Was ist 'Peak Oil' und wann sinkt die Nachfrage nach Öl?
22. November 2024Im Jahr 1956 prognostizierte der US-amerikanische Geowissenschaftler M. King Hubbert, Angestellter bei Shell, dass die globale Rohölproduktion um das Jahr 2000 ihren Höhepunkt erreichen würde. Danach würde sie abnehmen und schließlich ganz versiegen, das ergaben seine Berechnungen nach statistischen Modellen der damals bekannten Ölreserven.
Ein Schock für die Erdölindustrie, denn Öl war damals der Treibstoff, der die boomende Weltwirtschaft antrieb. Viele Menschen waren besorgt. Man sprach über eine wirtschaftliches Desaster, eine globale Finanzkrise und sogar den vollständigen Zusammenbruch.
Wie wir heute wissen, hat sich Hubberts Vorhersage nicht bewahrheitet. Die Förderung leicht zugänglicher Ölreserven erreichte zwar im frühen 21. Jahrhundert ein Maximum. Doch dank neuer Technologien konnten die Konzerne seither fast jedes Jahr mehr Öl fördern - 2023 betrug die weltweite Fördermenge rekordträchtige 96,4 Millionen Barrel pro Tag.
Eine dieser Technologien ist das hydraulische Fracking. Bei diesem Verfahren werden Wasser und Chemikalien in Gestein injiziert. Dadurch entstehen viele kleine Risse, durch die im Gestein eingeschlossenes Öl und Gas entweichen können. Fracking nahm in den USA in den frühen 2000er Jahren Fahrt auf. Dort wird inzwischen mehr Öl gefördert als in jedem anderen Land der Erde.
Obwohl uns heute mehr Öl zur Verfügung steht als je zuvor, hat sich der Begriff 'Peak Oil' gehalten. Die Definition des Begriffs hat sich jedoch verschoben, und Branchenbeobachter sprechen zunehmend von 'Peak Extraction', also dem Maximum der Förderung.
"Vor etwa 15 bis 20 Jahren gab es die Sorge, dass das Ölangebot seinen Höhepunkt erreichen würde. Dass wir danach nicht mehr genügend Öl haben würden", sagt Atul Arya, Chefenergiestratege bei den Finanzanalysten S&P Global, zu DW. "Jetzt ist die Sorge eine andere: Nämlich dass wir einen Höhepunkt, oder ein Plateau in der Nachfrage erreichen werden."
Erneuerbare Energien überholen Öl und Gas
Die Nachfrage nach erneuerbaren Energien hat begonnen, traditionelle Brennstoffquellen zu überholen. Im Jahr 2023 erreichte der weltweite Ausbau von Kapazitäten für grüne Energie - also Strom aus Solar-, Wind- und anderen erneuerbaren Quellen - einen neuen Höchststand und verzeichnete damit die schnellste Wachstumsrate der letzten 20 Jahre, so die Internationale Energieagentur (IEA).
Ein Großteil geht auf das explosionsartige Wachstum der Solarindustrie zurück, insbesondere in China. Seit dem Jahr 2000 ist der Anteil der erneuerbaren Energien am globalen Strommix von 19 Prozent auf über 30 Prozent gestiegen, berichtete der Energiedenkfabrik Ember in einem Bericht vom Mai 2024. Dort wird prognostiziert, dass die Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen wahrscheinlich in diesem Jahr ihren Höhepunkt erreichen würde.
"Dies ist ein kritischer Wendepunkt: Die veralteten Technologien des letzten Jahrhunderts können nicht mehr mit den exponentiellen Innovationen und den sinkenden Kostenkurven bei erneuerbaren Energien und Speichertechnologien konkurrieren", so Christiana Figueres, ehemalige Leiterin der UN-Klimaverhandlungen, im Ember-Bericht.
Die Investitionen in erneuerbare Energien steigen, die Kosten für grünen Strom sinken und die Verkäufe von Elektrofahrzeugen nehmen jedes Jahr stetig zu. Experten gehen davon aus, dass Elektrofahrzeuge bis zum Jahr 2030 zwischen der Hälfte und zwei Drittel aller Autoverkäufe ausmachen werden.
Der World Energy Investment Report 2024 der IEA zeigt, dass die Finanzierung sauberer Technologien - die 2023 erstmals die Investitionen in fossile Brennstoffe übertraf - in diesem Jahr 2 Billionen Dollar (1,8 Billionen Euro) erreichen wird. Dabei fließen voraussichtlich mehr als eine Billion Dollar in Kohle, Gas und Öl.
Der Anfang vom Ende für Öl und Gas?
Um die Emissionen effektiv zu senken und die globale Erwärmung möglichst gering zu halten, fordern Klimaexperten ein schnelles Ende der Nutzung fossiler Brennstoffe - je früher, desto besser. Eine in der Zeitschrift Nature veröffentlichte Studie aus dem Jahr 2015 schätzt, dass zwischen 2010 und 2050 rund ein Drittel der weltweiten Ölreserven, die Hälfte der Gasreserven und mehr als 80 Prozent der Kohlereserven unangetastet bleiben müssen, um die Erwärmung auf unter 2 Grad Celsius zu beschränken.
Auch wirtschaftliche Überlegungen könnten Unternehmen dazu bewegen, ihre Bohraktivitäten einzuschränken. Die Internationale Energieagentur (IEA) stellte im Oktober 2024 fest, dass der Aufschwung der erneuerbaren Energien stark genug ist, um schon bis 2030 den Höhepunkt der Nachfrage nach allen fossilen Brennstoffen zu erreichen - selbst in einem Szenario mit minimalem Klimaschutz. Ab 2030, so der Bericht der IEA, wird es deutlich schwerer, teure neue Projekte für fossile Energien wirtschaftlich zu rechtfertigen.
In ihrem World Energy Outlook betonte die IEA außerdem, dass Klimaziele nicht der einzige Antrieb für den Ausbau sauberer Energien sind. Kostenaspekte und "ein intensiver Wettbewerb um die Führung in sauberen Energiesektoren, die wichtige Quellen für Innovation, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung darstellen," spielen laut dem Bericht eine entscheidende Rolle.
Tatsächlich haben einige Investoren - darunter große Pensionsfonds in den USA und Europa - begonnen, sich von fossilen Brennstoffen abzuwenden. Der Grund dafür liegt nicht nur im öffentlichen Druck, Klimaziele zu erreichen, sondern auch im gestiegenen finanziellen Risiko solcher Finanzanlagen.
Dennoch halten viele Ölkonzerne an fossilen Brennstoffen fest.
Die Daten würden "darauf hindeuten, dass alle Unternehmen, außer vielleicht BP, die Ölproduktion weiter ausbauen", so Faye Holder vom Klima-Thinktank Influence Map, die an einem Bericht über die Kommunikation und die Aussagen der Ölkonzerne zu ihren Zielen im Bereich erneuerbarer Energien mitgearbeitet hat.
So werde TotalEnergies im Jahr 2022 etwa ein Viertel seiner Investitionen - einschließlich Grundstücken, Produktionsanlagen und Ausrüstung - für erneuerbare Energien und Strom verwenden, sagt Holder.
Auch staatliche Ölunternehmen setzen weiter auf die Einnahmen aus fossilen Brennstoffen, obwohl neu genehmigte Projekte möglicherweise nie rentabel sein werden. Der Aufbau der Infrastruktur an neuen Standorten dauert Jahre. Und bis diese startklar für Bohrungen sind, könnten sie aufgrund der sinkenden Kosten für erneuerbare Energien bereits zu 'stranded assets' geworden sein - Investitionen, die ihren Wert verloren haben.
"Diese Diskrepanz ist für die Aktionäre alarmierend", hieß es von Mark van Baal, dem Gründer der in Amsterdam ansässigen Aktionärsgruppe Follow This, in einer Erklärung vom 16. Oktober. "Die großen Ölkonzerne ignorieren die Szenarien der IEA und gefährden den Aktionärswert, indem sie an veralteten Expansionsstrategien für fossile Brennstoffe festhalten."
Laut Mike Coffin, der das Analystenteam für Öl, Gas und Bergbau bei der New Yorker Denkfabrik Carbon Tracker leitet, "könnten für einige Länder 30 bis 40 Prozent des gesamten Haushaltsbudgets gefährdet sein, wenn es zur Wende kommt oder die Ölpreise fallen. Das wird massive Auswirkungen auf die Wirtschaft dieser Länder haben und vor allem auf den Lebensstandard in diesen Ländern".
Und diese Auswirkungen könnten auch die einzelnen Bürger direkt treffen. Trotz einiger bemerkenswerter Ausnahmen sind viele Pensionsfonds weltweit noch immer in Öl und Gas investiert. Wenn diese Unternehmen ins Wanken kommen, könnten Millionen von Menschen im Alter in finanzielle Schwierigkeiten geraten.
"All das wird uns helfen, vom Öl wegzukommen", so Arya von S&P. "Aber das wird nicht über Nacht geschehen."
Laut aller Prognosen wird die Welt noch eine Weile weiter Öl und Gas benötigen.
Fossile Brennstoffe spielen weiterhin eine Rolle, um die Stromversorgung sicherzustellen, wenn Wind- und Solarenergie nicht verfügbar sind. Und auch die Dekarbonisierung in einigen energieintensiven Branchen ist noch schwierig - wie etwa in der Schifffahrt und Luftfahrt sowie bei der Herstellung von Zement, Stahl und Chemikalien.
Und es müssen effizientere Wege gefunden werden, um erneuerbare Energie zu transportieren und zu speichern, bevor wir aufhören können, Öl, Kohle und Gas zu verbrennen.
Doch "Die Welt muss sich nicht zwischen der Sicherstellung zuverlässiger Energieversorgung und der Bewältigung der Klimakrise entscheiden", schrieb Exekutivdirektor Fatih Birol im IEA-Bericht vom Oktober. "Sauberer Strom ist die Zukunft."
Martin Kübler hat zum Artikel beigetragen.
Der Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert