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Vom Nationalstaat zur EU

Bettina Bräuniger23. März 2007

Die EU ist als politisches Gebilde einzigartig auf der Welt. Nationalstaaten haben sich zusammengeschlossen und wesentliche Politikbereiche an Brüssel abgegeben. Doch wie sind nun eigentlich die Kompetenzen verteilt?

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Protest von Hafenarbeitern in Straßburg - Richtlinien aus Brüssel werden oft als Einmischung verstandenBild: dpa - Report

Dienstleistungsrichtlinie, Chemikalienverordnung und Gleichbehandlungsrichtlinie: Das sind nur drei von mehr als 1000 Richtlinien und über 10000 Verordnungen, die in nationales Recht übergehen. Nahezu die Hälfte der Gesetze in den einzelnen europäischen Mitgliedstaaten kommt inzwischen "aus Brüssel".

Grundprinzip des europäischen Föderalismus

Brüssel wird häufig als Monstrum der Bürokratie gescholten. Frank Decker, Bonner Politikprofessor, bezeichnet dies jedoch als Irrtum. Rein quantitativ betrachtet gebe es dort sogar weniger Beamte als in der Kölner Stadtverwaltung. Für die Umsetzung der Brüsseler Entscheidungen seien vielmehr die Bürokratien der nationalen Mitgliedstaaten zuständig. "Das ist ein Grundprinzip des europäischen Föderalismus", meint Decker.

Die Mitgliedstaaten übernehmen nicht nur europäisches Recht, sie bringen es auch selbst mit auf den Weg. Mehrmals jährlich entsenden sie ihre Fachminister nach Brüssel zum Ministerrat - vom Wirtschafts-, über den Agrar- bis hin zum Gesundheitsminister.

Europäisches Denken dringend nötig

Europäisches Parlament von innen, Quelle: European Parliament
Das Europäische Parlament wird zunehmend wichtigerBild: Photo European Parliament/Architects : Architecture Studio

Die Ratstagungen finden allerdings noch immer hinter verschlossenen Türen statt. Die Ergebnisse präsentieren die Fachminister anschließend als Erfolge oder Misserfolge ihres eigenen Nationalstaates. Dabei sei ein europäisches Denken in vielen Fragen dringend nötig, meint Ludger Kühnhardt, Direktor des Zentrums für Europäische Integrationsforschung in Bonn.

Er habe weniger die Sorge, dass es zu viele europäische Lösungen gebe, als vielmehr die Sorge, dass die Herstellung des europäischen Konsens zu langsam voran schreite - vor allem in Themen, die wirklich wichtig seien, wie zum Beispiel in der Energiefrage.

Wer hat welche Kompetenzen?

Europäische Lösungen oder nationale Lösungen? Diese Frage zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der europäischen Integration. Seit dem Maastrichter Vertrag von 1992 steht es schwarz auf weiß im europäischen Recht: Die Europäische Gemeinschaft darf nur dann etwas regeln, wenn die Mitgliedstaaten dies "nicht ausreichend" können und die Europäische Gemeinschaft es "besser" kann. "Subsidiarität" ist der Fachbegriff für dieses Prinzip.

In vielen Bereichen nur europäische Lösungen denkbar

Passanten gehen an einem Informationsstand in Belgrad zur Europawahl, Quelle: dpa
Bei den EU-Parlamentswahlen ist die Wahlbeteiligung eher geringBild: dpa

"Das Subsidiaritätsprinzip soll vor allem eine Botschaft an die europäischen Bürger sein, dass die EU nicht angetreten ist, um Europa zu normieren und zu standardisieren", so Kühnhardt. Gleichwohl gebe es viele Bereiche, wo nur europäische Lösungen denkbar seien. Der Klimaschutz sei zum Beispiel nicht als Angelegenheit eines einzelnen Landes, sondern nur in der Gemeinschaft umsetzbar.

Auch in anderen Bereichen sieht Kühnhardt Kooperationsbedarf: "Warum brauchen wir 27 europäische Armeen, wenn wir doch eigentlich nur eine fundierte Eingreiftruppe für Krisenbewältigungen benötigen, und wieso gibt es 27 verschiedene europäische Entwicklungsministerien statt einer gemeinsamen europäischen Entwicklungsagentur?"

EU ist stark in Wirtschaftsfragen

Eindeutig das Sagen hat die Europäische Gemeinschaft in wirtschaftlichen Fragen. Bereits die Römischen Verträge vom 25. März 1957 hatten das Ziel, eine Europäische Wirtschaftsgemeinschaft herzustellen. Diese mündete dann 1992 in den europäischen Binnenmarkt. Waren, Kapital, Personen und Dienstleistungen sollten sich frei von Hindernissen bewegen können.

Das erforderte zusätzliche europäische Regelungen - etwa die gegenseitige Anerkennung von Hochschuldiplomen, die Festlegung von einheitlichen Produktstandards oder das Verbot von Diskriminierung - ausgeweitet auf immer mehr Lebensbereiche.

Europäisches Demokratiedefizit

"Die Bürger ahnen, dass ein immer größerer Teil ihrer eigenen Lebenswirklichkeit auf europäische Entscheidungen zurückgeht", meint Decker. Sie hätten aber den Eindruck, dass sie selber keinen Einfluss nehmen können. Das würde man mit dem europäischen Demokratiedefizit bezeichnen. Ausdruck hierfür sei auch die zurückgehende Beteiligung an den Wahlen zum Europäischen Parlament.

Ein Tornado-Kampfflugzeug beim Start, Quelle: dpa
Noch gibt es 27 nationale ArmeenBild: dpa

Dabei hat das EU-Parlament im Laufe der Geschichte immer mehr Bedeutung gewonnen. Je mehr Bereiche auf europäischer Ebene geregelt wurden, desto mehr konnte das Europäische Parlament mitentscheiden. Seit den neunziger Jahren kann es bei mehr als einem Dreiviertel der europäischen Gesetzgebung zustimmen oder ein Veto einlegen.

Diese Parlamentarisierung der Europäischen Union sei aber noch nicht gleichbedeutend mit ihrer Demokratisierung, meint Decker. Der Machtzuwachs des Europäischen Parlaments sei noch nicht bis zu den Wählern durchgedrungen.

Europa soll für Bürger interessanter werden

Vorschläge gibt es viele, wie Europa für seine Bürger interessanter gestaltet werden könnte. Doch noch ist nicht geklärt, welche der drei europäischen Institutionen eigentlich den Präsidenten stellen würde: Die Kommission als Spiegel des gemeinsamen Europas? Der Rat als Spiegel der europäischen Mitgliedstaaten? Oder das Parlament als Spiegel aller europäischen Bürger?

"Europa wird in Zukunft ein Mittelding zwischen einer bloßen lockeren Zusammenarbeit und einem integrierten Bundesstaat sein", sagt Decker. Darüber, wie dieses Mittelding dann aussehe, habe man allerdings noch keine genauen Vorstellungen. "Wir wissen ja heute noch nicht mal ganz genau, welche Länder und welche Regionen eigentlich zu Europa dazugehören", so der Politikprofessor.

Weit mehr als ein Staatenbund

Die Europäische Union zu beschreiben ist nicht einfach. Sie ist kein Bundesstaat. Es gibt keine Vereinigten Staaten von Europa nach dem Vorbild Amerikas. Aber die Europäische Union ist weit mehr als ein Staatenbund, mehr als ein bloßer Zusammenschluss von Nationalstaaten. Sie ist ein einzigartiges Gebilde auf der Welt, und ihre Entwicklung dauert an.