Vietnams Schätze in Deutschland
29. Januar 2017"Wann kommt man schon mal nach Vietnam?", fragt Klaus Wilhelm Arndt rhetorisch. Der ehemalige Goldschmied ist begeistert von der Vietnam-Ausstellung im LWL-Museum für Archäologie in Herne. Mit Zeichenbrett und Skizzenheft geht er die Vitrinen und Skulpturen ab, um ausgewählte Ausstellungsstücke zu zeichnen. "Fotos landen hinterher nur in der Ecke. Aber wenn ich die Exponate zeichne, dann bleiben sie im Gedächtnis." Besonders faszinieren ihn die Ohrhänger der Sa Huynh-Kultur aus der Eisenzeit in Mittelvietnam. Die aus Glas oder Achat gefertigten Ohrringe verbinden zwei dreieckige Tierköpfe über einen Steg, an dem die Aufhängung befestigt ist.
Sandra Maus, Volontärin am LWL-Musum, mag diesen Abschnitt der Ausstellung ebenfalls besonders. "Mich fasziniert die Sa Huynh-Kultur. Deren einmalige Form der Hockbestattung in großen Tongefäßen und dass die auf den Ohrhängern dargestellten Säugetiere erst im 20. Jahrhundert wieder entdeckt wurden." Es handelt sich um das Saola, ein sehr seltenes vietnamesisches Waldrind, das 1993 erstmals leben gesichtet wurde.
Ausstellung mit Anspruch
Die Ausstellung in Herne deckt mit über 400 Exponaten mehr als 10.000 Jahre vietnamesische Geschichte ab. Von der Steinzeit über die wichtige Dong Son-Kultur, das Königreich der Cham bis zum Reich Dai Viet, das schließlich durch die französische Kolonialherrschaft abgelöst wurde. Die Dong Son-Kultur ist berühmt für ihre reich verzierten Bronzetrommeln. Die Cham, deren Herkunft ungeklärt ist, sind stark von der indischen Kultur geprägt. Und Dai Viet ist das erste vietnamesische Königreich nach der Unabhängigkeit von China.
Den Machern der Ausstellung ging es darum, ein anderes Bild von Vietnam zu zeigen, wie Stefan Leenen, Projektleiter der Vietnam-Ausstellung in Herne, im Gespräch mit der DW erklärt: "Vietnam, das ist in Deutschland noch sehr stark durch den Vietnam-Krieg besetzt. Aber es gab auch vor dem Krieg eine faszinierende, einmalige Kulturlandschaft, die viel zu wenig bekannt ist."
Leenen betont: "Der Anspruch war, nicht einfach nur schöne Dinge aus Vietnam zu zeigen, sondern diese auch in einem archäologischen Kontext zu erklären." Der Fokus der Ausstellung liegt vor allem auf den archäologischen Arbeiten der Vietnamesen. Kaum ein anderes Land in Südostasien hat in den letzten Jahren derartig viele Ausgrabungen und Museumsneubauten initiiert wie Vietnam. "Seit Jahrzehnten gibt es in Vietnam ein starkes Interesse an der Archäologie. Sogar während des Vietnam-Krieges wurden archäologische Ausgrabungen fortgeführt oder begonnen", erklärt Leenen. Das habe sicher mit der Legitimation von Herrschaft und der Förderung der Identität zu tun. Es geht der Regierung damals wie heute darum, das Selbstbewusstsein zu stärken. "In der Kolonialzeit etwa ist das Vietnamesische stark unterdrückt worden. Doch mit der Archäologie konnte man den Menschen zeigen: Ihr habt eine alte Kultur. Egal welche Katastrophen das Land ereilen, wir bleiben, wer wir sind."
Archäologie und Politik
Dass Archäologie und Geschichtsschreibung in Vietnam auch eine gegenwartsbezogene politische Dimension haben, war für die Macher der Ausstellung nicht immer einfach. So ergänzte beispielsweise ein Mitarbeiter des vietnamesischen Nationalmuseums aus Hanoi noch bei der Ausstellungseröffnung sämtliche im Museum zu sehenden Karten mit einem Filzstift um die mit China umstrittenen Inseln im Südchinesischen Meer. Die Zeit der chinesischen Besatzung, die immerhin 1000 Jahre betrug (111 v. Chr. Bis 939 n. Chr.), wird in Vietnam nur stiefmütterlich behandelt. Ihr wird in der Ausstellung auch nur ein kleiner Teil gewidmet.
Während der Nationalstolz Ausgrabungen, Ausstellungen und die Bewahrung von archäologischen Funden befördert, hemmen ideologische Scheuklappen die Erforschung und Interpretation einzelner Objekte oder besonders reichhaltiger Fundstellen. Das sei schade, bemerkt Leenen. "Über außergewöhnliche Funde wie etwa das Bootsgrab Viet Khe mit seinen fast 100 Bronzeobjekten wissen wir nur sehr wenig." Und der Vergleich mit ähnlichen Funden im Nachbarland China sei tabu. Interpretationen, die die herrschende archäologische Meinung infrage stellen könnten, würden allenfalls auf wissenschaftlichen Tagungen, aber nicht in Veröffentlichungen mit der offiziellen Ansicht geäußert.
Mammutprojekt
Insgesamt hat es von der Idee im Jahr 2004 bis zur Realisierung der Ausstellung 2017 mehr als zehn Jahre gebraucht. Hunderte Mitarbeiter in Deutschland und Vietnam haben das ungewöhnliche Projekt möglich gemacht. Für das Gelingen ist maßgeblich Andreas Reinicke vom Deutschen Archäologischen Institut verantwortlich. Er hat sich als der Kenner der vietnamesischen Archäologie im deutschsprachigen Raum und mit besten Kontakten nach Vietnam unermüdlich für die Ausstellung eingesetzt.
Dass sich der Einsatz gelohnt hat, bestätigt auch Familie Neualt, die die Ausstellung besucht hat. "Wir reisen in drei Wochen nach Vietnam. Und da ist es doch eine großartige Möglichkeit, sich vorab über dieses sehr interessante Land zu informieren."
Die Ausstellung "Schätze der Archäologie Vietnams " ist noch bis zum 26.02.2017 im LWL-Museum Herne zu sehen. Danach geht sie ins staatliche Museum für Archäologie Chemnitz (31.03.2017 bis 20.08.2017) und die Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim (16.09.2017 bis 7.01.2018).
Der abbildungsreiche Katalog bildet nicht nur die Ausstellung ab, sondern ist zugleich eine kenntnisreiche Einführung in die Archäologie Vietnams.