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Politik

Kongo am Scheideweg

Jonas Gerding
4. Januar 2019

Nervös wartet man in Kinshasa auf die provisorischen Wahlergebnisse. Die einen fürchten sich vor Unruhen im Kongo - andere sehnen sie herbei. Derweil hat die Regierung das Internet gekappt. Aus Kinshasa Jonas Gerding.

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DR Kongo, Kinshasa -Patrick Kanyinda (r.) ballt die Faust zum Kampf, den er und seine Mitstreiter der Jugendbewegung ausrufen, wenn Kandidat Shadary gewinnen sollte.
Wenn es darauf ankommt, wollen sie mobilisieren: Patrick Kanyinda (rechts) und andere Aktivisten stehen bereitBild: DW/J. Gerding

Immer wieder lässt Jacqui Ekodi diesen einen Satz fallen, der nach einer Warnung klingt: "So wird das nicht laufen!", schimpft sie. Sie richtet sich damit an die regierende Klasse um den Noch-Präsidenten Joseph Kabila, der am vergangenen Sonntag, nach zweijähriger Verzögerung, endlich Wahlen abhalten ließ. Kabila selbst trat nach 17 Jahren an der Macht nicht mehr an. Er rief die kongolesische Bevölkerung dazu auf, für seinen einstigen Innenminister Emmanuel Ramazani Shadary zu stimmen.

"Wir wollen nicht, dass sie ihren Präsidenten selbst ausrufen, so wird das nicht laufen", sagt die 40-jährige Ekodi kämpferisch. "Denn selbst wir, die Mamas, stellen uns dagegen." Zu viele Probleme würden Frauen wie sie plagen, eine Mutter von sechs Kindern, die auf einer der Gassen von Kinshasas Zentralmarkt Second-Hand-Kleidung verkauft.

"Kommt Shadary, brennen wir alles nieder"

Natürlich hat Shadary auch viele Unterstützer in dem zentralafrikanischen Land. Sie lassen sich jedoch weniger in jenen Milieus finden, die in den kommenden Tagen das Bild des Kongo in der Öffentlichkeit prägen könnten. Vor allem unter der ärmeren und jüngeren Bevölkerung könnte es zu Protesten kommen, wenn an diesem Sonntag die provisorischen Ergebnisse für die Präsidentschaftswahl verkündet werden. Die Stimmung unter ihnen ist gereizt. Die Anspannung könnte sich jederzeit entladen, sollte es kein Kandidat der Opposition werden.

DR Kongo, Kinshasa - Jacqui Ekodi hat Schwierigkeite in diesen Zeiten ihre Second-Hand-Kleidung zu verkaufen.
Jacqui Ekodi hat Schwierigkeiten, ihre Second-Hand-Kleidung zu verkaufenBild: DW/J. Gerding

Bereits am Eingang zum größten Markt der kongolesischen Hauptstadt diskutieren Händler und Kunden lautstark über Politik. "Kommt Shadary, brennen wir alles nieder", sagt einer von ihnen. Es ist bereits später Nachmittag. Weil mit der Dunkelheit auch die Diebe kommen, sind die meisten bereits dabei, ihre Stände abzuräumen, in denen sie alles Erdenkliche verkaufen, von Kleidung über Elektronikartikel bis hin zu Küchenzubehör. Auch Ekodi hat die Säcke mit gebrauchter Kleidung bereits verstaut - und zieht eine düstere Bilanz der letzten Tage: "Vergangenes Neujahr haben wir ein gutes Geschäft gemacht, aber dieses Jahr verkaufen wir nichts, der Markt ist leer, wie man heute sieht", sagt sie. "Wir haben die Wahl hinter uns, aber nichts läuft wie gewohnt."

Nichts läuft ohne Internet

Das liegt insbesondere auch an der jüngsten repressiven Maßnahme der Regierung. Als erste Wahlergebnisse in den sozialen Medien zu zirkulieren begannen, erließ sie eine Weisung an die Telekommunikationsanbieter: Bis auf weiteres hätten diese die SMS- und Internet-Dienste einzustellen. "Wir sind zu hundert Prozent blockiert", sagt der 32-jährige Christian Puaty, der ein paar Gassen weiter Brillen verkauft - oder es zumindest versucht. "Es gibt nicht einmal die Möglichkeit, Transaktionen durchzuführen", klagt er über die Internetsperre. Gläser und Gestelle verkauft er oft übers Internet: "Kunden rufen mich an und bitten mich darum, ein Foto zu schicken, aber es gibt kein Facebook und kein Whatsapp, wie soll ich das versenden?"

DR Kongo, Kinshasa - Christian Puaty versucht mit dem Verkauf von Brillengläsern- und gestellen über die Runden zu kommen
Kommt Shadary, will Christian Puaty auf die Straße gehenBild: DW/J. Gerding

Seit Jahren sehnt sich der gelernte Optiker nach einer ordentlichen Anstellung. "Wir leiden moralisch und wirtschaftlich. Deshalb wollen wir Veränderung", sagt er. Aber was, wenn es kein Kandidat der Opposition wird? "Sollte das Resultat negativ sein, rate ich allen jungen Kongolesen, auf die Straße gehen, um unsere Rechte einzufordern." Puaty ist überzeugt: Um Shadary ins Amt zu heben, müsste die Regierung die Wahlergebnisse massiv manipulieren.

Wahlkommission besteht auf Monopol

Auch wenn viele damit rechnen, dass er als Sieger ausgerufen wird. Vielleicht noch nicht am Sonntag, denn bisher sind laut Aussagen der Wahlkommission CENI erst 20 Prozent der Stimmen ausgezählt. Noch gibt es weder Belege für Shadarys Sieg, noch dagegen. Und das soll vorerst auch so bleiben, fordert zumindest die CENI. In einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz am Donnerstagnachmittag wies deren Präsident Corneille Nangaa die Wahlbeobachter in ihre Schranken: "Sie kommen, beobachten und berichten. Aber es ist nicht ihre Aufgabe, Resultate zu verkünden. Einige sind dabei, ihre Kompetenzen zu überschreiten."

DR Kongo, Kinshasa -Das Gebäude der Wahlkomission auf Kinshasas Hauptverkehrsachse: dem Boulevard du 30 juin
Hier wird die Entscheidung über die Zukunft des Kongo fallen: Kongos Wahlkommission in KinshasaBild: DW/J. Gerding

Der Termin wurde genau eine Stunde vor die Veröffentlichung des Wahlberichts der CENCO gelegt - ein Termin, der mit Spannung erwartet wurde. Die katholische Bischofskonferenz ist die politische Repräsentanz der katholischen Kirche im Kongo, was sie sagt, hat Gewicht. Bereits am Wahltag habe ihn der Staatschef Kabila persönlich angewiesen, keine Resultate zu veröffentlichen, erklärt CENCO-Generalsekretär Abt Donatien Nshole bei seiner Pressekonferenz auf die Frage nach politischem Druck auf die kirchliche Institution.

Die Indizien der Bischöfe

Es ist ein Balanceakt, an dem die CENCO sich an diesem Tag versucht: Einerseits möchte sie in einer 15-minütigen Präsentation zeigen, dass sie genug Material für seriöse Hochrechnungen hat. Allein am Tag des Urnengangs waren für sie 40.000 Wahlbeobachter im ganzen Land unterwegs.

Andererseits muss sie auf die vielen Regelverstöße und Unstimmigkeiten hinweisen, die mitunter auch die Einschränkung ihrer eigenen Arbeit betreffen. Zu Wahlbeginn seien nicht überall, sondern nur in 87 Prozent der Wahlbüros Beobachter, Zeugen und Journalisten zugegen gewesen. Die am Ende per Hand ausgezählten Stimmen seien zwar meist identisch mit den Ergebnissen der neu eingesetzten elektronischen Wahlmaschine gewesen. In nicht unbeträchtlichen sieben Prozent der Fälle habe es allerdings Unterschiede gegeben.

DR Kongo, Kinshasa - Abbé Donatien Nshole (2.v.l.) bei der Präsentation der Ergbenisse der Wahlmission der katholischen Kirche
Keinen Namen nennen: Abt Donatien Nshole präsentiert die Ergebnisse der BischofskonferenzBild: DW/J. Gerding

Die meisten Schlüsse auf unfreie und unfaire Wahlen zog die CENCO jedoch aus der chaotischen Organisation am Wahltag selbst. Zum Beispiel Wahllokale, die zu spät öffneten. "Diese Regelverstöße haben nicht verhindern können, dass das kongolesische Volk an den Urnen eine klare Wahl getroffen hat", sagt Abt Donatien Nshole. So klingt jemand, der das Wahlergebnis kennt - und die CENI unter Druck setzen könnte. Würde die katholische Kirche schließlich dem offiziellen Ergebnis der Wahlbehörde widersprechen, wäre das ein Skandal, mit vielleicht schwerwiegenden Folgen für die fragile Stabilität des Landes.

"Keine Angst vor dem Tod"

Es ist jedoch nicht allein der Termin der CENCO, der zählen wird, sagt Patrick Kanyinda (rechts im Bild oben). Der 25-Jährige studiert Bauingenieurwesen an der Universität Kinshasa, einem weitläufigen Areal im Osten der Stadt mit etwa 20.000 Studenten. "Wenn die Stimme des Volkes gestohlen wird, sind die Studenten die ersten, die auf die Straße gehen, das ist sicher", sagt er. "Wir werden nicht die Anweisungen anderer abwarten."

Es sind Ferien und so ist es ruhiger als üblich auf dem Campus. Doch am Wochenende werden die Studenten zurückkehren. Kanyinda selbst ist geblieben. Wie auch einer seiner Kommilitonen, der ihn zu dem Gespräch ins Amphitheater der Uni begleitet. Beide sind sie Aktivisten, gut gekleidet und eloquent. Kanyinda koordiniert Lucov, eine der vielen Jugendbewegungen des Landes, die bis zuletzt massiv für den Amtsverzicht Kabilas und faire Wahlen demonstriert hatten. Sie seien bereit für den Widerstand, selbst wenn die Sicherheitskräfte wie in der Vergangenheit mit Tränengas und scharfer Munition auf sie feuern würden. "Wir haben keine Angst", sagt er. "Weder vor dem Tod noch vor den Gefangennahme. Wenn sie uns dieses Mal den politischen Wechsel verwehren, reicht es uns."

Lesen Sie auch das DW-Interview mit Joseph Kabila kurz vor der Wahl.

Der Kongo ist dabei, den ersten demokratischen Machtwechsel zu erleben. Wie friedlich dieser sein wird, wird sich nun zeigen. Die Szenarios könnten nicht unterschiedlicher sein: Straßenschlachten oder Freudenfest? Welcher Name schließlich verkündet wird, wird den Ausschlag geben. "Wir werden mit großer Freude auf die Straßen gehen", sagt Kanyinda für den Fall, dass ein Kandidat der Opposition es schaffen sollte. "Wir werden es als unseren Sieg feiern, wenn die Entscheidung an der Urne respektiert wird."