Trotz Verbot: Noch immer Sklaverei im Sahel
23. August 2020Matala Ould Mboirik ist als Sklave aufgewachsen. Heute lebt er am Rande von Nouakchott, der Hauptstadt Mauretaniens. Er hat die Qualen der Sklaverei überlebt, ist nach dreißig Jahren Abhängigkeit von seinem "Herren" ein freier Mann. Aber er ist arm geblieben und kämpft heute jeden Tag, um über die Runden zu kommen.
Die Erinnerung an sein versklavtes Dasein schmerzt ihn: "Ich kümmerte mich um Kamele und Kühe und holte Wasser für den Herrn. Ich musste Holz schneiden und es zu Holzkohle verarbeiten", erzählt er im DW-Interview. Mehr noch als die Pein durch seinen "Herren" traf ihn das Schicksal seiner Familie. "Es war schrecklich. Sie haben meine Schwester und meine Mutter geschlagen und sie vor meinen Augen sexuell missbraucht." Der Alptraum endete erst 2003, als ein Mitarbeiter einer lokalen Nichtregierungsorganisation seinen "Herren" überredete, Mboirik freizulassen.
Kein Recht auf Würde
Mauretanien hat erst 1981 die Sklaverei verboten, als letztes Land der Welt. Dennoch sind Schicksale wie die von Matala Ould Mboirik kein Einzelfall: Schätzungen lokaler Menschenrechtler zufolge leben immer noch einige Tausend Menschen - meist aus der Minderheit der Haratin oder afro-mauretanischen Gruppen - als Zwangsarbeiter, Hausangestellte oder Kinderbräute. Aber auch in Freiheit leben Haratin oft in ärmlichen Verhältnissen am Rande der Gesellschaft.
Die Sklaverei hat in dem nordwestafrikanischen Wüstenstaat eine lange Geschichte. "Über Generationen sind dunkelhäutigere Menschen meistens von den hellhäutigeren maurischen Eigentümern gefangen gehalten worden, haben sogar ihre Sprache angenommen. Ihre Kinder und Kindeskinder gingen automatisch in den Besitz der Familien über", erklärt Sarah Mathewson, Mitarbeiterin der Organisation Anti-Slavery International mit Hauptsitz in London. Sie selbst lebt und arbeitet im Senegal.
Sklaverei ist rückläufig
"Heute ist diese Art der Sklaverei rückläufig. Viele Sklaven sind besonders in den vergangenen 40 Jahren von ihren Herren weggezogen", sagt Sarah Mathewson. Aber in ihrer Arbeit hätten sie schon Fälle, in denen Sklavenhalter täglich Kontrolle ausübten, zur Arbeit zwängen und nicht bezahlten. Gesetze - wie das 2007 von der Regierung verabschiedete Gesetz der Strafverfolgung von Sklavenhaltern - werden laut Mathewson nicht durchgesetzt. In der Realität bringe die Justiz die Täter nicht zur Verantwortung.
Sklaverei und die althergebrachten Formen von Leibeigenschaft lassen sich laut Mathewson in vielen Ländern Afrikas über Jahrhunderte zurückverfolgen. "Insbesondere sehen wir das Problem bei ethnischen Gruppen in der Sahelzone, in Ländern wie Tschad, Sudan, Mali und Niger. Es sind historisch gesehen eher die hellhäutigen Tuareg der nördlichen Regionen, die dunkelhäutige Menschen aus weitere südlichen Gebieten versklavten." Aber in vielen afrikanischen Volksgruppen gebe es eine ähnlich traditionelle Hierarchie. Die Internationale Arbeits-Organisation (ILO) der Vereinten Nationen spricht von 3,7 Millionen Menschen in Subsahara-Afrika, die in der Sklaverei ähnlichen Verhältnissen leben.
Gesetz ohne Strafverfolgung
Das gilt auch für Niger. Eine der wichtigsten lokalen Menschenrechtsorganisation ist Timidria in der Hauptstadt Niamey, auch Anti-Slavery International arbeitet mit ihr zusammen. Auf Druck von Timidria habe die Regierung 2003 die Sklaverei per Gesetz als eigenen Straftatbestand eingestuft, sagt Mitarbeiter Mohamed Mogaze der DW. Aber es werde kaum durchgesetzt, klagt er. "Sklaven stehen auf der untersten Sprosse der sozialen Leiter. Sie haben kein Recht auf Eigentum."
Mogaze arbeitet mit staatlichen Behörden zusammen, um die Lage der in Sklaverei ähnlichen Verhältnissen lebenden Menschen in zu verbessern. Der Fokus liegt darauf, ihnen einen besseren Zugang zu Bildung und zu anderen Einkommensquellen zu ermöglichen. "Im Augenblick arbeiten wir mit dem Justizministerium in einem Ausschuss für eine Reform der Sklaverei-Gesetze - soweit wie politischer Wille vorhanden ist."
Sklaverei - keine Frage der Begriffe
Sarah Mathewson warnt außerdem vor neuen Formen der Sklaverei: Kinder, die zur Bettelei gezwungen werden. "Jungen werden seit jeher in religiöse Schulen geschickt, um den Koran auswendig zu lernen. Früher wurden sie von der Gemeinde mit Essen unterstützt. In heutigen Tagen betteln sie oft um Geld", sagt Mathewson. Wenn jemand viele Kinder losschicke und sie jedes Mal einen Euro verdienten, sei das ein lukratives Geschäft. Auch die Hausarbeit in den höheren sozialen Schichten ist ein Bereich, der schwer zu regulieren sei und oft zu Missbrauch führe.
Einen Unterschied zwischen traditionellen und modernen Formen der Sklaverei will Mathewson aber nicht machen: "Wenn es um Besitztum über ein Individuum geht, dann ist das Sklaverei." Betteln und Hausarbeit seien nicht notwendigerweise Sklaverei, aber die Grenze werde schnell überschritten, wenn es keine Regeln gebe und Menschenrechte nicht akzeptiert würden.
Wie viele Sklaven und Abkömmling von Sklavenfamilien in Mauretanien erhielt Mboirik auch keine Ausbildung und keinen Lohn. Aber ihm geht es heute besser als in seinem vorherigen Leben: „Seit ich mit meiner Familie zusammenlebe, ist mein Herz erleichtert."