Wortspiele auf Weicombo
10. Juni 2014Es passierte an einem Samstagabend im März auf dem Bahnhof der südchinesischen Metropole Kunming. Eine Gruppe von fünf schwarz gekleideten Angreifern ging mit langen Messern auf Reisende los. 29 Menschen wurden getötet und mehr als 130 verletzt, bis Sicherheitskräfte die Angreifer schließlich erschossen.
Ganz China war schockiert. Wang Zuozhongyou verarbeitete den Vorfall mit einem kommentarlosen Bild auf seinem Blog "Weicombo". Er nahm den Namen der Stadt "Kun-ming" auseinander und verzierte das erste Zeichen mit fünf roten Messern. Die Leser sollten selber herausfinden, was er mit der Zeichnung meinte.
Die Tradition des Wortspiels
"Chinesen lieben Wortspiele, sie sind wie Kreuzworträtsel für Deutsche", meint Bobs-Jurymitglied Tien-Chi Martin-Liao. Die chinesische Sprache mit ihrem Lautensystem mache Wangs Bilder besonders spannend: "Jeder denkt: Was will er uns mit dem Rätsel sagen? Es ist ein Intelligenzspiel!"
Nicht nur die chinesische Sprache ist für Wangs künstlerische Auseinandersetzung mit dem Weltgeschehen geeignet. Als die Maschine der Malaysia Airlines im März spurlos auf dem Weg von Kuala Lumpur nach Peking verschwand, veröffentlichte der Künstler eine Kalligraphie mit dem Namen der Maschine des Flugs MH370. Die Ziffer Sieben hatte er aber durch ein rotes Fragezeichen ersetzt.
Wortspiele macht der Künstler auch auf Englisch. Die nordkoreanischen Raketentests, die im Westen immer wieder für Aufregung sorgen, kommentierte er einmal mit dem Wort "North Koready", als Andeutung auf die Kriegsbereitschaft des kommunistischen Landes.
Kreativ und originell
Wangs Rätsel haben auch die internationale Jury des Wettbewerbs "The Bobs – Best of Online-Activism" begeistert: Weicombo gewann im Mai in der Kategorie "Most Creative & Original". Im Interview mit der chinesischen Redaktion der DW sagte der Gewinner, er sei von dieser Auszeichnung sehr überrascht worden. Er bekräftigte, dass er nur seine Meinung zum Ausdruck bringen wolle und "keine politische Motivation" habe. "Meine Artikel sind reine Zufallsprodukte", betonte Wang Zuozhongyou. Jurymitglied Tien-Chi Martin-Liao schätzt an ihm die Kunst, Menschen mit Humor zum Nachdenken zu animieren.
Eine gute Gelegenheit dazu boten im Februar 2014 die olympischen Winterspiele im russischen Sotschi. Es gab eine technische Panne während der Eröffnungszeremonie: Einer der fünf olympischen Ringe versagte seinen Dienst und blieb in der Form eines Sterns anstatt aufzugehen. Wang zeichnete vier olympische Ringe und ersetzte den fünften durch "404", die übliche Fehlermeldung bei nicht auffindbaren Internetseiten. In China bedeutet "404" allerdings auch, dass eine Seite blockiert ist.
"Wang schafft es, auf eine sehr feine Art und Weise, Kritik auszuüben", meint Bobs-Jurymitglied Martin-Liao. Der Künstler überschreite dabei nie Grenzen. Seine Fans könnten ihre eigene Interpretation aus dem Bild lesen.
Die Zensoren sahen rot
Doch jede Medaille hat auch eine Kehrseite. Da Wangs Bilder von jedem frei interpretiert werden können, ist auch er von Zensurmaßnahmen betroffen gewesen. Eine auf dem ersten Blick harmlose Deutschland-Flagge hatte offenbar subversives Potential: "Deutschland" heißt im Chinesischen "Déguó", so wie das Wort "Moral". Und die drei Farben schwarz, rot und gold werden in China anders interpretiert als in Deutschland: "Schwarz steht für den Kampf gegen die Mafia, rot für die roten Lieder der Revolution, gelb für die Beseitigung der Pornographie", erklärt Tien-Chi Martin-Liao. Es sei eine Anspielung auf chinesische Kampagnen für die linke Ausrichtung der Politik und gegen das organisierte Verbrechen und die Prostitution. Die Flagge wurde aber von Online-Aktivisten als Kritik gegen die korrupte Elite benutzt, bis die Plattform Weibo (das chinesische Twitter, Anm. d.Red.) sie von tausenden Konten löschen ließ.
China grüßt seine Geschichte
Meistens hat Wang aber Glück mit seinen Veröffentlichungen, etwa beim Bild mit dem englischen Wort "History". Zwischen "Hi" und "story" setzte er ein Komma, so dass eine neue Bedeutung entstand: "Hi, story" (siehe Bild 3). "Das Bild beschreibt den besonderen Umgang Chinas mit der eigenen Geschichte", sagt Tien-Chi Martin-Liao. Während beispielsweise das Massaker von Tiananmen vor 25 Jahren in China immer noch tabu ist, werden andere historische Ereignisse wie die Kriege gegen Japan zum Zweck der nationalistischen Propaganda missbraucht.
"Man darf privat über so etwas reden. Aber bloß nicht in der Öffentlichkeit, sonst riskiert man die Verhaftung", warnt Tien-Chi Martin-Liao. Jedoch: Der intelligente und feine Humor seiner Rätsel sowie seine fast 235.000 Fans auf seinem Weicombo-Blog sind Wangs bester Schutzmantel.