Parlamentswahl in Ägypten
17. Oktober 2015Wenn die Ägypter am Sonntag zur Parlamentswahl gehen, werden sie den letzten Schritt auf dem Weg zur Demokratie gehen. So jedenfalls sieht es die ägyptische Führung, allen voran der frühere General und jetzige Präsident Abdel Fattah Al-Sisi, der den Sturz des ehemaligen islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi angeführt hat.
Aber mit einer Opposition, die zum Schweigen gebracht wurde, und einem Wahlgesetz, das als Rückkehr zur Ära des ehemaligen Autokraten Hosni Mubarak interpretiert wird, wird die neue Kammer Kritikern zufolge wenig mehr sein als Kosmetik für ein autoritäres Regime.
"Der Präsident ist in Ägypten ziemlich beliebt. Mit ihm aneinander zu geraten, würde nicht helfen", sagt Shebaq Waguih, Sprecherin der "Partei der Freien Ägypter", die von dem milliardenschweren Medienmogul Naguib Sawiri finanziert wird. "Wir glauben, dass es eine Art Einigung zwischen dem Parlament und der Präsidentschaft geben wird - und eine Art Machtteilung."
Die Wahl wird in zwei Phasen abgehalten. Die erste Phase beginnt am Sonntag in Ägypten; die zweite wird im November folgen. Im Dezember sollen die Stichwahlen stattfinden; die neue gesetzgebende Kammer wird für das Jahresende erwartet.
Das Wahlrecht schreibt vor, dass 75 Prozent der insgesamt 596 Sitze im Parlament an Direktkandidaten vergeben werden. 20 Prozent sind für Politiker reserviert, die auf Parteilisten stehen. Die übrigen fünf Prozent der Abgeordneten sollen vom Präsidenten bestimmt werden.
Während Anhänger der Regierung sagen, dass die Wahlen frei seien und offen für alle, die sich um einen Sitz bewerben, argumentieren Kritiker, dass das System individuelle Kandidaten bevorzugt und dem unter Mubarak ähnelt, als reiche Einzelpersonen oder Kandidaten mit Verbindungen zur Regierung die Wahlen dominierten.
"Wir sind nicht sehr optimistisch, wenn es um unsere Chance geht, bei den kommenden Wahlen viele Sitze zu gewinnen, weil das System die individuellen, zahlungskräftigen Kandidaten bevorzugt", sagt Khaled Dawoud, Sprecher der Demokratischen Allianz für Ägypten und Mitglied der liberalen Verfassungspartei, die von Friedensnobelpreisträger Mohamed El-Baradei gegründet wurde.
"In großen Wahlbezirken, in denen sich 40 oder 50 Kandidaten zur Wahl stellen, verteilen sich die Stimmen, und Leute mit Geld und Einfluss können mit wenigen gekauften Stimmen den Sieger bestimmen", sagt Dawoud. "Sie können Wahlbezirke mit einer sehr kleinen Anzahl an Stimmen gewinnen, wenn man bedenkt, was wir für eine relative Wahlbeteiligung erwarten."
Ein politisch misstrauisches Volk
Die Situation wird laut Dawoud noch dadurch verschlimmert, dass die politische Entwicklung nach der Revolution 2011 die Ägypter müde gemacht hat. Die Politikverdrossenheit habe viele Wähler erfasst.
"Vor allem junge Leute bezweifeln, dass wir echte Wahlen sehen werden, bei denen Leute mit Programmen oder Ideen zur Gesetzgebung gegeneinander antreten", sagt Dawoud. Er rechnet mit einer geringen Wahlbeteiligung. "Die meisten jungen Leute, mit denen ich spreche, haben den Eindruck, dass die Ergebnisse bereits feststehen - also dass die große Mehrheit im Parlament Präsident Al-Sisi unterstützen wird."
Auch wenn das neue Parlament in vieler Hinsicht früheren Parlamenten unter Mubarak ähneln wird, werde es einen Unterschied geben, meint Nathan J. Brown, Experte für Recht und Politik im Nahen Osten an der George Washington University in der US-amerikanischen Hauptstadt: Ohne die Nationaldemokratische Partei (NDP) des ehemaligen Autokraten werde das neue Parlament wahrscheinlich eine sehr schwache Partei-Struktur haben.
Keine echte Opposition
"In der gesamten Mubarak-Ära - außer vielleicht im letzten Parlament - waren überlebensfähige Oppositionsbewegungen präsent", sagt Brown. "In diesem Parlament kann man einige unabhängige Figuren ausmachen, einige ideologische Tendenzen, die sich gegenseitig Konkurrenz machen, aber es gibt keinen, der wirklich eine Opposition darstellen würde."
Die Moslembruderschaft, die die Wahlen nach 2011 dominierte, bevor die Armee sie von der Macht verdrängte, wird nun als Terror-Organisation gebrandmarkt. Ihren Mitgliedern ist untersagt, sich an den Wahlen zu beteiligen.
Die Partei, die es hinter der Moslembruderschaft auf Platz Zwei schaffte, die ultrakonservative salafistische Partei des Lichts, kämpft ums Überleben. Das Ansehen bei ihren früheren Unterstützern ist seit der militärischen Machtverdrängung von Mursi noch nicht wieder auf die Probe gestellt worden. Sie war die einzige islamistische Gruppe, die den Putsch unterstützte und Umgang mit einer Regierung pflegte, die blutige Razzien gegen Islamisten gegen Mursi anführte.
Amr Farouk, stellvertretender Vorsitzender für ausländische Angelegenheiten bei der salafistischen Partei des Lichts, sagt, dass sie nicht erwarteten, so viele Sitze zu gewinnen wie im vorigen Parlament. Die Partei schickt weniger Kandidaten ins Rennen und kämpft um weniger Sitze.
"Wir brauchen Repräsentanten aller Parteien, deshalb treten wir nicht für 100 Prozent der Sitze an", sagt Farouk. Er glaubt, dass der Erfolg der Partei auf der Überzeugung vieler Ägypter beruhe, dass die Partei die Macht teilen wolle. "Ich glaube, der Erfolg der Partei des Lichts misst sich daran, dass sie einen gute Kandidaten hat, die die Träume der Ägypter in die Realität übersetzen können."
Sicherheitsventil der Regierung
Wie die Regierung Al-Sisi die Rolle des Parlaments interpretiert und wie der Präsident es nutzen will, bleibt ebenfalls unklar.
"Der gesamte Prozess, um zu diesem Punkt zu gelangen, war chaotisch und unorganisiert, und das vermittelt den Eindruck, dass das Parlament nicht so wichtig ist", sagt Amy Hawthorne, stellvertretende Direktorin für Forschung bei der Nichtregierungsorganisation "Project of Middle East Democracy" (POMED) und früher tätig im US-amerikanischen Außenministerium mit besonderem Fokus auf den Übergang Ägyptens in eine Demokratie.
Hawthorne zufolge kann das neue Parlament alle möglichen Rollen spielen, auch eine Art politischer Deckmantel für eine autoritäre Regierung.
"Ich glaube, dass es für ein Parlament immer eine Rolle in autoritären Systemen gibt, und in der Vergangenheit hat es seine Rolle in Ägypten gespielt, ein bisschen wie ein Sicherheitsventil", sagt Hawthorne. "Auch wenn echte oppositionelle Stimmen von diesem Prozess ausgeschlossen sind, wird das Parlament für all diese Leute ein Weg sein, um ein wenig Dampf abzulassen."
Welche Rolle auch immer es spielen wird Dawoud sagt, dass seine Allianz auch künftig an Ägyptens politischer Debatte teilnehmen wird und auf einen künftigen Wandel hofft.
"Am Ende des Tages werden wir von den Medien belagert; Tag und Nacht werden wir dafür attackiert, die Revolution vom 25. Januar unterstützt zu haben", sagt Dawoud. "Ich glaube nicht, dass wir die Chance verpassen sollten, unsere Ideen zu präsentieren, sie zu erklären, und uns auf die Leute einzulassen."