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"Schwerer Fehler der Amerikaner"

Jeanette Seiffert10. Juli 2014

Nach dem erneuten Spionagefall weist die Bundesregierung einen CIA-Mitarbeiter aus. Der Ex-Koordinator der deutsch-amerikanischen Beziehungen Karsten Voigt glaubt, dass sich die USA selbst am meisten schaden.

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Karsten Voigt. Foto: DW.
Bild: DW

Deutsche Welle: Herr Voigt, jetzt ist schon der zweite Spionagefall bekannt geworden - diesmal im Verteidigungsministerium. Finanzminister Wolfgang Schäuble hat am Dienstag beim Sender Phoenix von einer "Dummheit" der Amerikaner gesprochen, über die man eigentlich nur weinen könne - hat er womöglich Recht damit?

Karsten Voigt: Ich würde es noch etwas anders formulieren, denn Dummheit hört sich ja so an, als sei das bei den Amerikanern aus Versehen passiert. Das ist es aber, glaube ich, nicht. Denn die Amerikaner sehen ihre Spionage gegenüber Deutschland eben nicht als Problem an.

Es handelt sich vielmehr um einen schweren politischen Fehler, den die Amerikaner machen, weil sie sich in der Güterabwägung zwischen Spionageergebnissen und den Informationen, die sie dadurch erhalten, und dem Schaden für die transatlantischen Beziehungen offensichtlich falsch entschieden haben. Es deutet alles darauf hin, dass sie das noch nicht begriffen haben. Sie werden ihre Haltung nur ändern, wenn sie einsehen, dass der Nutzen, den sie aus der Spionage ziehen, geringer ist als der Schaden, den sie damit anrichten.

Zumindest die Rhetorik von deutscher Seite hat sich jetzt deutlich verschärft, zudem soll jetzt der Resident der US-Geheimdienste in Deutschland ausgewiesen werden. Was heißt das für das weitere transatlantische Verhältnis?

Ich glaube, dass das eine schwere Belastung für die deutsch-amerikanische Beziehung bedeutet. Aber das heißt nicht, dass nicht weiter wahr ist, dass die Vereinigten Staaten immer noch unser wichtigster Partner außerhalb der Europäischen Union ist. Das heißt, wir müssen weiterhin im wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Bereich zusammenarbeiten, aber auch bei den Nachrichtendiensten. Denn in gewisser Weise sind die Amerikaner für uns natürlich wichtiger als wir für sie, und diese Asymmetrie bleibt bestehen, auch im Bereich der Nachrichtendienste.

Nimmt nach Ihrer Einschätzung die US-Regierung die Verschärfung im Ton überhaupt wahr?

Ich glaube, dass die Amerikaner darüber überrascht sind, dass wir überrascht sind. Denn sie sind davon ausgegangen, dass wir nicht nur vermuten, dass sie gelegentlich bei uns spionieren, sondern dass wir das bei ihnen auch tun. Wenn ich bei Gesprächen in den USA erzähle, dass die Deutschen das nicht tun, sind die Amerikaner immer völlig überrascht.

Sie haben bis vor vier Jahren im Auswärtigen Amt die deutsch-amerikanischen Beziehungen koordiniert. Können sie uns eine Einschätzung liefern, was da jetzt hinter den Kulissen abläuft?

Die eine Ebene ist, dass die deutschen Politiker jetzt versuchen werden, den Vereinigten Staaten den politischen Schaden, den die USA verursacht haben, deutlich vor Augen zu führen. Dem dienten verschiedene Pressestatements, aber auch der Besuch des Auswärtigen Ausschusses in Washington. Zweitens überlegt jetzt die deutsche Politik, wie sie darauf reagieren soll. Da gibt es eine Reihe von ganz vernünftigen Vorschlägen, etwa der, dass man die Spionageabwehr stärker handlungsfähig macht gegenüber einer möglichen Bespitzelung aus westlichen Ländern und da besonders der USA. Dann gibt es aber auch eine Reihe von schädlichen Vorschlägen, zum Beispiel der, dass man jetzt in den USA auch anfängt zu spionieren: Meiner Meinung nach wäre da der Schaden größer als der Nutzen, wir würden dann also nur den Fehler der Amerikaner wiederholen.

Und dann gibt es noch eine Reihe von Leuten, die ohnehin immer gegen das TTIP, also das Freihandelsabkommen mit den USA, waren und die jetzt nach der Spionageaffäre sagen, wir sollten die Verhandlungen unterbrechen. Das ist meiner Meinung nach aber auch Unsinn: Entweder liegt TTIP in beiderseitigem Interesse, dann kann man es verabschieden, und wenn nicht, dann wird es nicht unterschrieben. Aber man sollte das nicht mit den aktuellen Vorfällen koppeln.

Bisher zeigt die US-Regierung ja keinerlei Neigung, an ihren Spionageaktivitäten gegenüber Deutschland etwas zu ändern. Gibt es aus Ihrer Sicht überhaupt ein Mittel, um die Amerikaner wirksam unter Druck zu setzten?

Ich glaube, neben der Spionageabwehr können wir nichts anderes tun, als die USA zu einer Neuabwägung der Kosten-Nutzen-Kalkulation zu bringen. Aber man muss eben wissen, dass der Spionageapparat und die Geheimdienste in den USA eine viel größere Rolle spielen als bei uns: Sie sind umfangreicher, sie haben Aufgaben, die bei uns der BND nicht hat. Sie sind zum Beispiel auch am Sturz fremder Regierungen beteilig, also am "Regime change" in anderen Staaten. Drohnen zur Aufklärung werden dort nicht nur vom Verteidigungsministerium eingesetzt, wie bei uns, sondern auch vom CIA. Und die politische Elite in den USA hat ein im Prinzip sehr positives Verhältnis zu den Geheimdiensten, der Ausbau der Dienste nach 9/11 ist auf breite Unterstützung gestoßen. Insofern stößt unsere Kritik dort auf Unverständnis, und wir könnten nichts anderes tun, als da um Verständnis zu werben und uns darauf einzustellen, dass die Amerikaner auch in Zukunft bei uns spionieren werden. Aber wir können nicht die amerikanische Kultur der Geheimdienste von außen verändern, das können nur die Amerikaner von innen.

Karsten Voigt (geb. 1941) saß von 1976 bis 1998 für die SPD im Deutschen Bundestag und war von 1999 bis 2010 Koordinator für die deutsch-amerikanischen Beziehungen im Auswärtigen Amt. Heute sitzt er im Beirat der "Atlantischen Initiative".

Das Interview führte Jeanette Seiffert.