Klares Urteil des Verfassungsgerichtes
2. März 2010Der Erste Senat des Obersten Gerichts erklärte am Dienstag (02.03.2010) in Karlsruhe die Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig und nichtig. Das Verfassungsgericht begründete seine Entscheidung damit, dass die Speicherung gegen das Fernmeldegeheimnis verstoße. Damit wurde das entsprechende Gesetz außer Kraft gesetzt. Der Gesetzgeber muss nun ein neues Gesetz verabschieden. Die vorhandenen Daten müssen gelöscht werden.
Bei der Speicherung für sechs Monate handele es sich um einen "besonders schweren Eingriff in das Fernmeldegeheimnis", weil sie inhaltliche Rückschlüsse "bis in die Intimsphäre" ermöglichte und damit aussagekräftige Persönlichkeits- oder Bewegungsprofile gewonnen werden könnten.
Das Karlsruher Urteil schließt eine Speicherung der Daten jedoch nicht generell aus. Sie ist laut Urteil bei der Strafverfolgung und zur Gefahrenabwehr zulässig, wenn enge Vorgaben zur Verwendung der Daten erfüllt werden. Diese Vorgaben müssen nun konkretisiert werden.
Gesetz war umstrittene Umsetzung einer EU-Richtlinie
Die Vorratsdatenspeicherung war 2007 vom Bundestag beschlossen worden. Die damals regierenden Konservativen und Sozialdemokraten setzten damit gegen die Stimmen der damaligen Opposition eine Anti-Terror-Richtlinie der Europäischen Union um. Das Gesetz sieht vor, dass mindestens sechs Monate lang sämtliche Verbindungsdaten gespeichert werden müssen, die per Telefon, E-Mail und Internet zustande gekommen sind.
Dieses Vorhaben sorgte für eine Massenklage in Karlsruhe. Insgesamt 35.000 Bürger stehen hinter der Klageeinreichung beim Bundesverfassungsgericht, darunter auch viele bekannte Politiker. Unter ihnen sind die Freidemokraten und früheren Minister Gerhart Baum und Burkhart Hirsch.
Besonders pikant: Zu den Klägern gehört auch die heutige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger - ebenfalls FDP -, die ihre einst aus der Opposition heraus geführte Verfassungsbeschwerde mit ins neue Amt genommen hat.
Technisch versierte Kenner der Materie wie der Chaos Computer Club befürchten zudem, dass das Handy zur "Ortungswanze" würde. Das scheinbare Sammelsurium der Verbindungsdaten gebe Aufschluss darüber, wie jemand lebe, wen er kenne, welche Sorgen er habe.
Roth: "Richtige Klatsche"
Grünen-Chefin Claudia Roth sprach nach dem Urteil von einer "richtigen Klatsche" für den Gesetzgeber. Der FDP-Parteivorsitzende und Vize-Kanzler Guido Westerwelle begrüßte den Richterspruch: "Ich finde es hervorragend, dass Liberale dieses Urteil erstritten haben". Vor allem Leutheusser-Schnarrenberger erlebe damit "eine wirkliche Bestätigung ihres langjährigen Engagements für Bürgerrechte".
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Peter Altmaier (CDU), bedauerte hingegen die Entscheidung: "Dieses Urteil ist eines, das uns erst einmal in Schwierigkeiten bringen wird, weil wir Instrumente nicht anwenden können."
Befürworter wie der Unionspolitiker Wolfgang Bosbach hatten die Datensammlung dagegen als notwendig für die Terrorbekämpfung angesehen. Viele Straftaten könnten nur mit diesen Daten aufgeklärt werden. "Die Terrorhelfer sind hochkommunikativ und konspirativ, wir brauchen den Datenzugriff", sagte Bosbach in einem Zeitungsinterview.
Letztes Urteil von BVG-Präsident Papier
Das Urteil hatte auch noch einen persönlichen Aspekt. Es war wohl das letzte Urteil, dass der scheidende Gerichtspräsident, Hans-Jürgen Papier, verkündet hat. Wie so viele Urteile unter seiner Leitung, wird wohl auch dieser Richterspruch zur Datenvorratsspeicherung ein Stück Rechtsgeschichte schreiben. Er beendet seine Karriere mit einem Paukenschlag.
Autor: Walter Lausch (dpa, apn, afp, Tagesspiegel)
Redaktion: Oliver Samson