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Glaube

Warum es ohne den Dialog der Religionen nicht geht

25. Juni 2021

Der interreligiöse Dialog ist wichtig für die Sicherung des Friedens und des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Davon ist Pater Max Cappabianca überzeugt. Basis dafür ist die Annahme des Gegenübers in seiner Andersheit.

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Deutschland Lindau am Bodensee | Skulptur Ring of Peace, von Gisbert Baarmann
Bild: Norbert Neetz/EPD/imago images

Religionen werden in der Öffentlichkeit immer weniger als sinn- und friedensstiftend wahrgenommen, sondern eher als Ursache von Krieg und Konflikten. Ein Blick in die Geschichte (Ausbreitung des Islam, Kreuzzüge, Dreißigjähriger Krieg etc.) und auch in die Gegenwart (der Konflikt in Nordirland, der Antagonismus zwischen Schiiten und Sunniten, etc.) scheint diesen Befund zu bestätigen.

Tatsächlich geht es den Religionen immer um grundlegende Fragen. Wenn die existenzielle Ebene des Menschen berührt wird, dann ist die Gefahr des Missbrauchs groß. Wahrscheinlich tragen deswegen alle Religionen den Keim der Intoleranz in sich. Meist sind es aber politische Instrumentalisierungen, die diese zerstörerische Seite von Religionen, beziehungsweise der Menschen, die ihnen anhängen, zu Tage fördern. Das hat dann nichts mit der eigentlichen spirituellen Feuersglut zu tun.

 

Spirituelle Kraftquellen

Religionen können vielmehr zur Kraftquelle für Frieden und Versöhnung werden. Wenn man nur allein auf die drei abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam schaut, springen einem die entsprechenden Ressourcen ins Auge: Im Judentum ist Frieden (Schalom) ein zentraler Begriff („Der ganzen Tora geht es um die Wege des Friedens“ (Talmud, Gittin 59b); das Christentum könnte mit den Begriffen Liebe und Versöhnung auf den Punkt gebracht werden („Jesus Christus selbst ist die Versöhnung für unsre Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt. … Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist Liebe.“ (1 Joh 2,2 und 4,8) ; und was der Islam theologisch zum Thema Barmherzigkeit sagt, ist großartig („Er hat sich selbst Barmherzigkeit vorgeschrieben“ Koran, Sure 6,12). Wenn die einzelnen Religionen aus diesen spirituellen Kraftquellen schöpfen, können sie ihr friedens- und gemeinschaftsstiftendes Potential entfalten.

Das geschieht vor allem in der interreligiösen Begegnung. Als Studierendenpfarrer in Berlin erlebe ich, wie neugierig junge Menschen auf andere religiöse Traditionen sind. Die Covid19-Pandemie, deren erste Welle im vergangenen Jahr mit der Fasten- und Osterzeit, dem Ramadan und dem Pessachfest zusammenfiel, hat dazu geführt, dass sich Studierende in Berlin über Religionsgrenzen hinweg ausgetauscht haben über die eigenen Traditionen und über das, was sie in der Lockdown-Krise getragen hat.  Solche interreligiösen spirituellen „Entdeckungen“ werden als sehr beglückend und bereichernd erlebt! Mittlerweile haben christliche, jüdische und muslimische Studierende gemeinsam einen Verein gegründet, um diesen Austausch und die Begegnung zu verstetigen.

 

Unterschiede nicht verwischen

Allerdings glaube ich nicht, dass es möglich ist, durch interreligiösen Dialog zu einer Art „gemeinsamer Religion“ zu gelangen. Das widerspricht dem Wesen von Religion, die immer einen ganzheitlichen Geltungsanspruch hat. Aber man kann wertschätzen lernen, was den Anhängern anderer religiöser Traditionen „heilig“ ist. Aus Sicht der drei abrahamitischen Religionen – die in vielfältigster Weise geschichtlich und inhaltlich miteinander verwoben sind – gilt: Wer behauptet, letztlich glaubten alle Religionen dasselbe, der nimmt seinen eigenen Glauben nicht ernst und auch nicht den des Gegenübers. Wir müssen die Differenz aushalten und schätzen lernen, dann wird auch das positive Potential von Religion besser sichtbar.

Dass hier Weiterentwicklungen möglich sind, zeigt ein Blick in die jüngere Kirchengeschichte. Konnten andere Religionen früher nur als „Götzendienst“ und ihre Anhänger als „Heiden“ wahrgenommen werden, so erkennt die katholische Kirche seit dem II. Vatikanischen Konzil in allen Religionen Spuren des Göttlichen, die – in christlicher Sicht – immer in Beziehung zu Jesus Christus stehen, dem Dreh- und Angelpunkt christlichen Glaubens- und Weltverständnisses. Das Wahre und Gute anderer Religionen ist in diesem Sinne daher immer „christlich“.

Selbstverständlich sehen Mitglieder der jüdischen oder der islamischen Religion dies völlig anders.  So ist z.B. der Islam davon überzeugt, dass die beiden unvollkommenen Vorgängerreligionen durch die eigene überwunden und vollendet sind.  Und jüdische Gläubige wie muslimische halten es weiterhin für skandalös, dass Christen Jesus für Gottes Sohn halten, wenn es doch nur einen Gott geben kann.

 

Ökumene der Wertschätzung

Meine Erfahrung ist aber, dass solche Unterschiede in Kernpunkten des Glaubens ausgehalten werden können, wenn man einander persönlich kennt und in Freundschaft verbunden ist. Ich muss die Überzeugungen des Gegenübers nicht akzeptieren, aber ich kann sie sehr wohl respektieren und den anderen als Person wertschätzen. Diese einander widersprechenden religiösen Interpretationen des jeweils anderen können also ausgehalten und sogar positiv gewürdigt werden. Das hat nichts mit Übergriffigkeit oder „Sinnmonopolismus“ zu tun, sondern mit Ehrlichkeit. Diese Spannung auszuhalten lernt man nur in der persönlichen Begegnung, wenn man Freundschaften schließt, wenn man zusammen feiert und echtes Interesse aneinander zeigt.

Das geschieht vielfach schon heute: In Vereinen, in der Nachbarschaft oder am Arbeits- oder Studienplatz. Mit Blick darauf, dass die religiöse Landschaft hierzulande und auch weltweit bunter geworden ist, und es auch immer mehr Menschen gibt, die sich keiner Religion zugehörig fühlen, sollten tatsächlich alle Menschen sich zu dieser „Ökumene der Wertschätzung“ eingeladen fühlen. Jede Person hat ihre Überzeugungen und ihre Perspektive auf die Welt, die ihren Blick auf die anderen bestimmt. Wenn Menschen unterschiedlicher Glaubens- und Weltanschauungen einander freundschaftlich begegnen und Leben miteinander teilen, ist das die Basis, um respektvoll miteinander umzugehen und so unterschiedlichen Perspektiven auf die Welt wertschätzend aushalten zu können. Wenn dies geschieht werden alle, auch die Religionen, ihren unverzichtbaren Beitrag zu einer friedlicheren Welt leisten.

 

P. Max. I. Cappabianca OP ist Mitglied des Dominikanerordens. Er ist als Hochschulpfarrer in Berlin und als TV-Moderator tätig.