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Flucht ins Exil

Michael Marek31. Mai 2013

Das NS-Regime hat sich wie kein anderes Herrschaftssystem der Massenkultur bedient. Vor allem mit dem Kino sollten die Herzen der Bevölkerung erobert werden. Jüdische Filmschaffende wurden systematisch verfolgt.

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Szene aus dem Anti-Nazi-Film aus Hollywood: "Auch Henker sterben" von Fritz Lang (Foto: DVD-Anbieter Absolut Film)
Bild: absolut Medien

"Die Kunst ist frei und die Kunst soll frei bleiben, al­lerdings muss sie sich an bestimmte Normen gewöhnen." So Reichspropagandaminister Joseph Goebbels in einer Rede vor den Vertretern der deutschen Filmindustrie am 28. März 1933. Schon einen Tag später war klar, was Goebbels unter "Normen" verstand: Nach einem persönlichen Gespräch mit dem Generaldirektor des wichtigsten deutschen Filmunternehmens, der Universum Film AG (Ufa), erklärte Ludwig Klitzsch: "Mit Rücksicht auf die infolge der nationalen Umwälzungen in Deutschland in den Vordergrund getretene Frage über die Weiterbeschäftigung von jüdischen Mitarbeitern und Angestellten in der Ufa beschließt der Vorstand grundsätzlich, dass nach Möglichkeit die Verträge mit jüdischen Mitarbeitern gelöst werden sollten."

Vorauseilender antisemitischer Gehorsam

So stand es in dem Beschluss des Ufa-Vorstandes vom 29. März 1933. Damit war die Entlassung der jüdischen Mitarbeiter beschlossen. Im Laufe einer Sitzungsstunde und auf wenigen Seiten Protokoll hatte die Ufa-Direktion sich vieler ihrer besten Mitarbeiter entledigt. Darunter waren international namhafte Künstler wie Erik Charell, der Regisseur des Erfolgsfilms "Der Kongress tanzt", Erich Pommer, Elisabeth Bergner, Conrad Veidt und Fritz Kortner. Zwei Monate nach Hitlers Wahl zum Reichskanzler löste der größte deutsche Filmkonzern durch seinen Vorstandsbeschluss einen Exodus deutscher Filmkünstler aus.

Tagung des Reichskultursenats im Hotel Kaiserhof in Berlin am 4. April 1936. Reichspropagandaminister Joseph Goebbels bei seiner Rede. (Foto: Ullstein)
Goebbels engagierte sich persönlich im FilmgeschäftBild: ullstein bild - Süddeutsche Zeitung Photo

Natürlich war es der Ufa nicht möglich, alle jüdischen Mitarbeiter auf einmal zu entlassen. Andernfalls wäre es zu einem großen Ausfall bereits angelaufener Produktionen gekommen. So entschied man sich, einzelne jüdische Künstler weiterzubeschäftigen. Doch diese Sonderregelungen währten nicht lange.

Für Volk und Vaterland

Fast bruchlos vollzog sich der institutionelle Übergang der Kinoproduktion von der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus: Im September 1933 wurde die vorläufige Filmkammer in die neugeschaffene Reichskulturkammer eingegliedert, die sämtliche Kulturgebiete umfasste. Das Gesetz hatte zur Folge, dass dem NS-Regime missliebigen Filmkünstlern kurzerhand die Mitgliedschaft verweigert wurde. Das kam einem Berufs­verbot gleich.

Wie auch in anderen Bereichen der Gesellschaft enteigneten die Nationalsozialisten Kapital und Produktionsmittel jüdischer Firmen. 5000 zumeist jüdi­sche Filmschaffende und politisch Andersdenkende wurden aus ihren Positionen gedrängt. Die völkisch-rassische "Säuberung" der Filmindustrie hatten die Nationalsozialisten bereits vor der Machtübernahme 1933 beschworen: Vor allem dem "Berliner Filmjudentum", wie es im demagogischen Sprachgebrauch der Nationalsozialisten hieß, war die Vernichtung ihrer Existenz angekündigt worden. Im NS-Staat wurde diese Drohung konsequent umgesetzt.

Undatierte Aufnahme des deutschen Filmproduzenten Erich Pommer. Pommer war vor 1933 ein sehr berühmter Filmproduzent der Ufa ("Der blaue Engel", "Die drei von der Tankstelle" usw.) und feierte später auch in Hollywood große Erfolge. Er wurde am 20.07.1989 in Hildesheim Geboren und starb am 08.05.1966 in Los Angeles. Foto: dpa +++(c) dpa - Report+++
Prominenter Auswanderer: der Produzent Erich PommerBild: picture-alliance/dpa

Künstlerischer Exodus

Vielen Künstlern blieb das Exil als einziger Ausweg. Regisseure, Schauspieler, Drehbuchautoren, Komponisten, Architekten, Kameraleute und Techniker verließen früh Deutschland. Unter den Emigranten waren so bekannte Namen wie Hertha Thiele, Paul Henreid, Albert Basser­mann, Max Ophüls, Fred Zinnemann und Otto Premin­ger. Sie wurden von zumeist regimetreuen Personen und Opportunisten ersetzt. Wer der "Arisierung" der deutschen Filmindustrie nicht rechtzeitig entkam, wurde, wie der Schauspieler Kurt Gerron, von den Nationalsozialisten ermordet.

Das aufgezwungene Exil bedeutete für viele Künstler einen ungewissen Neubeginn im Ausland. Insbesondere Schauspieler und Drehbuchautoren sahen sich mit Sprachbarrieren konfrontiert, die eine Fortsetzung ihrer Karriere erheblich erschwerte oder schlicht unmöglich machte. Frankreich, Großbritannien, die Niederlande, Österreich und Ungarn gehörten zunächst zu den Exilländern. Die Arbeitsmöglichkeiten blieben in Europa begrenzt, sei es durch die filmpolitischen Maßnahmen des NS-Regimes und dann durch den 2. Weltkrieg.

Hollywoodschriftzug auf historischem Foto (Foto: AP Photo/Courtesy of the Bruce Torrence Hollywood Photograph Collection)
Hollywood lockte seit jeher die Filmschaffenden aller LänderBild: AP

Fluchtpunkt Hollywood

Schließlich wurde Hollywood zum wichtigsten Ziel für die geflüchteten Filmexilanten. Etwa 800 Künstler erreichten bis Anfang der 1940er Jahre das rettende Ufer der Vereinigten Staaten und versuchten hier Fuß zu fassen. Im Casting vieler US-Filme spiegelte sich allerdings eine bittere Ironie der Geschichte wider: Die deutschen Emigranten spielten zwar auch Flüchtlinge, vor allem aber SS-Schergen aus Deutschland.

Auch schon in den 1920er Jahren, lange vor Beginn der NS-Herrschaft, hatten viele Filmschaffende versucht, sich in Hollywood eine neue Existenz aufzubauen. Schon damals war die größte Filmindustrie der Welt das Ziel zahlreicher prominenter Künstler aus Deutschland. Nun folgten Persönlichkeiten wie Peter Lorre oder Billy Wilder, dessen Weltkarriere als Autor und Regisseur im US-amerikanischen Exil begann.

Erfolge für nur wenige Filmemigranten

Den Erfolgsgeschichten einiger weniger Emigranten wie Wilder, Fritz Lang, Otto Preminger, Marlene Dietrich, Curt Siodmak und Douglas Sirk standen Hunderte von Flüchtlingen gegenüber, die im US-Studiosystem nur mühsam oder allenfalls dank solidarischer Unterstützung überleben konnten. Selbst ein überaus populärer Star wie Conrad Veidt musste sich mit (tragenden) Nebenrollen begnügen: In dem Anti-Nazi-Kultfilm "Casablanca" spielte er den herrisch-kalten NS-Major Strasser.

Peter Lorre, der Kinderschänder aus Fritz Langs Klassiker "M", etablierte sich in Hollywood als finsterer und skurriler Ausländer, der es zu einiger Popularität brachte. Nicht alle Emigranten fanden den Anschluss, viele mussten den Beruf wechseln oder blieben arbeitslos. Manche lebten in der Annahme, sie würden eventuell wieder nach Deutschland zurückkehren. Doch als sich nach dem Krieg die Möglichkeit dazu bot, konnten nur wenige sie nutzen.

Der Schauspieler Peter Lorre mit Renate Mannhadt in einer Szene des Fims "Der Verlorene" (Foto: dpa)
Einer der wenigen, die nach dem Krieg Fuß fassen konnten: Peter Lorre in seinem Film "Der Verlorene"Bild: picture alliance / dpa