Von Karstadt zu Arcandor
20. April 2009
Einen Herrn Karstadt gab es wirklich einmal: Am 14. Mai 1881 gründete Rudolf Karstadt sein erstes Kaufhaus. Und zwar in Wismar. Dem "Tuch-, Manufactur- und Confectionsgeschäft Karstadt" folgten schnell Filialen in 24 Städten Norddeutschlands, die alle auf das gleiche Geschäftsmodell setzten – nämlich günstige Festpreise in einer Zeit, in der üblicherweise noch beim Kaufmann um die Preise "gehandelt" und "gefeilscht" wurde.
Die Epoche großer Warenhäuser beginnt
Das erste deutsche Großstadt-Warenhaus eröffnete Karstadt im Jahre 1912 an der Mönckebergstrasse in Hamburg. Die Verkaufsfläche betrug für damalige Verhältnisse üppige 10.000 Quadratmeter. Ungefähr zur gleichen Zeit rückte die eigene Herstellung von Textilien in den Blickpunkt. Es entstanden ein großes Stofflager und eine Wäschefabrik in Berlin, 1919 wurde eine Herrenkleiderfabrik in Stettin eröffnet.
Karstadt expandierte in Richtung Südwesten: 1920 erfolgten die Übernahme der westfälischen Firma Althoff und die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft. Bis zum Beginn der 1930er Jahre wuchs das Filialnetz des Karstadt-Konzerns auf fast 90 Warenhäuser. Außerdem wurden die Epa-Einheitspreis-Aktiengesellschaft und ein damit verbundenes Netz von über 50 Niedrigpreis-Warenhäusern aufgebaut. Hinzu kamen Webereien, Schlachtereien, Einrichter und Druckereien, die Karstadt erwarb, um weniger abhängig von Zulieferern zu sein.
Wirtschaftskrise und Nationalspzialismus
Karstadt eröffnete im Jahre 1929 in Berlin-Kreuzberg am Herrmannplatz eines der damals größten Kaufhäuser der Welt: Neun Stockwerke hoch, mehr als 70.000 Quadratmeter Nutzfläche, rund 4000 Mitarbeiter, eigener U-Bahn-Anschluss. Doch bereits Anfang der 1930er Jahre führte die Weltwirtschaftskrise zu dramatischen Umsatzrückgängen, in deren Folge Firmengründer Rudolph Karstadt aus der Unternehmensspitze ausstieg.
Bald übernahmen in Deutschland die Nationalsozialisten die Macht. Warenhäuser galten bei den Nazis als "jüdische Erfindung", Repressionen setzten ein. Die Bilanz nach dem Zweiten Weltkrieg fiel verheerend aus: Die Filialen in den Ostgebieten jenseits von Oder und Neiße waren verloren. Enteignet wurden die Filialen in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone. Zwei Drittel der 45 Standorte in den Westzonen waren schwer beschädigt oder gar zerstört.
Sturm und Drang
Die Boomjahre des deutschen "Wirtschaftswunders" verliehen der Karstadt AG Anfang der 1950er Jahre wieder neuen Schwung. Eine fast beispiellose Expansion begann. Die Liste der Übernahmen, die seitdem von Karstadt getätigt wurden, glänzt mit prominenten Namen: Auf die Grimme-Warenhäuser in Schleswig-Holstein in den 1960er Jahren folgte ab 1977 die sukzessive Übernahme der Neckermann-Unternehmensgruppe.
Die ostdeutschen Centrum-Warenhäuser wurden nach der Wiedervereinigung dem Konzern einverleibt. 1994 wurden die Hertie-Kaufhäuser übernommen. Damit wurde Karstadt auch Eigentümer mehrerer Grundstücke des jüdischen Kaufhausgründers Wertheim, der von den Nationalsozialisten enteignet worden war. 2005 wurde das Unternehmen, das 1999 mit dem Versandhaus Quelle zur KarstadtQuelle AG fusioniert war, zu einer Entschädigung der Erben verurteilt.
2007 wurde die KarstadtQuelle AG umbenannt in Arcandor AG. Der Handels- und Touristikkonzern hat seinen Unternehmenssitz in Essen. Seine Kerngeschäftsfelder sind der Einzelhandel, der Versandhandel und der Tourismus.
Autor: Klaus Ulrich
Redaktion: Julia Elvers-Guyot