieses Jahr hatten wir schon an die 50 derartige Fälle, die hauptsächlich in sozialen Netzwerken angekündigt wurden", so Maeser in Bezug auf potenzielle Selbstmörder. Ausdrücklich lobt Maeser die Zusammenarbeit mit den Netzwerkbetreibern: "Wir erhalten dann Auskünfte, um an die Suizidkandidaten heranzukommen."
Grundsätzlich möchten die Cybercops sicherstellen, dass auch das Internet kein rechtsfreier Raum ist. "Wir wollen hier Präsenz zeigen", betont Günter Maeser.
Die digitale Forensik
Verbrechensaufklärung im Internet kann man mittlerweile aber auch studieren. Seit einigen Jahren bietet die Hochschule Albstadt-Sigmaringen den Studiengang "Digitale Forensik" an. "Digitale Forensik ist eine relativ neue Wissenschaft, die sich damit beschäftigt, digitale Beweisträger zu analysieren, sie sicherzustellen und methodisch aufzubereiten", definiert der Programmleiter Steve Kovacs das Fachgebiet.
Vor allem sollen die Studierenden lernen, wie sie digitale Beweismittel so dokumentieren, dass sie vor Gericht zulässig sind. Die Art des Verbrechens ist hierbei zunächst unerheblich. Es kann sich dabei um explizite Internetkriminalität handeln. Oder auch um "klassische" Straftaten wie Mord – so lange nur digitale Medien wie eine Festplatte oder E-Mailverkehr im Spiel waren. Was aber macht der digitale Forensiker genau? "Man kann das in etwa mit einer digitalen Autopsie vergleichen. Nur, dass es sich hier um digitale Beweisträger handelt. Wie beispielsweise eine Festplatte, die man dann auswertet", erläutert Steve Kovacs.
Digitale Forensik im Einsatz
Einer der ersten Absolventen des Masterstudiengangs "Digitale Forensik" ist Wolfram Klos. Sein Wissen und seine Erfahrung setzt er bei der Bekämpfung von Kinderpornografie ein: "Ich schule die Polizei, vertreibe Software-Lösungen oder bekomme von der Polizei Computer zur Auswertung, insbesondere mit dem Auftrag, Kinderpornoseiten zu finden und die damit zusammenhängenden Spuren zu sichern."
Ein wenig lässt sich Wolfram Klos in die Karten gucken, wie er Besitzern und Vertreibern kinderpornografischen Materials auf die Schliche kommt. Zunächst schaut er sich Fotos genau an. Ist die Zeitung auf dem Bild zum Beispiel deutschsprachig? Durch Details wie dieses lässt sich der Tatort immer weiter eingrenzen.
"Oft kann auch die Herkunft eines Bildes ermittelt werden, zum Beispiel, ob es aus dem Internet oder per E-Mail übertragen wurde", berichtet Klos. Weitere Details seiner Vorgehensweise möchte der digitale Forensiker nicht nennen, um Kriminellen nicht das Handwerk zu erleichtern. Insgesamt jedoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch virtuelle Straftäter erwischt werden, erfreulich hoch. "Wenn Kinderpornografie nicht professionell beschafft oder getauscht wird, gibt es gute Chancen, die Straftaten nachzuweisen", so Klos.
Die Präsenz von Cybercops und Digitalforensikern im World Wide Web macht eines deutlich: Ein virtueller Wilder Westen ist das Internet schon lange nicht mehr.