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Vietnam auf dem Weg zu neuen Lernformen

22. März 2006

Lernen hat in Vietnam Tradition. Die erste Universität in Hanoi bildete aus, lange bevor die Grundsteine für Oxford oder Cambridge gelegt waren. Doch mit der Zeit sind die Lehrmethoden veraltet.

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Zum Appell antreten: Schüler in HanoiBild: DW/Peter Koppen,

Schulbücher so spannend wie ein Telefonbuch – das war bis vor kurzem Alltag für Vietnams Schüler. "Von oben links bis unten rechts eine einzige Bleiwüste", sagt Andreas Dernbach und schüttelt den Kopf. Der Deutsche berät die vietnamesische Regierung im Auftrag der Weltbank in Ausbildungsfragen. Und hat damit gut zu tun. Denn die Regierung will Reformen: neue Lehrbücher, neue Lehrpläne und eine moderne Pädagogik sind die Ziele.

Weg mit den Telefonbüchern...

Ganz grundsätzlich betrachtet, steht es um die Schulbildung in Vietnam sehr gut. Fast jedes Kind geht neun Jahre zur Schule, mehr als 90 Prozent der Bevölkerung kann lesen und schreiben. Die Probleme liegen im Detail. "Unsere Lehrpläne und Schulbücher haben sich als überholt erwiesen", sagt Dingh Quang Bao, Rektor der Universität für Pädagogik in Hanoi. Und zwar vor allem, weil sie nicht mithalten könnten mit der schnellen Entwicklung in Wissenschaft und Technik, meint der Rektor. Um bessere Bildung zu bieten, bringt die Regierung seit 2002 nach und nach neue Schulbücher in Umlauf: anschaulicher und interaktiver sollen die sein. Und bis Ende 2007 sollen sie alle "Telefonbücher" ersetzt haben.

... und Schluss mit dem Frontalunterricht

Neue Lehrpläne sorgen außerdem dafür, dass die Schüler mehr Unterricht bekommen: 25 statt 15 Wochenstunden in den Klassen 1 bis 5 zum Beispiel. Auch der Lernstoff ist jetzt anspruchsvoller. Schulanfänger lernen im ersten Jahr Addieren und Subtrahieren der Zahlen 1 bis 100, und nicht mehr nur wie bisher von 1 bis 10. Damit die Schüler bei der Reform nicht auf der Strecke bleiben, muss sich aber noch mehr ändern, findet Dingh Quang Bao: "Wir müssen das Lernen mehr auf die Schüler ausrichten, so dass sie ihre Fähigkeiten, selbständig zu lernen, verbessern und neues Wissen in Eigenregie erlernen." Der Pädagogikprofessor ist gegen den bislang üblichen Frontalunterricht, in dem Schüler alles mitschreiben ohne nachzudenken.

Nachhilfeboom und Studienplatzmangel

Die Eltern sind mit Teilen der Reform einverstanden. Aber sie machen sich auch Sorgen. Nguyen Minh Thuy hat eine 11jährige Tochter. Und weil die ihre Matheaufgaben in dem neuen Schulbuch jetzt ganz anders lösen soll, kann ihre Mutter ihr nicht mehr helfen. "Das bedeutet, dass wir einen Nachhilfelehrer anstellen müssen", sagt Nguyen Minh Thuy. Viele Eltern handhaben das so – vorausgesetzt sie können es sich leisten. Wohlhabende Eltern bezahlen hunderte von Nachhilfestunden, damit ihre Kinder es an die Uni schaffen.

Schüler in Hanoi Vietnam
Wissbegierige

Aber da liegt eine weitere Schwäche des vietnamesischen Bildungssystems. Vietnam sei eine Nation "begierig nach Wissen", sagt Dinh Quang Bao. Aber "die Begierde nach Wissen" sei "viel größer als die Kapazität der Regierung, die Nachfrage zu erfüllen." Jedes Jahr würden sich zwei Millionen Schulabgänger um einen Studienplatz bewerben. Doch nur jeder sechzehnte würde zugelassen. Dinh Quang Bao fordert deshalb, dass die Regierung mehr Geld in den (Aus-) Bau von Universitäten steckt.

Bildungsengpass in den Bergen


Bis zum Studium kommen viele Schüler in den entlegenen, ländlichen Regionen erst gar nicht. Doan Thi Lan ist froh, wenn sie seine Grundschule besuchen, vor allem die Mädchen. Doan Thi Lan ist Schuldirektorin in der Bergprovinz Hoa Binh. Hier gehen hauptsächlich Kinder der ethnischen Minderheiten Thai, Muong und Dao zur Schule. "Einige dieser Familien haben nicht einmal ein ordentliches Haus mit Wänden, die sie vor dem Wind schützen könnten", sagt Doan Thi Lan. Sie besucht die Familien, wenn die älteren Kinder mal wieder nicht zum Unterricht kommen, weil sie etwas zu Essen für ihre Geschwister auftreiben müssen. Die Schulwege sind oft viel zu weit und es gibt nicht genug Lehrer, die in der Bergregionen unterrichten möchten. Ein UNICEF-Projekt macht es in Hoa Binh möglich, lokale Lehrer mit speziellen Verträgen einzustellen. Doch für die entlegenen Provinzen Vietnams wird es besonders schwierig werden, mit dem Modernisierungsanspruch der Regierung mitzuhalten.