Warnung vor dem Mega-Stau
22. Mai 2014Rio de Janeiro. Der Zuckerhut. Die Copacabana. Grüne Hügel. Weißer Strand. Klingt nach einem Traum. Doch wer in der brasilianischen Millionenmetropole lebt und arbeitet, der verbringt oft mehr Zeit im Stau als am Strand. Eine Fahrt von der Touristenzone Copacabana ins Zentrum kann zur Hauptverkehrszeit schon mal eine Stunde dauern. Und das ist noch harmlos. Das Heer der Hausangestellten, das jeden Tag vom armen Norden in den reichen Süden der Stadt pendeln muss, verbringt täglich bis zu fünf Stunden in Rios überfüllten Bussen. Wie in vielen Städten Lateinamerikas ist auch in Rio der Individualverkehr in den vergangenen Jahren stark angestiegen
"Die Motorisierung nimmt in den wachsenden Regionen Asiens, Lateinamerikas und Afrikas mit dem steigenden Wohlstand explosionsartig zu", erklärt José Viegas. Der Portugiese ist Chef des Weltverkehrsforums. Bei dem Treffen, das bis zum 23. Mai in Leipzig stattfindet, beschäftigen sich rund 1000 Wissenschaftler, Vertreter von Nichtregierungsorganisationen und Politiker mit den aktuellen Entwicklungen im Verkehrsbereich. Viegas warnt vor einem drastischen Anstieg der verkehrsbedingten Emissionen des Treibhausgases CO2. Die Zahl der Autos könne sich in den kommenden 30 Jahren nach einigen Schätzungen verdreifachen, auf dann weltweit mehr als drei Milliarden. "Wenn wir die Klimaziele noch erreichen wollen, muss etwas drastisches passieren".
Das Problem: In den Schwellenländern ist das Auto für die wachsende Mittelschicht ein Symbol ihres gesellschaftlichen Aufstiegs. Wer es sich leisten kann, der steigt vom Zweirad oder von Bussen und Bahnen um auf den eigenen PKW. Das liegt auch an der schlechten Qualität des öffentlichen Nahverkehrs. Rio de Janeiros Busse zum Beispiel sind überfüllt und häufig nicht klimatisiert. Viele Fahrer halten sich für Wiedergänger von Brasiliens Formel 1 Star Ayrton Senna und rasen auch dementsprechend. Wer den rasanten Fahrstil überlebt, dem drohen Begegnungen mit Gangstern. Denn immer wieder werden Busse überfallen. Wenn es ganz schlecht läuft sitzt ein Polizist im Bus. Und fängt eine Schießerei an. Die Metro ist auch keine wirkliche Alternative. Denn noch gibt es nur wenige Linien. Große Teile der Stadt sind nicht an die U-Bahn angebunden.
Politik muss handeln
"Die Politik muss dafür sorgen", sagt Gerd-Axel Ahrens, "dass alles was dabei hilft, sich in Städten ohne Auto von A nach B zu bewegen, gefördert wird." Ahrens ist Verkehrsplaner an der Technischen Universität Dresden. Leider sei in der Vergangenheit auch in Deutschland oft das Gegenteil passiert. Eine Politik, die noch heute nachwirkt. Ein Beispiel ist die Entfernungspauschale. Sie ermöglicht es Pendlern, die weit entfernt von ihren Arbeitsplätzen auf dem Land leben, die Kosten für die Fahrt zum Arbeitsplatz von der Steuer abzusetzen.
Ein weiteres Beispiel: Der auch in Deutschland manchmal nur mittelmäßige und im Vergleich zum Auto vor allem außerhalb der Rush—Hour oft langsamere öffentliche Nahverkehr. "Dass der Nahverkehr immer noch deutlich unattraktiver ist als das Auto, liegt vor allem daran, dass man seit Jahrzehnten eine Subventionierungspolitik für den motorisierten Individualverkehr betrieben hat", erklärt Daniel Moser, Verkehrsexperte der Umweltschutzorganisation Greenpeace.
Jugend kann verzichten
Trotzdem verzichten immer mehr Menschen in den großen deutschen Städten auf ein eigenes Auto. Besonders bei jungen Menschen zwischen zwanzig und dreißig hat das Automobil seinen Wert als Statussymbol verloren. Sie fahren Fahrrad, nutzen den öffentlichen Nahverkehr oder bei Bedarf Car-Sharing Angebote. "Das sind Trends, die politische Unterstützung brauchen und die gibt es im Moment noch nicht", beklagt der Verkehrsforscher Ahrens.
Andere Länder sind da schon deutlich weiter als Deutschland. Dänemark oder die Niederlande sind zum Beispiel wesentlich fahrradfreundlicher. In Kopenhagen fahren mehr als 50 Prozent der Hauptstädter und ein Drittel der Vorortpendler mit dem Rad zur Arbeit. Es gibt günstige Leihräder, extrabreite Radwege und exklusive Schnellstraßen mit grüner Welle nur für Radler. Gleichzeitig ist es extrem teuer, mit dem Auto in der Innenstadt zu parken.
Kolumbien denkt um
Dass auch in Lateinamerika inzwischen ein Umdenken eingesetzt hat, zeigt das Beispiel der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá. Dort wurde vor einigen Jahren ein neues Bussystem eingeführt. Die roten Gelenkbusse des TransMilenio haben von Polizisten bewachte eigene Stationen und Exklusiv-Spuren auf den Straßen. Sie sind zwar chronisch überfüllt, aber sie haben die Fahrtzeit von den Außenbezirken in die Innenstadt deutlich verringert. Eine billige Alternative zum U-Bahn-Bau, die inzwischen weltweit von vielen Städten kopiert wurde. Gleichzeitig wurde der Individualverkehr beschränkt. Privatfahrzeuge müssen ein Mal pro Woche in der Garage bleiben. Vielleicht gibt es also doch noch Rettung vor dem Mega-Stau.