Warum reist Martin Schulz nach Italien?
27. Juli 2017Martin Schulz, SPD-Kanzlerkandidat und damit Herausforderer für Kanzlerin Angela Merkel, warnt seit Tagen vor einer neuen großen Flüchtlingskrise. Angela Merkel sei untätig, so seine Kritik. Sein Augenmerk richtet der Herausforderer auf die Situation in Italien. Doch wie schlimm ist die Situation an der italienischen Mittelmeerküste wirklich?
"Bei aller Dynamik ist Italien im laufenden Jahr ungefähr mit der gleichen Zahl von ankommenden Flüchtlingen konfrontiert wie Deutschland", betonte am Mittwoch ein Sprecher des Bundesinnenministeriums bei der Regierungspressekonferenz in Berlin. Konkret: Rund 94.000 Flüchtlinge erreichten laut Angaben des Innenministeriums seit Jahresbeginn die italienische Mittelmeerküste. Deutschland weist laut offizieller Statistik rund 90.000 Flüchtlinge für das erste Halbjahr 2017 aus.
Er wolle nicht verharmlosen, so der Sprecher weiter. Aber wenn man sich noch einmal die Zahlen zum Höhepunkt der Flüchtlingskrise ins Gedächtnis rufe, "dann liegt das, was derzeit in Italien passiert, jedenfalls doch weit dahinter zurück". Im Jahr 2015 waren bis zu einer Million Flüchtlinge nach Deutschland gekommen.
Wettrennen mit Merkel
Schulz hat es schwer im Moment. Ihm droht bei der Bundestagswahl am 24. September ein Debakel - die SPD ist in Umfragen wieder genau dort, wo sie vor dem Schulz-Effekt stand, also bei historisch niedrigen Werten unter 25 Prozent. Nicht auszuschließen ist, dass das Ergebnis so schlecht werden könnte, dass auch seine Rolle als SPD-Vorsitzender bedroht ist. In den vergangenen Wochen verpufften seine Vorstöße, Themen zu besetzen und die CDU samt Kanzlerin Merkel anzugreifen. Drei verloren gegangene Landtagswahlen lasten zudem schwer auf der SPD und Schulz.
Beim jetzigen Versuch, das Thema Flüchtlinge in Italien zu besetzen, kam ihm Merkel kurzer Hand zuvor. Sie telefonierte - trotz ihres Urlaubs - am Mittwoch mit Italiens Regierungschef Paolo Gentiloni. Die Bundeskanzlerin habe Rom Unterstützung bei der Bewältigung der Herausforderungen im Bereich der Migration zugesagt, berichtete die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer am Mittwoch.
"Die Bundeskanzlerin schloss hierbei auch das aktuelle, ebenso von Frankreich unterstützte Vorhaben ein, libysche Kommunen entlang der Migrationsrouten in Libyen zu stärken, um auf diese Weise dem Geschäft der Schleuser im Land entgegenzutreten." Im August, nach ihrem Sommerurlaub, werde Merkel höchstwahrscheinlich noch einmal mit dem UNHCR die Lage beraten.
Schulz fordert mehr Solidarität in der EU
Nach der ersten Station seiner eintägigen Italienreise, einem Treffen mit Gentiloni am Donnerstagvormittag, griff Schulz die Kanzlerin indirekt an. "Es gibt Menschen, die denken nur taktisch, ich aber bin für eine solidarische Flüchtlingspolitik und habe meine Überzeugungen," sagte Schulz in einer Pressekonferenz in Rom. Ohne ihren Namen zu nennen, spielte Schulz womöglich auf die als Pragmatikerin bekannte, also taktisch handelnde deutsche Kanzlerin an.
Schulz kündigte eine gemeinsame Initiative der Sozialdemokraten in Europa an, legale Einwanderung, verbindliche Verteilungsmechanismen und gemeinsame Asylverfahren in der EU voran zu bringen. Es müsse die Möglichkeit geben, "sich zu bewerben, legal einzuwandern", sagte er.
Bei einem anschließenden Besuch im sizilianischen Catania bedankte sich Schulz bei Vertretern der italienischen Küstenwache und NGOs für ihren Einsatz zur Rettung von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer. Gemeinsam mit dem italienischen Innenminister Marco Minniti nahm er eine Flüchtlingseinrichtung in der Hafenstadt in Augenschein. Auf dem Programm stand überdies ein Besuch auf dem Friedhof von Catania an Gräbern von Migranten, die bei der Überfahrt nach Italien ums Leben kamen.
Hilfe aus Deutschland für Italien
"Die Italien-Reise von Martin Schulz ist reiner Wahlkampftourismus", sagte CDU-Generalsekretär Peter Tauber am Donnerstag in der "Passauer Neuen Presse". Schulz hätte längst einen Beitrag leisten können. Doch im Gegenteil, so Tauber, habe die SPD viele Entscheidungen lange blockiert und "tut dies noch immer, wenn es um die Aufnahme nordafrikanischer Staaten in die Liste sicherer Herkunftsländer geht".
Doch ganz so abtun lässt sich der Angriff von Schulz auch wieder nicht. Denn er zielt auf eine politische Achillesferse von Merkel. Ein Wiederaufflammen der Flüchtlingskrise könnte erneut die AfD stärken und ihrer Partei, der CDU, Stimmen kosten. Genau das ist 2015 im Zuge der damaligen Krise passiert.
Doch selbst wenn das Thema wieder hochkochen sollte, ist Merkel längst nicht mehr die "Willkommens"-Kanzlerin wie damals. Sie setzt inzwischen auf eine differenzierte und strukturierte Flüchtlingspolitik. Dass sich die Situation von 2015 nicht wiederholen dürfe, wie Schulz es jetzt in Rom sagte, hat Merkel längst zu ihrer Strategie erklärt.