Was bringen Sanktionen gegen Iran und Russland?
26. April 2024Der Iran weiß es, China weiß es und die US-Regierung weiß es offenbar auch: Trotz bestehender Sanktionen gegen die Ölwirtschaft der Islamischen Republik wird Öl aus dem Iran in Rekordhöhe ins Reich der Mitte verschifft.
"Wenn man der chinesischen Regierung glaubt, importiert das Land kein Öl aus dem Iran. Null. Kein einziges Barrel. Stattdessen importiert es viel malaysisches Rohöl. So viel, dass das Land nach offiziellen chinesischen Zolldaten mehr als doppelt so viel malaysisches Öl kauft, wie Malaysia tatsächlich produziert", beschreibt der Rohstoff-Spezialist Javier Blas den Etikettenschwindel im Nachrichtenportal Bloomberg.
Mit einem einfachen Trick, so Blas, wird aus iranischem Rohöl malaysisches. Laut Ölhändlern sei das "der einfachste und billigste Weg, die US-Sanktionen zu umgehen". Und so wurde aus Malaysia im vergangenen Jahr Chinas viertgrößter ausländischer Öllieferant, hinter Saudi-Arabien, Russland und dem Irak.
Als Dreh- und Angelpunkt für die Umgehung von Sanktionen nutzt der Iran seit vielen Jahren die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Über Dubai kommen häufig die Waren in die Islamische Republik, die auf langen Verbotslisten der USA oder der Europäischen Union stehen. Dazu werden verbotene Öllieferungen über die Emirate eingefädelt und abgewickelt.
Ganz gleich, ob es um Ersatzteile für Fahrzeuge oder Flugzeuge geht: Längst hat der Iran seine Lieferketten so modifiziert, dass man über Handels- und Finanzplätze wie Dubai alles beschaffen kann, wofür es im Iran eine Nachfrage gibt. Das ist zwar teurer als der direkte Import. Aber die westlichen Sanktionen, vor allem die der USA, werden so seit vielen Jahren umgangen.
Umschlagplatz Zentralasien
Auch Russland verfügt über solche Umschlagplätze für sanktionierte Güter. Auch hier gibt es kaum ein Produkt, das nicht über ein Drittland beschafft werden kann: Etwa Ersatzteile für deutsche Luxus-Autos oder elektronische Bauteile, die zur Steuerung von Waffen gebraucht werden. Eine Schlüsselrolle spielen dabei frühere Sowjetrepubliken in Zentralasien. Moskaus Vorteil dabei: Die Russische Föderation ist mit Ländern wie Kasachstan oder Kirgisistan in einer Zollunion verbunden, in der der grenzüberschreitende Warenverkehr ein Kinderspiel ist.
So gelangen sanktionierte Produkte aus dem Westen, die nach den Sanktionen tabu für Russland sind, nahezu ungehindert über internationale Grenzen. Kontrolle? Fast unmöglich. Allein die Grenze zwischen der Russischen Föderation und Kasachstan ist rund 7500 Kilometer lang. Auch Armenien ist so ein Beispiel: Um knapp 1000 Prozent legte der Verkauf deutscher Autos und Autoteile im vergangenen Jahr zu.
Seit der Verhängung des mittlerweile 13. Sanktionspakets der EU gegen Moskau am 22. Februar 2024 ist Russland weltweit das Land, das mit den meisten Sanktionen belegt ist. Das belegen Zahlen von Castellum.AI, einer privatwirtschaftlichen Compliance-Plattform aus den USA. Und trotzdem führt Russland seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine weiter und die russische Wirtschaft ist alles andere als zusammengebrochen.
Gerade erst hat die russische Regierung ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr von 2,3 auf 2,8 Prozent angehoben. Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht sogar von einem Plus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 3,2 Prozent aus. Die Begründung ist für westliche Sanktions-Befürworter ernüchternd: Hohe Staatsausgaben und Investitionen im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine sowie - trotz westlicher Sanktionen - hohe Einnahmen aus dem Ölexport würden Russlands Wirtschaft antreiben, so der der IWF.
Noch nie so viele Sanktionen verhängt
Der Iran war bis zum Kriegsausbruch in der Ukraine das am stärksten sanktionierte Land der Welt - bis zum Angriff Russlands auf die Ukraine. Danach wurden von den USA und der EU immer neue Sanktionsrunden beschlossen. Mittlerweile unterliegt Russland mehr als 5000 verschiedenen gezielten Sanktionen, mehr als der Iran, Venezuela, Myanmar und Kuba zusammen.
Die Sanktionen, die als Reaktion auf Putins Angriffskrieg verhängt wurden, richten sich gegen Politiker und Beamte (einschließlich Putin selbst), Oligarchen, Großunternehmen, Finanzinstitute und den militärisch-industriellen Komplex, listet Castellum.AI auf. Ergänzt werden sie durch weitreichende Sanktionen im Finanzbereich, die den Zugang russischer Banken zu den internationalen Finanzmärkten einschränken - etwa durch den Ausschluss vom System für den internationalen Zahlungsverkehr Swift. Außerdem verwehren die Zwangsmaßnahmen der russischen Zentralbank den Zugriff auf Währungsreserven und Goldbestände, die sich in den G7-Ländern befinden.
Der Haken daran ist, dass nur die Sanktionen, die vom UN-Sicherheitsrat verhängt werden, auch völkerrechtlich bindend sind. Und dass es eben eine ganze Reihe von Staaten wie Indien, Brasilien oder China gibt, die sich diesen Sanktionen nicht anschließen.
Kaum eine Alternative
Warum also immer neue Sanktionen verhängen, wenn ihr Ziel, das Verhalten von Staaten zu ändern, nicht erreicht werden kann? "Wir leben im Zeitalter der Sanktionen. Wenn keine Sanktionen verhängt werden würden, wäre das schon fast wie eine unausgesprochene Unterstützung. Oder als ob man auf diesen völkerrechtswidrigen Angriff gar nicht antworten würde", sagt Christian von Soest, Sanktions-Experte vom German Institute for Global and Area Studies (GIGA) im Interview mit der DW.
Für den Autor des Buches Sanktionen: Mächtige Waffe oder hilfloses Manöver?, das vor einem Jahr erschienen ist, haben zwar die Sanktionen nicht zu einer Änderung des Verhaltens Russlands oder des Iran geführt. Doch die USA und die EU sind dabei, ihre Maßnahmen nachzuschärfen. So bereiten die USA nach einem Bericht des Wall Street Journal Sanktionen gegen eine Reihe von chinesischen Banken vor, um sie vom weltweiten Finanzsystem auszuschließen. Die Behörden wollen so Pekings Finanzhilfen für die russische Rüstungsproduktion unterbinden, berichtet die US-Finanzzeitung unter Berufung auf "mit der Angelegenheit vertraute Personen".
Auch die EU hat sich neu formiert, um ihre Sanktionen besser durchzusetzen. So gibt es seit Januar 2023 mit dem Top-Diplomaten David O'Sullivan einen EU-Sanktionsbeauftragten. "Seine Aufgabe ist es zum Beispiel auch, in die Post-Sowjetstaaten in der Nachbarschaft von Russland zu reisen und die Regierungen dort zu überzeugen, die Sanktionen stärker durchzusetzen", erklärt Christian von Soest.
"Es gibt jetzt auch eine sogenannte No Russia Clause, mit der man Exporteure dazu zwingen will, nachzuweisen, dass die gelieferten Güter, Maschinen, Fahrzeuge, Autoteile, eben nicht nach Russland weitergehen. Eine solche Endverbleibs-Klausel kennen wir aus dem Kriegswaffenkontrollgesetz", fügt der Sanktions-Experte hinzu.
Auch im Fall der Vereinigten Arabischen Emirate steigt der Druck: "Die VAE sind zu einem Zufluchtsort für die Umgehung iranischer und russischer Sanktionen geworden", konstatiert die US-Denkfabrik Atlantic Council. Deshalb hat die Financial Action Task Force (FATF), ein internationales Koordinierungsgremium, das von den G7, der EU und der Industriestaatenorganisation OECD zur Bekämpfung von Geldwäsche gegründet wurde, die VAE auf die so genannte graue Liste gesetzt. Auf dieser Liste landen Länder, in denen die FATF-Ermittler ein erhöhtes Risiko für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung sehen.
"Man hat das generelle Problem erkannt, dass es Ausweichmöglichkeiten sowohl für Russland, aber auch für den Iran gibt, die Sanktionen zu umgehen", sagt Christian von Soest. Jetzt müsse man sehen, was die verschiedenen Maßnahmen bringen.