1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Portugal: Rassismus als Randthema

29. Januar 2022

Portugal hält vorgezogene Parlamentswahlen ab. Es gibt kaum schwarze Kandidaten, Rassismus und die Aufarbeitung der Kolonialzeit spielen keine große Rolle. Doch nach und nach rücken die Themen aus ihrem Schattendasein.

https://p.dw.com/p/46FJn
Portugal | Rassismus | Migranten
Straßenszene in Lissabons ZentrumBild: Bildagentur-online/McPhoto-Boyun/picture alliance

Wer sich in Portugals Hauptstadt Lissabon bewegt, begegnet dort auch Migranten und Portugiesen mit afrikanischen oder afrobrasilianischen Wurzeln. Schwarze Abgeordnete im portugiesischen Parlament dagegen lassen sich an einer Hand abzählen: Joacine Katar Moreira, Romualda Fernandes und Beatriz Gomes Dias - 3 von 230.

Und selbst das galt 2019, als zuletzt gewählt wurde, als Meilenstein: In den Jahren und Jahrzehnten zuvor hatte es in der Assembleia da República weniger oder gar keine schwarzen Politikerinnen und Politiker gegeben.

Am Sonntag wird in Portugal schon wieder neu abgestimmt. Die vorgezogenen Wahlen hatte Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa verkündet, nachdem das Parlament im Oktober den Haushaltsentwurf der Minderheitsregierung unter Ministerpräsident António Costa und seinem Partido Socialista (PS) abgelehnt hatte.

Bildkombo | Beatriz Gomes Dias | Romualda Fernandes | Joacine Katar Moreira
Von links: Beatriz Gomes Dias, Romualda Fernandes und Joacine Katar MoreiraBild: Pedro Fiúza/NurPhoto/picture alliance //João Carlos/DW

Während sich Romualda Fernandes und Beatriz Gomes Dias erneut zur Wahl stellen und mit Ossanda Líber eine weitere schwarze Kandidatin auf den Einzug ins Parlament hofft, ist für Joacine Katar Moreira die Zeit als Abgeordnete erst einmal vorbei. Sie hat sich mit ihrer eigenen Partei Livre zerstritten.

Katar Moreira ist wohl diejenige, die sich am deutlichsten als "intersektionale Öko-Feministin, Anti-Rassistin und Anti-Faschistin" positioniert, von institutionellem Rassismus und einer notwendigen Dekolonialisierung Portugals spricht. Im Parlament stieß die aus Guinea-Bissau stammende 39-Jährige unter anderem eine Debatte über die Rückgabe von Kunstwerken aus den ehemaligen Kolonien an. 

Die noch nicht allzu weit zurückliegende Vergangenheit des Landes als Kolonialmacht hat bis heute einen großen Einfluss auf den Rassismus in Portugal, glauben viele, die sich mit dem Thema befassen. "All die gesellschaftlichen Hierarchien, die wir heute sehen, etwa wo man wohnt, wo man arbeitet, haben mit der Kolonialzeit zu tun", sagt etwa der Geschichtslehrer und Anthropologie-Doktorand Danilo Cardoso. Er selbst kam 2015 aus der Ex-Kolonie Brasilien und hat in Portugal den "Grupo Educar", mitgegründet, eine Plattform für antirassistische Pädagogen.

Die Spuren der kolonialen Vergangenheit 

Tatsächlich endete die über 500-jährige Kolonialgeschichte Portugals erst im Zuge der Nelkenrevolution von 1974, die das Ende der Diktatur von António de Oliveira Salazar bedeutete. Damals wurden die letzten afrikanischen Kolonien Guinea-Bissau, Angola und Mosambik unabhängig. Und erst 1999 kam das bis dahin noch offiziell portugiesisch verwaltete Osttimor unter UN-Verwaltung, und Macau wurde an China zurückgegeben.

Gerade auf dem afrikanischen Kontinent gingen die kolonialistischen Aktivitäten Portugals auch mit Sklaverei einher; etwa drei Millionen afrikanische Sklaven sollen allein nach Brasilien verschleppt worden sein, um dort vor allem auf Zuckerrohr- und Kaffeeplantagen zu arbeiten.

Angola | Rassismus | Ausstellung im National Museum of Slavery in Luanda
Nationales Museum der Sklaverei in AngolaBild: Dogukan Keskinkilic/AA/picture alliance

"Diese Beteiligung Portugals an der Sklaverei wird in der Schule und in Museen nicht ausdrücklich genug erwähnt", sagt die Anthropologin Patrícia Ferraz de Matos, die schon viel zur Kolonialgeschichte des Landes geforscht hat. Es gebe immer noch zu wenig Wissen, zu wenig Aufarbeitung zur Kolonialzeit - und das behindere auch ein Bewusstsein über heutigen Rassismus, so die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut der Sozialwissenschaften der Universität Lissabon. "Es wird immer noch oft diskutiert, ob es in Portugal Rassismus gibt oder nicht, anstatt davon auszugehen, dass es ihn gibt und dass es notwendig ist, Maßnahmen zu ergreifen."

Einwandererkinder ohne Staatsbürgerschaft

Dazu, wie viele Nicht-Weiße heute in Portugal leben, werden keine Daten erhoben. Nach Angaben der nationalen Ausländer- und Grenzbehörde SEF leben in dem Zehn-Millionen-Einwohner-Land regulär etwa 771.000 Migranten, die Zahlen steigen seit Jahren. Darin dürfte ein großer Teil der schwarzen Bevölkerung bereits enthalten sein, denn in Portugal können vor allem diejenigen die Staatsbürgerschaft erhalten, deren Eltern oder Großeltern Portugiesen sind. Auf portugiesischem Boden geboren zu sein, macht einen dagegen nicht automatisch zum Staatsbürger. 

Auch wenn es zuletzt einige Lockerungen gegeben hat: "Viele Kinder von Einwanderern, oft aus den ehemaligen Kolonien, sind Opfer dieser Regelung. Sie wurden in Portugal geboren, haben hier immer gelebt, aber besitzen nicht die Staatsbürgerschaft", kritisiert Danilo Cardoso.

Serie rassistischer Attacken

Die in Portugal laut Cardoso "oftmals unter den Tisch gekehrte Rassismusdebatte" hat nicht nur durch Politikerinnen wie Katar Moreira, Fernandes und Gomes Dias ein wenig Aufwind erfahren. 2020 fanden der Tod des Afroamerikaners George Floyd und die Black-Lives-Matter-Bewegung in den USA auch in Portugal ein Echo. Vor allem aber kam es auch im Land selbst zu rassistischen Morden und Angriffen. 

Asiatische Billigpflücker in Portugal

So starb am Silvesterabend 2019/2020 der kapverdische Student Luís Giovani dos Santos Rodrigues, nachdem ihn eine Gruppe Männer zusammengeschlagen hatte. Im Februar wurde die angolanisch-portugiesische Claudia Simoes vor den Augen ihrer Tochter an einer Bushaltestelle von einem Polizisten getreten und in den Würgegriff genommen, nachdem es zu einem Streit mit dem Busfahrer gekommen war. Während der anschließenden Fahrt in einem Polizeiauto soll sie erneut körperlich angegriffen sowie rassistisch beleidigt worden sein.

Im Juli 2020 wurde der schwarze Schauspieler Bruno Candé von einem ehemaligen Kolonialsoldaten erschossen. Einige Tage zuvor hatte es eine Auseinandersetzung zwischen den beiden gegeben, bei der der Veteran Candé rassistisch beleidigte und bedrohte.

Rechtspopulisten: Rassismus nur ein Narrativ der Linken

Diese Ereignisse führten zu Protesten, von Seiten der Politik wurde ein nationaler Aktionsplan gegen Rassismus verabschiedet. Doch der existiere hauptsächlich auf dem Papier, so der brasilianische Geschichtslehrer Cardoso. In den Parteiprogrammen zur aktuellen Wahl spiele die Thematik keine große Rolle.

Portugal | Rassismus |
Demonstranten fordern im August 2020 Gerechtigkeit für Bruno CandéBild: Rita Franca/ZUMAPRESS/picture alliance

Gleichzeitig ist die rechtspopulistische Partei "Chega" ("Es reicht") auf dem Vormarsch, die behauptet, der "angebliche strukturelle Rassismus" in Portugal sei "nichts anderes als ein von der extremen Linken konstruiertes Narrativ, um die Portugiesen zu spalten". Dass das Thema Rassismus - wenn auch langsam - aus seinem Schattendasein tritt, hat auch die Gegner der Debatte auf den Plan gerufen. 

Mit Blick auf die Zusammensetzung des Parlaments hofft Patricia Ferraz de Matos, dass Schwarze oder auch etwa die Gruppe der Roma in Zukunft immer besser vertreten seien werden. "Ich halte diese Frage der Repräsentativität für sehr wichtig. Wir sprechen von Menschen, die einen Beitrag zur Gesellschaft als Ganzes leisten, die integriert sind, aber in den Machtsphären wenig präsent sind. Es gibt einige Beispiele für schwarze Männer und Frauen, die sich im Sport und in der Kultur sehr hervorgetan haben, aber nur wenige im politischen Bereich. In diesem Sinne gibt es noch viel zu tun."

DW Fact Checking-Team | Ines Eisele
Ines Eisele Faktencheckerin, Redakteurin und AutorinInesEis