1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Schwierige Mehrheiten

Bernd Riegert25. Februar 2013

Der Sozialdemokrat Pier Luigi Bersani kann Ministerpräsident in Italien werden. Vielleicht muss er ohne eigene Mehrheit im Parlament agieren. Die Populisten Berlusconi und Grillo freut das, Europa macht sich Sorgen.

https://p.dw.com/p/17lh8
Pier Luigi Bersani Photo ANDREAS SOLARO/AFP/Getty Images)
Italien Wahlkampf Pier Luigi BersaniBild: ANDREAS SOLARO/AFP/Getty Images

"Werden wir jetzt unregierbar?" fragen auf den italienischen Fernsehkanälen Sky und Rai aufgeregt die Moderatoren die Experten. Alle sind ein wenig ratlos, denn die so genannte Schicksalswahl hat genau das Ergebnis produziert, das viele befürchtet hatten. Die Börse in Mailand hatte die erste Nachricht, dass nämlich die Linke unter Führung des Sozialdemokraten Pier Luigi Bersani  (Bild oben) die Mehrheit im Abgeordnetenhaus sicher hat, kurz nach 15 Uhr noch mit Gewinnen und Kurssprüngen quittiert. Als dann aber im Laufe des Nachmittags nach sich ständig widersprechenden Hochrechnungen klar wurde, dass die Rechten unter Führung von Silvio Berlusconi im Senat, der zweiten Kammer, wahrscheinlich die Mehrheit haben, war es mit der guten Stimmung an den Märkten wieder vorbei. Die Mailänder Börse schloss mit Verlusten.

Bersani bräuchte beide Kammern

In Italien reicht es nicht, nur die Mehrheit in der ersten Kammer zu haben. Um einigermaßen stabil regieren zu können, braucht ein möglicher Ministerpräsident Bersani auch eine Mehrheit im Senat. Beide Parlamentskammern sind gleichberechtigt und können sich gegenseitig blockieren. Ein Parteisekretär der Sozialdemokraten orakelte dann in einer ersten Stellungnahme auch, dass Italien auf dem Weg zum Stillstand sein. Das "Volk der Freiheit", so heißt die Partei von Silvio Berlusconi, jubelt hingegen. "Berlusconi ist zurück", freute sich ein Parteisprecher im Nachrichtensender SkyTg24. Tatsächlich hat der ehemalige vierfache Ministerpräsident in nur vier Wochen Wahlkampf seinen Stimmenanteil fast verdoppelt. Mit dem Versprechen, die ungeliebte Grundsteuer zurückzuzahlen, begeisterte Berlusconi seine Anhänger.

Grillini sind die eigentlichen Sieger

Der eigentliche Wahlsieger, glauben die Analysten von der Tageszeitung "Corriere della Sera", ist der ehemaliger Komiker und heutige Internet-Blogger Beppe Grillo. Seine Protestbewegung "Fünf Sterne" hat aus dem Stand 20 Prozent im Abgeordnetenhaus geholt und 25 Prozent im Senat. Das ist nicht viel weniger als die etablierten Parteien, die seit Jahren im Parlament sitzen. Grillos Erfolg ist vor allem der Protest der Enttäuschten und der jungen Generation in Italien, glaubt Vincenzo Scarpetta. "Die diversen Skandale, die während des Wahlkampfs ans Licht kamen, haben Grillo noch einen Extra-Schub gegeben. Sein Stimmenanteil drückt den Protest der Öffentlichkeit gegen den gegenwärtigen Zustand der italienischen Politik aus", schreibt der Italienexperte der Denkfabrik "Open Europe". Die Anhänger von Beppe Grillo haben auch schon einen Spitznamen: Sie werden "Grillini" genannt.

Beppe Grillo AFP PHOTO / GIUSEPPE CACACE/AFP/Getty Images)
Populärer Protest: Beppe GrilloBild: Giuseppe Cacace/AFP/Getty Images

Beppe Grillo lockte Hundertausende Menschen zu seinen Auftritten auf große Plätze im Wahlkampf. Er selbst wird aber kein Mandat im Parlament wahrnehmen. "Ich werde das Ganze von der Terrasse meines Hauses bei Genua aus beobachten", so der frühere Komiker. Er sieht sich mehr als Sprecher einer Bewegung, nicht als Politiker. Er fordert das bedingungslose Grundeinkommen von 1000 Euro für jeden Italiener und freies Internet für alle.

Gegner des Sparkurses holen Mehrheit der Stimmen

Außerdem ist Grillo für eine Volksabstimmung über den Austritt Italiens aus der Euro-Zone und hält die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel für die treibende Kraft hinter den Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen in Italien. Da trifft er sich unfreiwillig mit dem konservativen Silvio Berlusconi, der seine Wähler glauben machte, dass Frau Merkel dem technokratischen Premier Mario Monti alle Reformen diktiert hat. Berlusconi warf den Deutschen eine eigensüchtige Politik bei der Euro-Rettung vor und verlangte billige Kredite von der Europäischen Zentralbank. Zusammen genommen haben die Euro-Skeptiker Grillo und Berlusconi über 50 Prozent der Stimmen eingesammelt. "Die beiden Komiker haben die Hälfte der Wähler im Sack. Das wird Europa nicht gefallen." So brachte es ein Blogger auf einer Intersetseite der staatlichen Rundfunkgesellschaft Rai auf den Punkt.

Silvio Berlusconi bei der Stimmabgabe AFP PHOTO / OLIVIER MORIN /AFP/Getty Images)
Stehaufmännchen Berlusconi lächelt bei der Stimmabgabe: Comeback geglücktBild: Olivier Morin/AFP/Getty Images

Koalition Bersani - Monti wahrscheinlich

Der Sozialdemokrat Pier Luigi Bersani, der vom Staatspräsidenten wahrscheinlich den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten wird, will den Reformkurs von Mario Monti in abgeschwächter Form fortsetzen. Bersani sieht ein, dass Italien seine Schulden – fast 130 Prozent der Wirtschaftsleistung – in den Griff bekommen muss. Er möchte aber die Arbeitnehmer steuerlich entlasten und die Reichen zur Kasse bitten. Um regieren zu können, muss er eine Koalition mit Mario Monti eingehen, der mit seiner bürgerlichen Liste bescheidene neun Prozent erhalten hat. Monti allerdings möchte nicht mit den Altkommunisten in Bersanis Lager zusammengehen. Denn die fordern, wie Beppe Grillo, eine Volksabstimmung über den Verbleib in der Euro-Währungsgemeinschaft. Selbst wenn sich Bersani und Monti zusammenraufen, geben Italien-Experten wie Lutz Klinkhammer vom Deutschen Historischen Institut in Rom dem Bündnis keine lange Lebenszeit. Sechs Monate bis ein Jahre würde eine solche Koalition halten, so die Schätzungen.

Europa-Abgeordnete, Politiker in den nördlichen europäischen Hauptstädten und auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle hatten vor dem gewarnt, was nun einzutreten scheint: Eine wackelige Koaliton in Rom, die ihren Konsolidierungskurs abschwächen könnte. Steigen jetzt die Zinsen für italienische Staatsanleihen, könnte Italien schnell in echte Zahlungsschwierigkeiten kommen. Im Sommer hatte der Präsident der Europäischen Zentralbank mit einer resoluten Ankündigung die Finanzmärkte beruhigt und die Zinslasten sinken lassen. Seiner Ankündigung, die EZB werde alles tun, um den Euro zu retten, notfalls Geld drucken, muss Mario Draghi vielleicht bald Tat folgen lassen. Draghi ist übrigens Italiener, ehemals Chef der Zentralbank Italiens und Investmentbanker. Die politischen Verhältnisse in seiner Heimat dürften ihn also nicht überraschen.

Palazzo Montecitorio Foto: Bernd Riegert, DW
Der Palazzo Montecitorio in Rom ist Sitz des ParlamentsBild: DW/Bernd Riegert