Prekäre Sicherheitslage vor den Wahlen
23. November 2013Stück für Stück will Mali zurück zur Demokratie: An diesem Sonntag sollen 6,5 Millionen wahlberechtigte Malier ein neues Parlament wählen. 1141 Kandidaten bewerben sich um 147 Sitze in der Nationalversammlung. Viele hoffen, das neue Parlament werde dazu beitragen die Krise zu beenden, die das Land seit mehr als anderthalb Jahren erschüttert: Am 21. März 2012 putschte die Armee gegen den damaligen Präsidenten Amadou Toumani Touré. Tuareg-Rebellen und Islamisten hatten daraufhin den Norden Malis unter ihre Kontrolle gebracht. Ein Vormarsch Richtung Süden wurde Anfang 2013 durch eine französische Militärintervention gestoppt. Noch immer befinden sich 3000 französische Soldaten im Land, im Juli ist eine UN-Mission hinzugekommen. Die Folgen des Krieges sind bis heute spürbar.
Granateneinschläge in Gao
Alexander Stroh, Mali-Experte am Giga-Institut in Hamburg, hält die Sicherheitslage im Norden Malis weiterhin für undurchsichtig: "Nach den militärischen Erfolgen Frankreichs und einiger afrikanischer Verbündeter konnte man zwar die Islamisten zurückdrängen und zeitweise sogar in eine gewisse Art von Verhandlungen mit den nicht-islamistischen Rebellen treten", sagt er. Die Fronten seien aber weiterhin unklar. In den vergangenen Tagen hätten auch die französischen Truppen wieder eingreifen müssen.
Am Donnerstag schlugen in Gao, der größten Stadt im Norden, Granaten ein. Zwei Tage zuvor wurden in der Nähe von Gao Angehörige eines Generals der malischen Armee umgebracht. Wer hinter diesen Morden steckt, ist unklar. Der General ist Tuareg - viele vermuten, dass die Täter ihn als Verräter wahrgenommen haben. Immer wieder kommt es im Norden Malis zu Kämpfen zwischen Tuareg-Rebellen oder islamistischen Kämpfern auf der einen Seite und Soldaten der malischen Armee und ihren Verbündeten auf der anderen.
Anschläge auf Wahllokale unwahrscheinlich
Vor diesem Hintergrund schauen viele mit Besorgnis auf die anstehenden Parlamentswahlen. "Im Januar konnte man die Rebellen und Jihadisten zwar relativ schnell vertreiben. Aber die hat man ja nicht alle umgebracht oder verhaftet - irgendwo müssen sie ja noch sein", so Alexander Stroh. "Das Bedrohungsszenario ist also noch da und solche Wahlen bieten dafür eine Plattform."
Dass es zu gezielten Anschlägen, etwa auf Wahllokale, kommen wird, hält Stroh dennoch für unwahrscheinlich: Auch vor den Präsidentschaftswahlen im August habe man Anschläge befürchtet, die Lage sei jedoch wider Erwarten stabil geblieben. Hinzu kommt: In einer präsidialen Demokratie wie in Mali ist die Wahl des Präsidenten ungleich wichtiger als die des Parlaments.
"Kidal ist bereit für die Wahlen"
Diese Einschätzung der Sicherheitslage teilen auch malische Politiker, selbst an Orten wie Gao oder in der Region Kidal im Nordosten des Landes. In deren gleichnamigen Hauptort wurden vor etwa drei Wochen zwei französische Journalisten ermordet. Adama Kamissoko, Gouverneur der Region, hält Kidal dennoch für sicher. Die Bevölkerung freue sich auf die Abstimmung: "Wir hier in Kidal sind bereit für die Wahlen", sagt er im Gespräch mit der Deutschen Welle. Eine hundertprozentige Sicherheit gäbe es nie: "Die Situation ist zwar ruhig, aber Sie dürfen auch nicht vergessen, dass wir aus einer Krise kommen und dass diese Krise noch nicht ganz beendet ist."
Auch Sadou Diallo, Bürgermeister von Gao, hält den Granateneinschlägen zum Trotz die Situation in seiner Stadt für stabil genug: "Der Wahlkampf ist in vollem Gange. Die Menschen fühlen sich in Sicherheit - und für diese Sicherheit sorgen die UN-Mission MINUSMA, die malische Armee und die Truppen der französischen Serval-Mission."
Bevölkerung leidet unter Überfällen
Doch selbst wenn die Bevölkerung keine gezielten Anschläge am Wahltag zu befürchten hat - die Krise in ihrer Heimat ist für sie weiterhin spürbar. Immer noch litten viele Bewohner unter marodierenden Banden und bewaffneten Milizen, beklagt Cheick Doukouré, Bürgermeister der ländlichen Gemeinde Télé in der Region Goundam. Er betont, wie groß Misstrauen und Angst gegenüber diesen bewaffneten Gruppen seien: "Sie verstecken ihre Waffen überall: im Sand, unter einem Zelt, unter einem weiten Boubou-Gewand. An Markttagen nehmen sie ihre schweren Waffen, besetzen die Zufahrtsstraßen und warten, bis der Markt zu Ende ist. Wenn die Menschen vom Markt zurückkommen, nehmen die bewaffneten Banden ihnen alles ab, was sie dabei haben."
Der Bürgermeister kritisiert, dass weder die malische Armee noch die Soldaten der MINUSMA etwas gegen die Milizen unternähmen. Ambeyri Ag Rhissa, Sprecher der Tuareg-Rebellenorganisation MNLA in Kidal, weist jegliche Verantwortung für Raubüberfälle zurück: "Die MNLA bestiehlt doch nicht die Bevölkerung, während sie dafür kämpft, die Menschen von Plünderei und Misswirtschaft zu befreien", betont er im Gespräch mit der DW. In Goundam hätten vor kurzem malische Soldaten selbst die Bevölkerung ausgeplündert.
Es ist das alte Spiel: Vorwürfe und Gegenvorwürfe. Jede Seite sieht den Fehler beim jeweils anderen.
Ob Wahlen helfen, ist zweifelhaft
Einen Grund für die fortbestehende Krise in Malis Norden sieht Alexander Stroh vom Giga-Institut darin, dass die malische Regierung nicht genau wisse, mit wem sie eigentlich verhandeln müsse. Denn die Rebellen seien kein einheitlicher Block: "Sie sind zergliedert in Islamisten und solche, die kein islamistisch-politisches Programm verfolgen", erläutert Stroh. "Aber selbst in diesen Lagern sind sich die Gruppierungen nicht ganz einig."
Ob die Parlamentswahlen helfen, das krisengeschüttelte Land dem Frieden etwas näher bringen, ist daher unabhängig von deren Ergebnis völlig offen.