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Diagnose: Staatsfeind

22. Mai 2009

Als Wang Wanxing sich entschloss, zum dritten Jahrestag des Massakers gegen die Regierung zu protestieren, fürchtete er, dass man ihn erschießen könnte. Stattdessen verbrachte er 13 Jahre in der Psychiatrie.

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Wang WanxingBild: Shi Ming

Die Nacht vom 3. auf den 4. Juni 1989 verstrich für Wang Wanxing relativ ruhig. Während im Zentrum Pekings Panzer die Demokratiebewegung nieder walzten, saß Wang mit seiner Frau zu Hause. Aber drei Jahre später erreichte das blutige Ereignis auch die Familie Wang. Am 3. Juni 1992 kehrte Wang Wanxing nicht mehr nach Hause zurück. Seine Frau Wang Junying fand nur einen Zettel auf dem Bett. "Ein schmaler, abgerissener Zettel mit den Worten: Pass gut auf unser Kind auf", erinnert sie sich.

Druck auf die Familie

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Wie viele Pekinger verfolgte er die Ereignisse auf dem Platz begeistertBild: AP

Wang hatte sich zu einem mutigen Schritt entschlossen. Auf dem Tiananmen Platz wollte er an die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung drei Jahre zuvor erinnern. "Bevor ich mich auf den Platz begab, hatte ich einen US-Journalisten namens Tyler Lee informiert, ihm Material gegeben" erzählt er. "Auch andere Journalisten wussten, dass ich eine Aktion plante und waren ebenfalls auf dem Platz." Am 3. Juni 1992 um Punkt 13 Uhr 40 entrollte er auf dem Platz ein Transparent. Darauf forderte er den immer noch einflussreichen Deng Xiaoping auf, die Demonstrationen neu zu bewerten.

Seine Frau Wang Junying war nach dem Fund der Nachricht tief besorgt. Sie mobilisierte sämtliche Verwandte und Freunde, um heraus zu bekommen, was passiert war. Das erfuhr sie auch bald – von der Polizei. "Hör mal, dein Mann ist auf den Platz gegangen und hat dort ein Transparent entrollt. Er ließ sich von all diesen ausländischen Journalisten fotografieren", erzählte ihr ein kleiner Beamter mit wichtiger Miene, den sie über Beziehungen kannte. "Er hat unser Land in ein total negatives Licht gerückt! Du bist doch auch Mitglied unserer Partei. Also musst du mit uns zusammenarbeiten.“

Kalkül Olympia-Bewerbung

1992 befand sich Peking gerade mitten in der Bewerbung um die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2000. Die Chancen standen nicht schlecht. Aber natürlich war Peking auf das Wohlwollen der Weltgemeinschaft angewiesen. Das genau war das Kalkül von Wang Wanxing. Doch Wang hatte die Machthaber in Peking unterschätzt. "Mir war bewusst, dass all die Polizisten auf dem Tiananmen Platz extrem nervös waren, wegen des Jahrestags der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung drei Jahre zuvor", erinnert er sich. "Also betete ich, dass ich den Platz lebend würde verlassen können." Und tatsächlich: Wang Wanxing ging lebend vom Platz. "Aber mir wäre im Traum nicht eingefallen, dass sie mich in die Psychiatrie stecken würden."

China 1989 Platz des Himmlischen Friedens Tian'anmen-Platz Pro-Demokratie Demonstranten vor ausgebrannten Panzern in Peking
Die tatsächliche Gewalt schockierte ihn nachhaltigBild: picture-alliance / dpa

13 Jahre lang wurde Wang Wanxing ohne jeden medizinischen Befund in der Psychiatrie festgehalten. Er wurde zwangsweise mit Psychopharmaka behandelt. Einmal gelang es ihm, seiner Frau einen Brief zuzustecken, den sie an ausländische Journalisten weiterleitete. Ein paar Tage später kam die Polizei zu ihr nach Hause. Sie habe das Image des Vaterlandes beschädigt, erklärten sie ihr. "Also schreib´ dir hinter die Ohren: Trete nie wieder in Kontakt mit Journalisten. Gib nie mehr Briefe an sie weiter."

Drohung mit der Giftspritze

Auch Wang Wangxing wurde Einschüchterungsversuchen ausgesetzt. Kurze Zeit nach dem Vorfall wurde er ins Zimmer des Chefarztes bestellt. Ein Offizier der Polizei oder der Staatssicherheit – so genau weiß Wang es nicht mehr – war dabei. "Der Chefarzt setzte eine ernste Miene auf und warnte mich: Wenn du so etwas noch einmal versuchst, werden wir dafür sorgen, dass du eine tödliche Spritze bekommst, verstanden?"

Auf massiven Druck des deutschen Auswärtigen Amtes hin konnte die Familie Wang schließlich ausreisen. Sie ließ sich in Frankfurt nieder. Dort arbeitet Wang bei der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte. Sein besonderes Anliegen ist es, die internationale Aufmerksamkeit auf den Missbrauch der Psychiatrie in China gegen Andersdenkende zu lenken.

Autor: Shi Ming

Redaktion: Mathias Bölinger