Briefe von der Front
31. August 2009
"Meine lieben Eltern…", so beginnt der Brief des Obergefreiten Wilhelm Schierholz vom 22. Oktober 1944. "Soeben erlaubt es mir die Zeit mal wieder ein Briefchen zu schreiben. Ich hoffe, dass ich die Heimat noch mal wieder sehe. Willy Wedeking wird sie nun nicht wieder sehen, er ist am 18.10. gefallen. Er ist wohl mein bester Freund die ganzen Jahre gewesen. Und werde auch nie so einen Freund wieder finden. Es ist sehr traurig, aber man kann nichts dran ändern, dieser Krieg wird noch mehr Opfer kosten….“ Am 1. November 1944, nur zehn Tage nach den Zeilen an die Eltern, ist der nur 33jährige Mann in Lettland gefallen.
Der Brief von Wilhelm Schierholz ist nur einer von etwa 30 bis 40 Milliarden Feldpostbriefen, eine schier unvorstellbare Zahl und kein Schreibfehler, die zwischen 1939 und 1945 von 18 Millionen Soldaten geschrieben wurden. Damit ist die Zeit des Zweiten Weltkriegs auch eine Zeit des Briefeschreibens. Niemals mehr, weder vorher noch nachher, wurden mehr Briefe geschrieben. Damit sind die Briefe von der Front, so makaber es klingt, auch das Dokument einer einzigartigen Kultur des Briefeschreibens.
Überlebenszeichen aus der Heimat
Die Feldpostbriefe sind in erster Linie Überlebenszeichen und Lebenszeichen zwischen Front und Heimat. In erster Linie sind es schlichte Berichte, die den Familien und Freunden zeigen, dass der Soldat eben noch lebt. Das ist oft viel wichtiger als der eigentliche Inhalt. "Aber es gibt natürlich auch die banalen Aussagen“, so Historiker Veit Didczuneit, "wie ist das Wetter, mir geht es gut. Es geht aber auch weiter. Man kann erkennen, dass viele junge Menschen im Krieg, das erste Mal im Ausland waren, und wie sie die Fremde betrachtet haben.
Der Brief als historische Quelle
Die Feldpostbriefe geben einen Einblick in das Leben derjenigen, die in anderen archivarischen Quellen kaum zu Wort kommen. Im Unterschied zu lebensgeschichtlichen Interviews, wie sie die Oral History nutzt, ist das Erlebte in den Briefen noch frisch in der Erinnerung oder vielleicht sogar im Affekt aufgeschrieben worden. Die Nähe zum Ereignis bei der Niederschrift und die personelle Identität von Betroffenem machen die Briefe zu einer exponierten qualitativen Quelle.
Berichte aus dem Innenleben des Krieges
Feldpostbriefe sind zwar authentische, aber höchst subjektive Quellen, die mit aller Deutlichkeit aus dem Innenleben des Krieges berichten.
Sie erzählen vom Seelenleben des jeweiligen Verfassers. Ängste, Befürchtungen und Hoffnungen kommen zum Ausdruck, die in die Heimat übermittelt wurden. Es sind Lebenszeichen für die Angehörigen, und leider blieben es sehr oft auch die letzten Worte von meist jungen Menschen - an die Eltern, die Geschwister, die Ehefrau und an seine Kinder. Nicht vergessen dürfe man dabei die Zensur, betont Katrin Kilian, die ihre Doktorarbeit über Feldpostbriefe geschrieben hat. Die Feldpost wurde in den "Mitteilungen für die Truppe" thematisiert. Offensichtlich wurde versucht, das Schreibverhalten zu steuern und durch Prüfung und Vorschriften zu kontrollieren.
Feldpostbriefe sind unverfälschte Stimmen einer Zeit, dessen Ausmaß an Radikalität bis heute nur lückenhaft untersucht worden ist. So schreibt der Kampfflieger Georg Fulde 1941 aus Leningrad an seine Schwester: "Rußland ist eine elende Wüste. Das kann sich kein Mensch vorstellen. Und dazu dieses verkommene rohe Volk und der Dreck. Ich möchte nicht wissen, was aus Euch und aus Deutschland geworden wäre, wenn die Bolschewisten ins Reich gekommen wären, wie es geplant war. Aber es ist Gott sei Dank umgekehrt gekommen."
Die Feldpostsammlung als Mahnung
Die Ausstellungsmacher haben versucht, aus der Vielzahl der Briefe einen Überblick zu geben. Zu jedem Brief-Schreiber gibt es detaillierte biografische Angaben und man kann, neben der reinen Textversion, auch die vergilbten Originaldokumente sehen. In Zukunft will man in der Online Sammlung von Feldpostbriefen zu jedem Kriegstag einen Brief präsentieren. Wer noch Feldpostbriefe besitzt, und sie der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen möchte, kann das gern tun. Das Museum für Kommunikation nimmt sie gern entgegen und verspricht einen sensiblen Umgang mit den höchst privaten Zeugnissen.
Autor: Christoph Richter
Redaktion Conny Paul