1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wahlkampf mit harten Bandagen

Carla Bleiker19. September 2013

In den Tagen vor der Bundestagswahl werden Fehltritte des politischen Gegners, seien sie auch Jahrzehnte her, noch mal publikumswirksam aufbereitet. Jede Partei will in den letzten Umfragen möglichst gut dastehen.

https://p.dw.com/p/19kB9
Die Spitzenkandidaten von Bündnis 90/Die Grünen für die Bundestagswahl 2013, Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin (l), stehen während eines Wahlkampfauftrittes am 27.08.2013 in Jena (Thüringen) auf der Bühne. (Foto: Marc Tirl/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Die Partei Bündnis 90/Die Grünen wird in der Endphase des Wahlkampfes mit einem dunklen Kapitel aus ihrer Anfangszeit konfrontiert: die Pädophilie-Verstrickungen der Partei. Im Mai war herausgekommen, dass sich mehrere grüne Landesverbände in den 1980er Jahren für die Legalisierung von gewaltfreiem Sex zwischen Erwachsenen und Kindern unter bestimmten Bedingungen eingesetzt hatten.

Daraufhin beauftragte die Partei den Politikwissenschaftler Franz Walter mit Nachforschungen. Er sollte herausfinden, welche Rolle die Pädophilie-Aktivisten bei den Grünen spielten. Einen besonders brisanten Fund veröffentlichte Walter jetzt in der "tageszeitung", die in Deutschland bekannt ist für ihre politisch linke Ausrichtung.

Harte Pädophilie-Vorwürfe

Betroffen von der aktuellen Enthüllung ist Jürgen Trittin, einer der beiden grünen Spitzenkandidaten. Er war 1981 presserechtlich für ein Kommunalwahlprogramm der Alternativen-Grünen-Initiativen-Liste in Göttingen verantwortlich. In diesem Programm steht die Forderung, dass die Paragraphen 174 und 176 des Strafgesetzbuches eingeschränkt verstanden werden sollten: Sexuelle Handlungen mit Kindern sollten dem Programm nach nur bestraft werden, wenn sie unter "Anwendung oder Androhung von Gewalt" oder unter "Missbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses" geschähen.

Auch, wenn das schon lange her sei: "Es gibt einfach immer einen Teil der Bevölkerung, für den wird so was nie verjähren", sagt der DW Marcel Solar, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn.

Mit einem ungewöhnlichen und gegen die CDU-Spitzenpolitiker gerichteten T-Shirt nimmt der Fraktionsvorsitzende der Grünen im niedersächsischen Landtag, Jürgen Trittin, am 21.11.1988 an einer Sondersitzung im Landtag in Hannover teil. Das eigens für die Sitzung angefertigte Kleidungsstück ziert die Aufschrift "Casino Niedersachsen" und zeigt verschiedene Politiker vor dem Hintergrund eines Roulettekessels. Neben dem CDU-Landesvorsitzenden Wilfried Hasselmann und dem Ministerpräsidenten Ernst Albrecht sind Ex-Spielbankchef Marian Felsenstein und Laslo Maria von Rath abgebildet. (Foto: picture alliance/ dpa)
Jürgen Trittin 1988 im niedersächsischen LandtagBild: picture-alliance/dpa

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) moniert, dass Jürgen Trittin einen Professor brauche, "um seine persönlichen Erinnerungen an grüne Pädophilie wachzurütteln und zu veröffentlichen". Der Generalsekretär der bayrischen CDU-Schwesterpartei CSU, Alexander Dobrindt, fordert in deutlichen Worten, dass Trittin als Spitzenkandidat zurücktreten soll: "Trittin war Teil des Pädophilie-Kartells bei den Grünen und ist als Frontmann untragbar."

Die Unentschlossenen überzeugen

Die Debatte läuft schon seit Monaten, aber der Ton ist so kurz vor der Wahl erheblich schärfer geworden. "Manche Stellungnahmen, die man jetzt von Seiten der Regierungsparteien hört, klingen so, als hätte Herr Trittin persönlich Kinder missbraucht, was natürlich nicht der Fall ist", sagt Lothar Probst, Professor am Institut für Politikwissenschaft der Uni Bremen, der DW.

Es gelte, die unentschlossenen Wähler zu überzeugen, erklärt der Parteienforscher: "Insofern macht es durchaus Sinn, auch gerade in der letzten Woche noch mal Gas zu geben, nach Angriffspunkten bei den anderen Parteien zu suchen und sich selber möglichst vorteilhaft dazustellen."

Für das Beispiel einer erfolgreichen Negativkampagne brauche man nur auf die Bundestagswahl 2005 zurückzuschauen, sagt Politikwissenschaftler Marcel Solar. Damals habe die SPD in Umfragen lange weit hinter der CDU gelegen, doch dann habe sich der damalige Kanzler Gerhard Schröder (SPD) auf den Wirtschaftsexperten der CDU, Paul Kirchhof, eingeschossen.

Verfassungsrechtler Paul Kirchhof, aufgenommen am 08.10.2012 in Bonn (Nordrhein-Westfalen). (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)
Paul KirchhofBild: picture alliance/dpa

Kirchhof sollte den Wählern die Steuerkompetenz der Union aufzeigen. "Gerhard Schröder hat das im TV-Duell drehen können, indem er ihn als abgehobenen Professor darstellte", erinnert sich der Politikwissenschaftler. Schröder habe die Steuerforderungen Kirchhofs unsozial und ungerecht genannt. "Und das hat durchaus einen Swing gegeben für die ganze Wahl. Es wurde dann noch mal sehr knapp zwischen den beiden großen Parteien." Letztlich habe die Kampagne der SPD die nötigen Prozentpunkte gebracht, um es als Regierungspartner in die Große Koalition zu schaffen, so Solar.

Steinbrücks Umweltexperte in der Kritik

Ein SPD-Politiker, der vor der diesjährigen Bundestagswahl in der Kritik steht, ist der thüringische Wirtschaftsminister Matthias Machnig. Er hatte laut dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" von 2009 bis 2012 neben seinem Minister-Gehalt auch Übergangszahlungen und Ruhegehalt für seinen vorherigen Posten als Staatssekretär im Bundesumweltministerium erhalten. Für die SPD ist das besonders pikant, weil Machnig Umweltexperte in Kanzlerkandidat Peer Steinbrücks Kompetenzteam ist. Die zusätzlichen Zahlungen an Machnig belaufen sich nach Informationen des "Spiegels" auf mehr als 100.000 Euro.

Jetzt muss Machnig harsche Kritik einstecken. Und diese wollen die gegnerischen Parteien natürlich in der Presse veröffentlicht sehen.

Thüringens Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD) sitzt am 25.02.2013 in Weimar (Thüringen) bei einer Pressekonferenz. (Foto: Martin Schutt/dpa)
Machnig - Problemfall in Steinbrücks KompetenzteamBild: picture-alliance/dpa

"Es hagelt deutlich mehr Pressemitteilungen als sonst", sagt Volkhard Paczulla, Redakteur für Landespolitik der "Ostthüringer Zeitung". Auch für die potenziellen Wähler ist die Affäre Machnig von Bedeutung. "Ich sehe an der Kommentarfunktion in unserem Internetauftritt, dass das Thema großes Interesse findet", sagt Paczulla der DW. "Viele unserer Leser fühlen sich in ihrer 'Politikerverdrossenheit' bestätigt."

Ob Machnig bei einem Wahlsieg von Steinbrück trotz der Vorwürfe Chancen auf einen Kabinettsposten hätte - dazu äußerte sich der SPD-Kanzlerkandidat bisher nicht.