Das Literaturfest München ist eröffnet
12. November 2016Einen Stargast wie im letzten Jahr den Dichter Adonis gab es bei der Eröffnung der 7. Ausgabe des Literaturfests München nicht. Die bekannte TV-Kulturredakteurin Luzia Braun, die als Moderatorin durch den Abend führte, hatte es mit vielen Gästen zu tun, wobei einige davon nur im Video präsent waren: Die Schriftstellerin Katja Lange-Müller philosophierte im Film über das Zigarettenrauchen an Flughäfen und die verbreitete Drehtürphobie. Ihr Autoren-Kollege Raoul Schrott ließ sich Ironie-schwanger vor der Gedenkstätte Walhalla filmen, dem von Bayers König Ludwig I. veranlassten Nachbau eines griechischen Tempels. Seit 1842 werden hier "berühmte Persönlichkeiten deutscher Zunge" geehrt. Christoph Ransmayr sprach über seine Abneigung gegen Literaturfestivals und was ihm hilft, sie zu überwinden. Sie alle wurden in kurzen, vom Publikum amüsiert aufgenommenen Filmen von Andreas Ammer porträtiert. Persönlich kommen sie wie viele weitere prominente Autoren erst später nach München.
Thema Sprache im Autorenforum: "ein wort gibt das andere"
Doch das Literaturfest glänzt nicht nur mit großen Namen. Sprache als Verständigungs- und soziales Distinktionsmittel und Sprachen in ihrer ganzen bedrohten Vielfalt sind das zentrale Thema des diesjährigen Literaturfests. Die Spiegel-Journalistin und Autorin Elke Schmitter hat das Programm dazu unter dem Motto "ein wort gibt das andere" zusammengestellt. Sprache und Poesie unter den Bedingungen politischer Repression, darum wird es im "forum:autoren" gehen, und die Kuratorin erzählt, warum sie das Thema für so wichtig hält: "Sprache formt alles, was uns wichtig ist. Sprache ist Rohstoff unserer Literatur und unseres Denkens." Sie nennt Beispiele: Im Deutschen mit seiner Subjekt-Objekt-Grammatik muss man immer benennen, wer spricht. In "Östlichen Pomo", einer Indianersprache Nordkaliforniens, kann niemand eine Aussage in die Welt setzen, ohne die Quelle seiner Tatsachenbehauptung zu benennen. Wohin würde das in einer Welt von Twitter, Facebook und Donald Trump führen, wenn das in allen Sprachen so wäre, fragt die Kulturredakteurin.
Dass Sprachen auch immer abhängig sind, von Stimmen, die sie sprechen, weiß auch die neuseeländische Musikerin Hinemoana Baker. Sie trägt ein Lied in ihrer Vater-Sprache Maori vor, einer Sprache, die sie erst als Erwachsene gelernt hat. Indigene Sprachen zu erlernen sei wichtig, um sie vor dem Aussterben zu schützen, erklärt sie im Gespräch mit Luzia Braun. Nur so, ergänzt Elke Schmitter, könne das "Andere", das sie im Titel ihrer Reihe angesprochen habe, vor dem Verschwinden gerettet werden.
Mit Literatur die "Normalisierung des Schreckens" verhindern
Das Literaturfest 2015 stand ganz im Zeichen von "Flucht und Vertreibung", die hochaktuelle Flüchtlingsthematik war allgegenwärtig. Dass die Welt sich weiterhin in einem kritischen Zustand befindet, wird auch in diesem Jahr, in dem das Programm insgesamt weniger politisch ist, nicht übergangen. Bei der Eröffnung ist es der ursprünglich aus dem kurdischen Nordirak stammende Autor Bachtyar Ali, der an Krieg und Gewalt erinnert. Ali - im Irak ein gefeierter Schriftsteller - lebt seit mehr als zehn Jahren in Köln. Erst sein in diesem Jahr auf Deutsch erschienener Roman "Der letzte Granatapfel", der im Original schon 2003 publiziert wurde, hat ihn auch in Deutschland schlagartig bekannt gemacht.
Sein Buch erzählt auf poetische Weise von Gefangenschaft, Grausamkeit und Leid. Flucht ist die Folge von Armut, Krieg und Vertreibung, und für Ali etwas Existentielles, ein "allgemeiner Menschheitszustand". "Flucht ist eine Art von Globalisierung, bei der der freien Bewegung von Waren und Kapital die freie Bewegung der Menschen noch fehlt. Die Menschen fliehen aus utopischen Gründen: Sie kommen nie an einem Ort an. Flüchtlinge sind wie ein neues Volk auf der Erde, ohne Identität und Sprache. Dies ist ein Kollaps der menschlichen Zivilisation." Literatur sei das wichtigste Mittel, um gegen die "Normalisierung des Schreckens" zu arbeiten, eine moralische Aufgabe.
Möglichkeiten der Wahrheitsfindung
Gegen die Abstumpfung schreibt auch Sabine Gruber an. Sie hat mit "Doldossi oder Das Leben des Augenblicks" ein Buch über den Alltag eines Kriegsfotografen geschrieben. In ihrem Roman untersucht sie die suggestive Macht von Bildern. "Was machen diese Bilder von Grausamkeiten mit den Betrachtern und mit dem, der sie schießt?", fragt die in Wien lebende Schriftstellerin im Gespräch mit Bachtyar Ali und Luzia Braun. Fotos sind in ihrem Buch nicht abgebildet, nur beschrieben. "Ich mache den Leser zum Fotografen, die Bilder entstehen in seinem Kopf. Ich zwinge die Wahrnehmung so zur Verlangsamung. Fotos brauchen immer einen Kontext."
Auch Literaturnobelpreisträgerinnen werden in München erwartet
Rund 100 Schriftsteller werden in München erwartet, darunter die Literaturnobelpreisträgerinnen Swetlana Alexijewitsch und Herta Müller. Einige Autorinnen werden nicht persönlich in Erscheinung treten: Elena Ferrante wird von der Schauspielerin Eva Mattes vorgestellt. Die 88-jährige Jane Gardam, die auch in Deutschland sehr erfolgreiche Autorin der "Old-Filth"-Trilogie über das alte England, richtete nur ein schriftliches Grußwort an ihre Leser und Freunde in München, das bei der Eröffnung verlesen wurde. Eingeladen sind der US-amerikanische Bestseller-Autor Justin Cronin und Carolin Emcke, die aktuelle Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels. Cornelia Funke liest aus ihrem fantastischen Kinderbuch "Drachenreiter". Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler spricht über Henning Mankells posthum erschienenen Roman "Die schwedischen Gummistiefel". Im Rahmen des Festivals werden auch drei Auszeichnungen verliehen, darunter am 21. November der mit 10.000 Euro dotierte Geschwister-Scholl-Preis an die französische Journalistin Garance Le Caisne für ihr Buch "Codename Caesar".
Das Literaturfest München dauert noch bis zum 27. November an.