Was Araber lesen - oder auch nicht
10. Dezember 2005Der Arab Human Development Report 2003 des Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) hat es gezeigt: In der arabischen Welt herrscht Bildungsnotstand. Es fehlt aber nicht nur an Büchern und Übersetzungen, sondern auch die Lesekultur liegt brach, wie eine auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellte Studie zeigt.
Die Nichtregierungsorganisation Next Page Foundation (NGO) unterstützt seit vielen Jahre Übersetzungen und Veröffentlichungen von Literatur in über 35 Ländern. In Zusammenarbeit mit der deutschen Thalassa Consulting in Amman/Jordanien wurde nun eine breit angelegte Studie über das Leseverhalten in zehn arabischen Staaten ausgearbeitet, wofür 5000 Lesekundige befragt wurden.
"Es gab zum Leseverhalten in der gesamten arabischen Welt keinerlei Informationen", sagt die Projekt-Koordinatorin Natasha Mullins von Next Page. "Unsere Informationen sind klare Angaben für die Entwicklung von Wissen in dieser Region.“ Sie sollen arabischen Verlegern zur Verfügung gestellt werden – und eine öffentliche Diskussion in Gang bringen. Der nun vorgestellte erste Teil behandelt die Länder Ägypten, Libanon, Marokko, Tunesien und Saudi-Arabien. Im Januar 2006 wird der zweite Teil der Studie vorgestellt, der sich dann mit Syrien, Jordanien, der Palästinensischen Autonomiegebieten, Algerien und dem Jemen befasst.
Warum lesen die nicht, die es können?
Ziel der empirischen Studie war es, Daten zu Lese-Gewohnheiten und Lese-Einstellungen in der arabischen Welt zu Tage zu fördern, Kauf-Gewohnheiten zu erforschen und zu hinterfragen: Warum lesen die nicht, die es können?
"Überraschend war, dass Länder wie Tunesien, Marokko und der Libanon, die als relativ weit entwickelt gelten, mit 50 Prozent einen geringen Anteil an Lesenden aufweisen", erklärt Gregor Meiering, Direktor von Thalassa Consulting. "Erstaunlich, weil der Libanon ein großer Produzent von Büchern und Print-Medien ist." In Saudi-Arabien und Ägypten hingegen lesen etwa 90 Prozent der Lesekundigen.
Leser bevorzugen vor allem Tageszeitungen und Magazine, Bücher sind weniger beliebt. "Themen wie Literatur und Kultur finden zwar Zuspruch, aber das Interesse an Literatur übersetzt sich leider nicht ins Lesen ", sagt Meiering. Widersprüchlich erscheint, dass die Befragten Politik als Thema wenig interessiert, das politische Buch sich hingegen vergleichsweise gut verkauft.
Hoch im Kurs stehen religiöse Bücher. Ausländische Literatur wird gerne gelesen, da man sie für qualitativ besser hält. Bei der Frage nach einem Lieblingsautor oder Lieblingsbuch wurde von den 5000 Befragten etwa 4700 verschiedene Antworten genannt. Der einzig nennenswert oft genannte Autor ist Khalil Joubran.
Was kann man tun?
Das große Problem der Leseförderung wird von der vorliegenden Studie aufgezeigt: Nicht-Leser gaben zumeist an, in der Schule das erste Mal überhaupt mit dem Lesen in Kontakt gekommen zu sein. Mit Verlassen der Schule endet bei den meisten Befragten dann auch wieder das Interesse am Buch – ein schlechtes Zeugnis für Eltern, Schulen, Lehrer und Schulbücher.
Es gibt zwar bereits einige Programme zur Förderung der Lesekultur ebenso wie Literatur-Sendungen, was fehlt sind Initiativen im Bereich Erziehung. "Es geht vor allem um Jugendbücher. Diese müssen interessanter geschrieben und gestaltet werden, damit die Schüler nach der Schule weiter lesen", sagt Meiering.
Vielleicht würde sich dann auch die Haltung zum Lesen ändern: "Keine Zeit", war eine stark genutzte Antwort auf die Frage warum man nicht liest. Und Marokko steht mit 65 Prozent der Befragten Nicht-Leser an der Spitze derer, die Lesen für "harte Arbeit" halten.