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Chinesische Leitfigur

Erning Zhu19. Februar 2007

Das amerikanische Nachrichtenmagazin "Time" wählte ihn zwei Mal zum Mann des Jahres und widmete ihm acht Mal die Titelseite: Deng Xiaoping war schon zu Lebzeiten eine Legende.

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Deng Xiaoping 1987
Chinas mächtiger Altpolitiker Deng Xiaoping im Jahre 1987Bild: dpa

Er hatte zwar nie Spitzenämter inne, war aber nach Mao Zedong jahrzehntelang der unbestrittene Lenker der Geschicke Chinas. Die Verwandlung des früheren Rotchina in ein globales kapitalistisches Kraftzentrum ist nicht zuletzt das Werk des nur 1,52 Meter großen Mannes.

Als Bauernsohn am 22. August 1904 in der Provinz Sichuan geboren, ging Deng im Alter von 16 Jahren zum Studium nach Frankreich, wo er zum ersten Mal mit der marxistischen Lehre in Berührung kam. Er trat in die Kommunistische Partei ein. Zurück in China begann er 1926, sich der Revolution zu widmen, zunächst noch neben seinen zivilen Berufen, dann ausschließlich im Untergrund. In den späteren Kämpfen gegen die Japaner und danach im Bürgerkrieg bewies er sein herausragendes organisatorisches und vor allem militärisches Talent.

Revisionist Nr. 2

Besucher vor der Bronzestatue von Deng Yiaoping
Enthüllung einer Bronzestatue zum 100. Geburtstag 2004 in Guangan, Dengs HeimatstadtBild: AP

1952 holte Mao Deng Xiaoping von Südwest-China nach Peking. In den Folgejahren konnte er zwar die Gunst Maos gewinnen, der sein Talent bewunderte, aber nicht dessen Vertrauen. Während der Kulturrevolution bezog er eine gemäßigte Position, wurde aber dennoch als Revisionist Nr. 2 gebrandmarkt. Er wurde aller seiner Ämter enthoben, behielt aber die Parteimitgliedschaft - anders etwa als Liu Shaoqi, Staatspräsident und Revisionist Nr. 1. Dieser wurde aus der Partei ausgeschlossen und bis zu seinem Tod in Haft gehalten.

Deng Xiaoping hatte große Ambitionen. Nach dem Tod von Lin Biao, der als legitimer Nachfolger von Mao gehandelt wurde, schrieb Deng im August 1972 direkt an Mao und bat um Verzeihung für seine "Fehler der Vergangenheit". Seine Unterwürfigkeit hatte Erfolg: Im Februar 1973 wurde er nach Peking zurückgerufen und arbeitete kurz danach als Vizepremier für den schwerkranken Ministerpräsidenten Zhou Enlai.

Reformen für mehr Wohlstand

Als Deng 1976 nach dem Tod Mao Zedongs schließlich faktisch an die Macht gelangte, konnte er seine pragmatischen Reformideen endlich in Politik, Wirtschaft und den Außenbeziehungen seines Landes zur Geltung bringen. "Wir müssen das gegenwärtige Wirtschaftssystem, soweit es uns behindert, systematisch reformieren. Die Unternehmen müssen sich schrittweise auf die neue Technologie einstellen. Wir müssen Wissenschaft und Technik verstärkt vorantreiben, und die Bildung der ganzen Bevölkerung muss verbessert werden", forderte Deng.

Dengs hochgestecktes Ziel war es, bis zum Ende des 20. Jahrhunderts für jeden Chinesen den so genannten kleinen Wohlstand zu erreichen, mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 800 US-Dollar. Er propagierte das Modell der sozialistischen Modernisierung mit chinesischen Merkmalen. Dazu gehörte die Verbindung von Marktwirtschaft und sozialistischer Lenkung.

Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt erinnert sich an verschiedene Gespräche mit Deng: "Da war Mao tot, Deng war ein freier Mann. Er war geistig und politisch die beherrschende Figur in China, obwohl er keine Ämter an der Spitze des Staates hatte. In diesen Gesprächen hat Deng Xiaoping einen tiefen Eindruck auf mich gemacht. Ein Mann mit erstaunlich gutem ökonomischen Instinkt. Der Aufschwung Chinas in den letzten 20 Jahren ist ihm zu verdanken."

Deng führte China aus der Isolation

Eine Chinesin geht an Dengs Wachsfigur vorbei
Deng Xiaoping (rechts) hat Eingang in das Pekinger Wachsfigurenkabinett gefundenBild: AP

Nach dem historischen Peking-Besuch von US-Präsident Nixon im Jahr 1972 besuchte Deng Xiaoping 1979 als erster chinesischer Spitzenpolitiker Washington und normalisierte die Beziehungen zwischen beiden Ländern. Erstmals stellte er 1981 einer US-Delegation sein neues Konzept "Ein Land mit zwei Systemen" vor, in der Hoffnung, zu einer Einigung mit Taiwan zu gelangen. Es war diese Strategie, die bei den Verhandlungen mit den Briten im Falle Hongkongs später zum Erfolg führte. Die Kron-Kolonie wurde am 1. Juli 1997 offiziell wieder Teil der Volksrepublik. Kurz danach folgte die ehemals portugiesische Kolonie Macao diesem Beispiel.

Deng Xiaoping wollte sein Land öffnen und schickte viele junge Studenten ins westliche Ausland. Dabei riskierte er durchaus bewusst, dass viele von ihnen in ihren Gastländern blieben. Deng ging davon aus, dass seine Rechnung langfristig trotzdem aufgehen würde und jeder Versuch, diesen Austausch zu beenden, dem Land nur schaden könnte.

Schere zwischen Arm und Reich nicht verhindert

Ganz anders als Mao, der ohne zu zögern erst alles Alte zerstörte, um Neues aufzubauen, ging Deng behutsam vor. Er zerstörte nicht, er reformierte. Sein Leitspruch war: Den Fluss überqueren, indem man nach den Steinen tastet. So tastete er sich bei den ersten Reformen in der Landwirtschaft voran. In kürzester Zeit stieg der Lebensstandard der chinesischen Bauern sichtbar. Die von ihm in den 1980er-Jahren auf den Weg gebrachten ökonomischen Reformen haben rasch zum Aufschwung Chinas geführt und den späteren Aufstieg des Landes erst möglich gemacht.

Doch die Probleme dieser Politik blieben freilich nicht aus. Die chinesische Gesellschaft klafft seither immer weiter auseinander, die Zahl der Reichen steigt sprunghaft, aber gleichzeitig auch die der Armen. Die Korruption ist allgegenwärtig.

Niederschlagung der Studentenbewegung

Studentendemonstrationen auf dem Pekinger Tiananmen-Platz im Mai 1989
Studentendemonstrationen auf dem Pekinger Tiananmen-Platz im Mai 1989Bild: AP

Als Reformer großen Stils unterscheidet sich Deng in einem wichtigen Punkt von dem Russen Michail Gorbatschow. Deng befürwortete Reformen nur in ökonomischen Bereichen und stellte das politische System nie in Frage. Mit der zunehmenden Liberalisierung der Wirtschaft verlangten die Menschen aber zunehmend nach Freiheit auch in allen anderen Lebensbereichen. Das war die eigentliche Ursache der Studentenbewegung 1989. Die blutige Niederschlagung dieser Bewegung trug Dengs Handschrift.

Im Jahre 1992, als der Reformeifer im Lande zu erlahmen schien, hat Deng als 88-Jähriger noch einmal eine große Reise nach Südchina unternommen. Weit entfernt vom Machtzentrum Peking wollte er ein letztes Mal seinen Geist pragmatischen Reformwillens verbreiten. Er pries den wirtschaftlichen Aufbau und das rasante Entwicklungstempo in den Sonderzonen. Historiker halten diese Reise für seinen letzten Versuch, die Beharrungskräfte des Landes zu schwächen und trotz seiner Rolle bei der Niederschlagung der Studentenproteste von 1989 als großer Reformer in die Geschichte Chinas einzugehen.