"Weimar war für mich perfekter Mythos"
25. August 2004Das Kunstfest Weimar (20.8. bis 19.9.2004) hat eine neue Chefin: Nike Wagner. Sie ist eine streitbare Frau, die schon vor Jahren in den berühmt-berüchtigten Querelen um die Bayreuther Festspiele ihre kritische Stimme gegen die Verkrustungen im Wagner-Clan erhoben hat. Jetzt soll die Kulturwissenschaftlerin auch frischen Wind nach Weimar bringen.
Seit Weimar 1999 Kulturhauptstadt Europas war, bemüht sich die Stadt, etwas von dem weltoffenen Flair zu erhalten, das damals dem Provinzstädtchen internationale Beachtung verschaffte. Ein überregionales Kulturfestival sollte dabei helfen, kam aber nie recht in Schwung - finanziell wie inhaltlich. Nike Wagner soll mit neuen Konzepten helfen.
Deutsche Welle: Welche Bedeutung hat Weimar für Sie?
Nike Wagner: Weimar war für mich immer ein Mythos. Ich bin ja ein hartgesottenes Westkind, und als Germanistikstudentin setzte sich mir Weimar im Kopf und in der Imagination fest. Zu meiner Schande muss ich gestehen. ich wusste nicht auf Anhieb, wie man überhaupt nach Weimar kommt. Immerhin ist es 40 Jahre abgeschottet gewesen. Und in meiner Generation hat man sich einfach nicht um den Ostteil von Deutschland gekümmert, was ich sehr bedaure. Weimar war für mich perfekter Mythos, und deswegen hat es auch wunderbar schnell geklappt, den Mythos in Wirklichkeit umzukippen. Ich war sofort begeistert, als man mir angetragen hat, hier ein Festival zu machen.
In Weimar waren nicht nur Goethe und Schiller zu Hause, sondern auch Herder, Nietzsche und Franz Liszt. Bislang zehrten die Kulturfestivals immer vom Mythos der Dichterfürsten, Sie rücken stattdessen den Komponisten Franz Liszt ins Zentrum. Warum? Weil Sie mit ihm verwandt sind?
Nein, es war eher so, dass ich überlegt habe, was könnte am attraktivsten sein für einen Ort, der nicht an den großen Reiserouten liegt. Und das ist eben doch nicht die Literatur, sondern die Musik. Dann hab ich mich entschieden, ein Musikfestival zu machen - und wen finde ich da? Franz Liszt. Es war eher so herum.
Liszts Klavierzyklus "Années de pèlerinage" - Jahre der Pilgerreise - haben Sie als Motto für Ihr "Kunstfest im Aufbruch" ausgewählt. Was hat das Reisemotiv für Sie mit Kunst zu tun?
Kunst ist für mich etwas, das nicht Museumsverwaltung ist, nicht etwas Sesshaftes. Sondern Kunst ist immer etwas Unruhiges, ist im Aufbruch, will zu neuen Ufern, zu neuen Utopien. Darüber hinaus hatte zum Beispiel die Philosophie mit Nietzsche den Status oder die Befindlichkeit des neuzeitlichen Menschen als eines heimatlosen Reisenden immer schon bezeichnet. Das ist das Signum und das Kennzeichen der Moderne, dass keiner mehr irgendwo in einem philosophischen Sinn zu Hause ist.
Die Moderne wird beim diesjährigen Kunstfest tonangebend sein: Musik des Exil-Komponisten Béla Bartók aus dem 20. Jahrhundert, Arbeiten von zeitgenössischen Komponisten wie György Kurtág, Steffen Schleiermacher oder Heiner Goebbels. Ist das nicht zuviel der Herausforderung für die Klassikerstadt Weimar, die mit der Moderne oft über Kreuz lag?
Das ist eine schwierige Frage. Weimar hat keinen besonders guten Ruf zu verteidigen. Hier sind die "Moderne-Bewegungen" immer wieder gescheitert und vertrieben worden. Die letzten waren die Bauhaus-Künstler, die von hier nach Dessau gegangen sind, und dann standen die Nazis ante portas. Also "Moderne-Bewegungen" in Weimar haben es immer schwer gehabt, das muss man sagen, und dennoch: Keine Stadt braucht so sehr die Moderne wie Weimar: Alles Andere haben sie ja ohnehin. Die Museumsschätze und Archive sind ungeheuerlich. Dass man die hüten und pflegen muss, ist selbstverständlich. Aber man muss ja auch umgehen mit den Traditionen, muss sie als Aufforderung verstehen!
Zu den Traditionen von Weimar zählen auch die Brüche: Die Stadt liegt direkt am Ettersberg, wo die Nationalsozialisten im Konzentrationslager Buchenwald Tausende von Menschen ermordeten. Ein Gedenkkonzert, das von nun an jedes Jahr das Festival eröffnen wird, soll an die dunkelste Zeit der Geschichte Weimars erinnern.
Es ist ein Widmungskonzert, kein Konzert, das jetzt draußen in Buchenwald stattfinden und den Horror des Ortes noch ausbeuten will, das möchte es nicht. Es ist ein normales nachdenkliches, schönes Orchesterkonzert. Es gibt nicht so viele Formen, das Gedenken richtig zu machen. Und das ist eine mögliche Form.