Welche Folgen haben Angriffe der Ukraine in Tatarstan?
3. April 2024Die Drohnenattacken auf Industrieanlagen im russischen Hinterland werden den Verlauf des Krieges nicht entscheidend ändern, erklärt der Flug- und Drohnenexperte Valeriy Romanenko von der Nationalen Fluguniversität in Kiew im Gespräch mit der Deutschen Welle. Gemeint: die Attacke ukrainischer Verteidigungskräfte gegen Ziele in der russischen Teilrepublik Tatarstan, die sich mehr als 1000 Kilometer jenseits der ukrainisch-russischen Grenze befinden. Zuerst habe auch er geglaubt, dass die jüngsten Angriffe auf eine Ölraffinerie in Nischnekamsk und eine Drohnenfabrik in Jelabuga von Drohnen durchgeführt worden seien, sagt Romanenko. Inzwischen sei er aber davon überzeugt, dass diese mit Hilfe eines Leichtflugzeuges mit Bezeichnung A-22 erfolgten. Diese Leichtflugzeuge würden seit 1999 in der Ukraine hergestellt. "Ihre Zahl ist allerdings sehr begrenzt", meint Romanenko.
Doch unabhängig von der Frage ob Leichtflugzeug oder Drohne, gebe es keine "Wunderwaffe", erklärt der Militärexperte Wolfgang Richter vom "Austrian Institute for European and Security Policy" der DW. Dennoch könne der jüngste Gegenangriff der Ukraine Folgen haben. Zum einen habe die russische Führung bei Kriegsbeginn angekündigt, dass die eigene Bevölkerung von den Kämpfen wenig mitbekommen werde. Jetzt müsse der Kreml zugeben, dass dies nicht mehr stimme. "Zum anderen könnten die Russen durch die ukrainischen Angriffe gezwungen werden, ihre Luftverteidigung auch in den rückwärtigen Gebieten besser aufzustellen." Eine mögliche Folge: Russland könnte die Luftverteidigung in Gebieten entlang der Grenze zur Ukraine oder NATO-Staaten abziehen.
Führen ukrainische Drohnenangriffe zu Gegenreaktionen?
Eine Kriegswende seien die Angriffe der Ukraine auf Ziele im russischen Kernland keineswegs, so Richter. Ähnlich sieht es auch Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Sicher würde die Attacke der Ukrainer die Logistik der Russen sowie den Nachschub schwächen, sagt Meister im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Allerdings glaubt er nicht, dass Russland jetzt bereit sei, Kompromisse einzugehen. Im Gegenteil. Spektakuläre Angriffe der Ukrainer könnten bei den Russen mehr Wut erzeugen und zu Gegenreaktionen führen. Moskau verfüge weiterhin über die größeren Ressourcen, die letztlich für den Kriegsverlauf entscheidend seien.
Valeriy Romanenko zitiert Moskau, wenn er davon spricht, dass Russland bis zu 6000 Drohnen verschiedener Größe selbst herstellen könne. "Dagegen sind es in der Ukraine vielleicht einige hundert", schätzt er. Die russische Kriegsmaschinerie sei weiterhin deutlich größer als die ukrainische.
Angriffe auf Russlands Hinterland: eher Medienerfolg als Kriegswende
Kiew habe nicht nur zu wenig Munition und nicht genügend Waffen. Es herrsche in der Ukraine auch ein Mangel an Truppen, so Meister. Er befürchtet, dass es den russischen Kräften mittelfristig gelingen könnte, an einzelnen Frontabschnitten einen Durchbruch zu erzielen. Kiew habe die jüngste Zeit nicht dafür genutzt, die Verteidigungslinien massiv aufzubauen.
Seiner Meinung nach haben die spektakulären Angriffe der Ukraine auf Ziele im russischen Hinterland zwar eine Medienwirkung, einen psychologischen Effekt. Militärisch würden sie aber kaum etwas bewirken, sagt Meister.
Auf jeden Fall habe die Ukraine das Recht, die russische Infrastruktur zu zerstören, wenn diese die Kampfkraft der russischen Angreifer schwäche, heißt es wiederum aus Kiew von Mykhailo Podolyak. Der Berater des ukrainischen Präsidenten sagte im Interview mit dem Osteuropaprogramm der DW, die Ukraine werde diese Taktik auch nicht ändern.