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Politik

Weltmacht George Soros?

12. August 2020

Nazi-Kollaboration, Spekulation, Bevölkerungsaustausch: Was ist dran an den Behauptungen über den US-Börsenmilliardär und Philanthropen George Soros, der an diesem Mittwoch 90 Jahre alt wird?

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Ungarn | Anti-Soros Plakate
"Lassen wir nicht zu, dass Soros zuletzt lacht" - Plakatkampagne der ungarischen Regierung aus dem Jahr 2017 Bild: AFP/Getty Images

Er ist einer der Führer der "Welthintergrundmacht", wie es immer wieder heißt. Er finanziert ein weltumspannendes Netzwerk aus Helfershelfern. Sie nennen sich Journalisten, zivile Aktivisten oder Bürgerrechtler - aber in Wirklichkeit sind sie seine Agenten. Auch wichtige und einflussreiche Politiker lenkt er wie Marionetten.

Sein Ziel ist, ganze Völker ihrer kulturellen und nationalen Identität zu berauben, ganze Länder zu versklaven und in ewige Zinsknechtschaft zu zwingen. Mit seinen Spekulationen hat er schon Millionen Menschen ins Unglück gestürzt. Nun plant er einen Bevölkerungsaustausch in Europa - christliche Einheimische sollen durch muslimische Migranten ersetzt werden. Wer sich diesem Vorhaben widersetzt, gegen den entfacht er internationale Lügen- und Verleumdungskampagnen.

Der Mann, dem all das nachgesagt wird, ist der US-Börsenmilliardär und Philanthrop ungarisch-jüdischer Herkunft George Soros, der an diesem Mittwoch (12.08.2020) neunzig Jahre alt wird. Über die von ihm gegründete "Open Society"-Stiftung hat er seit Mitte der 1980er Jahre Milliardensummen für Demokratieförderung und Bildungsprojekte ausgegeben. Und sich damit weltweit viele Feinde gemacht.

Die Verschwörungstheorien über ihn wären kaum erwähnenswert, würden sie nur von obskuren Rechtsextremen mit zahlenmäßig beschränkter Anhängerschaft erhoben. Aber die oben aufgeführten Behauptungen stammen von keinem geringeren als Viktor Orbán, dem Regierungschef des EU-Landes Ungarn.

Hassfigur in Osteuropa

Und damit steht Orbán nicht allein. Nahezu überall im Osten Europas ist George Soros in den vergangenen Jahren zu einer der größten Hassfiguren geworden. Häufig sind es Regierungspolitiker, die am Feindbild Soros basteln. Aktuell beispielsweise beschuldigen die nationalistischen Koalitionspartner des bulgarischen Premiers Bojko Borissow den reichen Philanthropen, die landesweiten Proteste gegen die Regierung des Landes organisiert zu haben.

Bulgarischer Premier Bojko Borissow
Bulgariens Regierungschef Bojko BorissowBild: BGNES

Kein Politiker geht jedoch mit seinen Anschuldigungen so weit wie Viktor Orbán. Im Juni etwa betonte der ungarische Premier in einem seiner wöchentlichen Interviews im regierungsnahen öffentlich-rechtlichen Sender "Kossuth-Rádió", er sei keiner, der überall Verschwörungen wittere - aber es gäbe sie. So wie eben die von Soros gegen Ungarn.

Manipulative Fragen

Mehr noch: Die Person Soros ist auch Teil von Orbáns "nationaler Konsultation" - einer seit knapp zwei Monaten laufenden manipulativen Kampagne der ungarischen Regierung. Dabei können die Einwohner des Landes in einem Fragebogen ihre Meinung zu einer Frage ankreuzen, die die erwünschte Antwort in ihrer Formulierung schon enthält - und die jeden, der sie mit Nein beantwortet, implizit als Antipatrioten oder Feind der Nation entlarvt.

In der jetzigen "nationalen Konsultation" geht es um einen komplizierten Soros-Vorschlag zur finanziellen Lösung der Corona-bedingten Wirtschaftskrise - die sogenannten unbefristeten Anleihen. Die Frage lautet: "Lehnen Sie George Soros´ Plan, der unsere Heimat für eine unvorhersehbar lange Zeit verschulden würde, ab?" Zuvor wird in drei Sätzen behauptet, dass Soros' Vorschlag die europäischen Nationen in "generationenlange, ewige Zinszahlungen und Schuldensklaverei" treiben würde.

In Ungarn glaubt die Mehrheit Orbán

Meinungsumfragen in Ungarn zeigen, wie sehr die Narrative über Soros verfangen: Eine große Mehrheit der Menschen im Land sieht den Börsenmilliardär als ausgesprochen negative Figur, die einen schädlichen Einfluss ausübt. Mehr noch: Viele Ungarn glauben nachweislich Falsches und Erfundenes über Soros.

Vor der ungarischen Parlamentswahl 2018 etwa waren zwei Drittel der Wähler überzeugt, dass der US-Milliardär mit einer Partei seines Namens zur Wahl antreten würde - obwohl es diese Partei nicht gibt und Soros auch nie an einer ungarischen Wahl teilgenommen oder auch nur Wahlkampf in Ungarn betrieben hat.

Ungarn Budapest | Viktor Orban Winkt Parteimitgliedern und Sympathisanten nach Ansprache zu
Ungarns Premier Viktor Orbán Bild: Getty Images/AFP/A. Kisbenedek

Was sind die wichtigsten Soros-Narrative? Und was ist an ihnen dran?

Nazi-Kollaborateur?

George Soros wurde am 12. August 1930 als Sohn wohlhabender jüdischer Eltern in Budapest geboren. Seine Familie überlebte den Holocaust mit gefälschten Papieren und teilweise in Verstecken. Immer wieder berichten regierungsnahe ungarische Medien über den "Spekulanten, der mit den Nazis kollaborierte" und andere Juden ins Unglück gestürzt oder betrogen habe.

Tatsächlich war Soros in der Zeit, um die es geht, ein 14-jähriger Jugendlicher. Zeitweise konnte er nur getarnt als Patensohn eines Beamten des Landwirtschaftsministeriums überleben, der unter anderem konfisziertes jüdisches Eigentum inventarisierte. Soros selbst hat davon in einem CBS-Interview 1998 berichtet - allerdings sagt er darin nicht, dass er dem betreffenden Beamten in irgendeiner Weise bei der Arbeit geholfen habe; er sei ein Kind gewesen, das überleben wollte.

Dennoch hält sich das Narrativ über den Nazi-Kollaborateur in ungarischen regierungsnahen Kreisen hartnäckig - es geht unter anderem zurück auf den deutschen rechtsextremen Verschwörungstheoretiker Andreas von Rétyi, dessen Buch über Soros 2016 in Ungarn bei einem regierungsnahen Verlag erschien und ein Jahr später von einem Sprecher der Orbán-Partei Fidesz als "gründliches, genaues Werk" gelobt wurde.

Konzentrationslager | Auschwitz Birkenau
Ankunft ungarischer Juden im KZ Auschwitz im Juni 1944Bild: picture-alliance/dpa/Mary Evans Picture Library

Der Spekulant, der Millionen ins Elend stürzt?

George Soros war vor mehr als einem halben Jahrhundert einer der Erfinder der Hochrisiko-Anlagestrategien. Sein größter Erfolg, der ihn weltweit berühmt machte, war eine Währungsspekulation gegen das britische Pfund, durch die eine von ihm gemanagte Firma 1992 binnen kürzester Zeit fast eine Milliarde Dollar verdiente. Deshalb wird Soros in Ungarn, auch von Orbán persönlich, als Spekulant bezeichnet, der Millionen Menschen ins Unglück stürzt.

Tatsächlich hat der Absturz des britischen Pfundes vom 16. September 1992 eine komplexe Vorgeschichte, die zu politischen, sozialen und wirtschaftlichen Diskrepanzen führte, lange bevor Soros und andere Investoren daran verdienten. Soros selbst hat sich zwischenzeitlich zu einem der schärfsten Kritiker des modernen Finanzkapitalismus und seiner Auswüchse entwickelt und fordert eine strenge Regulierung der Finanzmärkte.

Schizophrenie?

Da er bis zu seinem privaten Rückzug als Investor dennoch weiterhin Milliarden mit Börsengeschäften verdiente, werfen ihm viele Kritiker Schizophrenie vor. Kritik gab es auch immer wieder daran, dass Fonds, mit denen Soros arbeitet, in Steuerparadiesen registriert sind, oder dass er keine nachhaltigere Investmentstrategie verfolgt wie etwa der norwegische Staatsfonds.

Zugleich hat Soros den größten Teil seines Privatvermögens an seine gemeinnützigen Stiftungen gespendet. Eines seiner Motti lautet: "Ich verdiene gern sehr viel Geld, um es dann für gute Zwecke wieder auszugeben."

Weltwirtschaftsforum Davos | George Soros
George Soros auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2019Bild: Getty Images/AFP/F. Coffrini

Der "Strippenzieher der Welthintergrundmacht"

Seit Mitte der 1980er Jahre unterstützte George Soros die antikommunistische Opposition in Ungarn und gründete die erste seiner „Open Society Foundations" (OSF). Die Stiftungen zur Förderung der offenen Gesellschaft sind heute weltweit vor allem in den Bereichen Demokratieförderung, Menschenrechte, Bildung und Gesundheit aktiv, insgesamt haben sie bisher rund fünfzehn Milliarden Dollar ausgegeben.

Da die OSF auch zahlreiche Nicht-Regierungs- und Bürgerrechtsorganisationen unterstützen, die es als ihre Aufgabe ansehen, Regierungen zu kontrollieren und auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen, bezeichnen viele Machthaber Soros als "Strippenzieher und Anführer einer Welthintergrundmacht", der bei Bedarf sein "Agentennetzwerk" aktiviere und nationale Regierungen angreife. Das ist auch Orbáns Narrativ, der einst selbst Soros-Stipendiat war, so wie die meisten seiner Parteifreunde aus der Fidesz-Anfangszeit.

Das "Soros-Netzwerk" ist jedoch eine Erfindung. In Ungarn gibt es kaum Nicht-Regierungsorganisationen, die ausschließlich von den OSF finanziert werden. Es besteht keine politisch-ideologische Rechenschaftspflicht von Spendenempfängern gegenüber Soros oder seinen Stiftungen. Die OSF selbst werden von Experten und Kennern der NGO-Szene als eine der transparentesten Groß-Stiftungen bezeichnet.

Plant Soros einen Bevölkerungsaustausch in Europa?

Seit der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 behauptet die ungarische Regierung, George Soros wolle Millionen muslimischer Flüchtlinge nach Europa bringen und plane einen Bevölkerungsaustausch. Premier Orbán nennt das den "Soros-Plan" und hat dazu bereits mehrfach landeweite Konsultationen veranstaltet.

Balkanroute Ungarn Tompa Internierungslager für Asylsuchende
Ein ungarischer Polizist patrouilliert 2017 in einem Internierungslager für AsylsuchendeBild: picture-alliance/dpa/S. Ujvari

Die Vorwürfe stützen sich vor allem auf einen Artikel von Soros selbst zur Migrationskrise vom September 2015, in dem er unter anderem eine geordnete und fair verteilte Aufnahme von einer Million Flüchtlingen pro Jahr fordert. Später revidierte er diese Zahl auf 300.000 pro Jahr und forderte außerdem einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen - letzteres verlangt auch Orbán.

Die Details des "Soros-Plans", die von der Orbán-Regierung immer wieder präsentiert werden, sind schlicht erlogen: Mildere Strafen für kriminelle Migranten, zehntausende Euro Sozialhilfe für Flüchtlinge oder die europaweite Zwangsansiedlung von Migranten - all das sind Forderungen, die Soros nie erhoben hat.

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Keno Verseck Redakteur, Autor, Reporter