Plagiatsaffären
26. Mai 2011An der Bonner Uni wirkt alles wie immer. Studenten, die spät dran sind, suchen noch schnell ihren Hörsaal. Ein paar andere tauschen Details aus über die Party vom Vorabend. Im Hauptgebäude der Uni Bonn geht alles seinen Gang. Von Aufregung oder Anspannung keine Spur. Dabei ist gerade durch alle Medien gegangen, dass auch der Politiker Jorgo Chatzimarkakis Teile seiner Doktorarbeit nicht richtig zitiert haben soll. Der FDP-Politiker und Europaabgeordnete hatte im Jahr 2000 hier an der Uni Bonn promoviert. Die Internetplattform Vroniplag will nun in 45 Prozent seiner Arbeit Plagiate gefunden haben. Eine Kommission der Universität prüft das derzeit; auf Bitten des Politikers, wie es heißt. Seit Ex-Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg seinen Posten aufgeben musste, weil man ihm Täuschung in seiner Doktorarbeit nachgewiesen hatte, nehmen die Fälle von Plagiatsvorwürfen auch bei anderen Politikern kein Ende.
Kontrolle ja, Aufregung nein
Doch die Studierenden in Bonn reagieren gelassen. Draußen vor dem Unigebäude haben sich ein paar von ihnen auf die Wiese gesetzt und genießen das sonnige Frühlingswetter. An ihrem Alltag habe sich bisher nicht viel verändert. "Wenn man schon vorher nicht abgeschrieben hat, dann betrifft einen das nicht so sehr", sagt John Venghaus, Bachelorstudent in den Fächern Politik und Gesellschaft. Er achte mittlerweile nur etwas genauer darauf, dass er bei seinen Arbeiten die Zitate richtig kennzeichne. Auch die angehende Asienwissenschaftlerin Sümeyra Layik reagiert gelassen. Was Plagiate sind, habe die Studierenden bereits im ersten Semester gelernt: "Wenn das jetzt auch bei uns Studenten krampfhaft überprüft wird, wäre das etwas übertrieben." Nur Jurastudentin Jeanette, die nicht mit vollem Namen genannt werden will, fühlt sich verunsichert: "Ich gehe schon mit einem negativeren Gefühl in die Uni. Ich habe das Gefühl, ich muss jedes Wort kontrollieren."
Viele Unis nutzen Plagiat-Software
Dabei sind die fragwürdigen Doktortitel von Politikern nicht der erste Skandal an deutschen Hochschulen. Bereits 2009 wurde bekannt, dass deutschlandweit etwa 100 Professoren unfähige Doktoranden zur Promotion zugelassen hatten, um dafür eine Geldsumme zu kassieren. Auch die Universität Münster war damals betroffen: Vier Namen im bundesweiten Verfahren um den Handel mit Doktortiteln wurden überprüft. Die heutige Prorektorin Marianne Ravenstein hält solche Fälle aber für die Ausnahme. "Die Uni Münster hat sich nicht erst angesichts der aktuellen Doktoraffären von Politikern mit der Problematik der Plagiate befasst." Um mögliche Plagiate aufzuspüren, hat die Hochschule bereits 2007 eine entsprechende Software zur Verfügung gestellt. Allerdings ist es Fachbereichen und Instituten selbst überlassen, ob sie diese nutzen. Inzwischen verlangen viele Fächer von den Studierenden, dass sie ihre Examensarbeiten auch als CD-Rom einreichen.
"Angesichts der aktuellen Debatte haben wir unseren Fachbereichen empfohlen, ihre Promotionsordnungen entsprechend zu ändern", sagt Marianne Ravenstein. Reichen die Doktoranden ihre Arbeit auch in elektronischer Form ein, so kann bei einem Plagiatsverdacht die entsprechende Software angewendet werden. Marianne Ravenstein sieht jedoch nicht nur die Doktoranden in der Pflicht. Auch die Betreuung durch die Professoren müsse verbindlicher geregelt werden: "Wir plädieren deshalb für ein strukturiertes Promotionsverfahren." Dabei wird vorher individuell festgelegt, in welchem Umfang die Doktoranden betreut werden. Das würde dann auch vertraglich festgehalten zwischen Doktorvater und Promovierendem.
Doktortitel verkommt zum schmückenden Beiwerk
Auch die Verantwortlichen der Universität Bonn überlegen derzeit, wie sie die Wissenschaft vor Regelverstößen schützen können. Günther Schulz ist Dekan der Philosophischen Fakultät. Wie viele seiner Kollegen verwendet er eine Plagiat-Software: "Das Problem ist das Abwägen, gerade bei relativ unerfahrenen Studierenden." Diese lehnten sich oft aus Unsicherheit an Texte aus dem Internet an. "Da leisten wir eine Aufklärungs- und Verpflichtungsarbeit zum Selbstdenken", sagt der Dekan. Schließlich sei es neben der wissenschaftlichen Arbeit die zentrale Aufgabe eines Dozenten, die Studenten zu einer eigenen Meinung anzuregen. Dazu gehöre eben auch, jede Art von Quellen und Standpunkten kritisch zu hinterfragen. "Die aktuelle Debatte über Plagiate hat daher eine segensreiche Wirkung auf die Studierenden." Sie seien sensibler geworden und hätten mehr Respekt vor der Arbeit ihrer Vorgänger. Ihre Zitate würden die Studierenden nun deutlicher kennzeichnen.
Wenn der Doktortitel an Wert verloren hat, dann habe das ganz andere Ursachen, sagt Günther Schulz: "Er ist zu viel verbreitet worden." Früher sei die Promotion nur eine Voraussetzung für eine wissenschaftliche Karriere gewesen, heute diene sie oft als schmückendes Beiwerk im Beruf. Man stehe finanziell im Beruf besser da, und auch die Aufstiegsmöglichkeiten seien leichter mit einem Doktortitel. Deshalb bestehe hier der eigentliche Handlungsbedarf, meint Günter Schulz. Um zu vermeiden, dass der Doktortitel weiter entwertet wird, rät er seinen Promovierenden davon ab, Promotion und Beruf parallel zu verfolgen: "Sorgfältiges wissenschaftliches Arbeiten verlangt volle Konzentration. Und neben einem Beruf, so wie er uns heute fordert, noch die Doktorarbeit zu schreiben, ist eine fast übermenschliche Anstrengung."
Autorin: Elisabeth Jahn
Redaktion: Gaby Reucher