Wie Schleierfahndung der Freizügigkeit hilft
30. September 2019DW: Herr Walter, wie läuft eigentlich eine Schleierfahndung ab?
Ernst G. Walter: Bei einer Schleierfahndung fahnden wir in einem bestimmten Gebiet nach Straftätern und nach Menschen, die illegal in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind. Das machen wir aufgrund von Erfahrungswerten, indem wir zum Beispiel bestimmte Fahrzeugtypen anhalten. Dabei spielt die Erfahrung der Kolleginnen und Kollegen eine sehr große Rolle, denn sie müssen die Transportmittel erkennen, die zum Beispiel für BTM-Straftaten (Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG), also Drogenschmuggel, Anm. d. Red.) genutzt werden, oder eben dafür, Menschen über die Grenze zu schleusen.
Welche Rolle spielen dabei ethnische Merkmale?
Wenn wir ein Fahrzeug anhalten, weil es bestimmten Merkmalen entspricht, wissen wir ja oft noch gar nicht, wer darin sitzt - schon gar nicht nachts. Bei Fahndungen im grenzüberschreitenden Bahnverkehr mag es schon einmal sein, dass auch ethnische Merkmale aufgrund der polizeilichen Erfahrungswerte eine Rolle spielen. Gerade bei der Migration ist es ja nun einmal systemimmanent, dass die Verdächtigen eben nicht aus Deutschland kommen. Das hat aber nichts mit Racial Profiling zu tun.
Wofür eignet sich die Schleierfahndung, wofür nicht?
Die Schleierfahndung ist nicht geeignet, um ganz bestimmte Straftäter zu fassen oder am Grenzübertritt zu hindern. Sehr gut eignet sich die Schleierfahndung dagegen, um sich einen Überblick über die Kriminalität im Grenzraum und über die Sekundärmigration (die illegale Migration von Nicht-EU-Bürgern innerhalb der EU, Anm. d. Red.) zu verschaffen. Da ist sie viel effizienter, als lediglich an einzelnen Grenzübergängen zu stehen und darauf zu warten, dass jemand kommt, den wir kontrollieren können. Und lückenlose Grenzkontrollen sind weder vorstellbar noch gewünscht. Wir wollen ja keine Grenzkontrollen wie in den 1980er Jahren einführen, sondern dem unbescholtenen Bürger die Reisefreiheit belassen, und wirklich nur den Kriminellen das Reisen über die Grenze erschweren.
Dennoch wirft etwa die Grünen-Politikerin Irene Mihalic Innenminister Seehofer vor, die Schleierfahndung sende "antieuropäische Signale".
Diesen Vorwurf kann ich nun wirklich gar nicht nachvollziehen. Denn wenn wir so etwas nicht dürften, würde das gerade dazu führen, dass wir die Grenzen irgendwann wieder zu machen müssten. Gerade die Schleierfahndung ist ein sehr gutes Mittel dafür, die Reisefreiheit beizubehalten, aber das Entdeckungsrisiko für Kriminelle zu erhöhen.
Welche Erfahrungen hat die Bundespolizei mit der Schleierfahndung gemacht?
Die Schleierfahndung hat sich als probates Mittel erwiesen, Grenzkriminalität zu bekämpfen und illegale Sekundärmigration festzustellen. Die Erfolgsquoten sind hoch, aber sie hängen stark vom Personalaufwand ab. Denn das Entdeckungsrisiko ist für den Täter ein entscheidendes Moment - nicht nur bei der Grenzkriminalität. Auch wenn wir beispielsweise die Polizeipräsenz in Problemvierteln erhöhen, geht dort die Kriminalität zurück.
Geht auch die Sekundärmigration durch die Schleierfahndung zurück?
Sekundärmigration findet statt, und zwar unabhängig davon, ob wir vor Ort sind oder nicht. Deshalb ist es wichtig, zunächst einmal festzustellen, wer da in unser Land kommt. Denn nicht alle Migranten stellen hier einen Asylantrag, manche verschwinden einfach in irgendwelchen Clan-Strukturen, ohne sich bei irgendeiner Behörde zu melden. Die Anzahl dieser Sekundärmigranten kennen wir bisher gar nicht. Aber wenn wir sie feststellen, können wir das nutzen, um weitere Sekundärmigration zu verhindern. Und wenn wir sie identifizieren, können wir verhindern, dass Menschen womöglich aus der Anonymität heraus Straftaten begehen. Deshalb fordert Innenminister Seehofer völlig zu Recht, die Schleierfahndungen an allen Schengener Binnengrenzen personell auszuweiten.
Hat die Bundespolizei denn das nötige Personal?
Mit dem aktuell vorhandenen Personal sind wir zu der Intensivierung der Schleierfahndung dieser Form noch nicht in der Lage. Deshalb begrüßen wir es auch, wenn zum Beispiel Bayern die Schleierfahndung mit der Landespolizei unterstützt.
Das Gespräch führte Jan D. Walter.