Viessmann verkauft Wärmepumpen-Sparte
26. April 2023Der hessische Heiz- und Klimatechnik-Konzern Viessmann Climate Solutions wird für zwölf Milliarden Euro in die USA verkauft. Die Gründerfamilie trennt sich damit vom Kerngeschäft ihres 106 Jahre alten Unternehmens, dem eine Schlüsselrolle bei der von der Bundesregierung forcierten Umstellung auf Wärmepumpen zum Heizen von Wohnungen zukommt. Viessmann Climate Solutions gehört künftig dem Klimaanlagen-Hersteller Carrier Global aus dem US-Bundesstaat Florida, wie die Unternehmen am Dienstagabend mitteilten. Die Familie Viessmann erhält 80 Prozent des Kaufpreises in bar und 20 Prozent in Form von Carrier-Aktien. Sie wird damit einer der größten Anteilseigner des US-Konzerns.
Konzernchef Max Viessmann zieht in den Verwaltungsrat von Carrier ein. "Wir können die weltweite Energiewende nur dann erfolgreich meistern, wenn Unternehmen global denken, handeln und zusammenarbeiten", sagte er. Mit dem Verkauf entstehe ein "zukunftssicherer globaler Klima-Champion". Betroffen sind 11.000 der 15.000 Viessmann-Mitarbeiter. An sie will die Familie 106 Millionen Euro als Sonderbonus ausschütten. Die Sparte erwartet im laufenden Jahr einen Umsatz von vier Milliarden Euro und einen operativen Vorsteuer-Gewinn (Ebitda) von rund 700 Millionen.
Carrier Global, bis 2020 ein Teil des US-Mischkonzerns United Technologies, will mit der Übernahme vor allem in Europa stärker werden. Bisher kommen rund 60 Prozent der Umsätze aus Nord- und Südamerika, nur knapp ein Viertel aus Europa.
Schwergewicht im deutschen Heizungsbau
Viessmann ist neben Bosch (Buderus) und Vaillant einer der größten Heizungs-Hersteller in Deutschland. Die Sparte steht für 85 Prozent der Umsätze. Das Kühltechnik-Geschäft für Supermärkte oder Krankenhäuser bleibt in den Händen der Familie.
Carrier setzt mit der Übernahme vor allem auf den Siegeszug der Wärmepumpe: Der Markt in Europa werde sich bis 2027 auf 15 Milliarden Euro verdreifachen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hält sie für die Wärmequelle der Zukunft, wenn die Energiewende nach seinen Vorstellungen das Aus für Gas- und Öl-Heizungen bringen soll. Vom nächsten Jahr an soll der Umstieg auf klimafreundlichere Heizungen forciert werden. Die Umsetzung ist aber in der Ampel-Koalition umstritten.
Schockwellen bis ins politische Berlin
Der Verkauf von Viessmann hatte bereits vor der offiziellen Bekanntgabe für politische Diskussionen gesorgt. Finanzminister Christian Lindner (FDP) sagte, Habeck müsse genau analysieren, warum das Unternehmen verkauft werde. Es dürfe keine Fixierung nur auf eine Technologie geben. Man müsse dabei auch an die Anpassungsfähigkeit der Firmen denken. Sie müssten bei der Gesetzgebung mitkommen. "Denn ein Gesetz ist schneller geändert als eine Produktionsstraße."
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kündigte mittlerweile an, den Verkauf der Viessmann-Wärmepumpensparte in die USA unter die Lupe nehmen. "Wir werden uns das Vorhaben im Rahmen der vorgesehenen Prüfschritte anschauen und sind im Gespräch mit dem Verkäufer und dem Investor, damit das Projekt unserer Wirtschaft und dem Standort Deutschland dient", sagte der Grünen-Politiker am Mittwoch.
Die Vorteile der deutschen Energiepolitik und Gewinne, die damit erwirtschaftet würden, müssten weiter dem Standort Deutschland zugutekommen. Gerade deutsche Unternehmen hätten die Wärmepumpentechnik vorangebracht, sagte Habeck.
Riesiger Kapitalbedarf
Viessmann hatte wegen der rasant steigenden Nachfrage seit Monaten versucht, neues Geld für den Hochlauf der Wärmepumpen-Produktion aufzubringen - rund eine Milliarde Euro, für die unter anderem ein Werk in Polen gebaut werden soll. "Zusätzliche Wachstumsmöglichkeiten müssen zusätzlich finanziert werden", hatte das Unternehmen im Februar erklärt. Das Vermögen von Max Viessmann und seinem Vater, Verwaltungsratschef Martin Viessmann wurde vom Manager Magazin zuletzt auf mehr als vier Milliarden Euro geschätzt.
Wiederholt sich das Schicksal der Solarbranche?
Die Amerikaner geben Viessmann bei dem Verkauf langfristige Garantien: Betriebsbedingte Kündigungen sind für drei Jahre ausgeschlossen, Allendorf im Bundesland Hessen bleibt für mindestens zehn Jahre Sitz des Unternehmens, die wichtigsten Produktions-, Forschungs- und Entwicklungsstandorte sind für fünf Jahre sicher. Carrier kommt damit auch politischen Forderungen nach: "Wichtig ist, dass durch das Investment der Standort Deutschland erhalten bleibt", sagte die Vizechefin der SPD-Bundestagsfraktion, Verena Hubertz.
Grünen-Co-Fraktionschefin Britta Haßelmann sagte, die Fehler beim Aufbau der Solarindustrie dürften sich nicht wiederholen. Sie war größtenteils nach China abgewandert, als die Subventionen in Deutschland wegfielen.
US-Konkurrent schluckte schon Linde-Kältetechnik
Das Unternehmen Carrier aus dem US-Staat Florida gilt als Erfinder der modernen Klimaanlage und wurde 1902 gegründet. Der Konzern beschäftigt 52.000 Menschen und erlöste im vergangenen Jahr 20,4 Milliarden Dollar. 60 Prozent des Umsatzes entfielen auf Nord- und Südamerika. Das Unternehmen verfügt in Europa über drei Produktionsstätten in Frankreich und Spanien. 2004 hatten die Amerikaner die Kältetechnik der damaligen Linde AG übernommen, später aber die Fertigung in Deutschland eingestellt.
Max Viessmann will mit dem Verkaufserlös das verbleibende Geschäft stärken, in dem der Konzern mit 400 Mitarbeitern rund eine Milliarde Euro umsetzt. Der Umsatz solle sich bis zum Ende des Jahrzehnts vervierfachen. Die Familie hat sich Technologie zur CO2-Vermeidung, CO2-Reduzierung und CO2-Speicherung jenseits des Wärmesektors auf die Fahnen geschrieben, um den Klimawandel zu bremsen. "Diesem Ziel folgend werden wir den nächsten Generationen ein Familienunternehmen übergeben, das stärker, breiter und vielfältiger sein wird als je zuvor", so Viessmann.
Wärmepumpen vor allem aus dem Ausland
Die für die Heizwende wichtigen Wärmepumpen werden nach Einschätzung von Experten künftig vor allem außerhalb Deutschlands gebaut. Schon vor dem Verkauf der Viessmann-Klimasparte an den US-Hersteller Carrier sei zunehmend im europäischen Ausland investiert worden, berichtet das Münchener Beratungsunternehmen S&B Strategy. Beispiele seien Werke von Bosch und Viessmann in Polen sowie von Vaillant in der Slowakei. Dort lockten schnellere Genehmigungsverfahren, geringere Energiepreise und niedrigere Lohnkosten.
Die asiatischen Hersteller produzierten heute schon wettbewerbsfähiger und könnten aufgrund der ähnlichen Technik zu Klimaanlagen weitere Synergien in der Wertschöpfung realisieren, schreiben die Analysten Florian Moll und Christoph Blepp.
Insbesondere für kleinere Heizungshersteller werde das Marktumfeld bei diesem Wettrüsten langfristig schwieriger. Sicher sei ein Anstieg der Importe zu erwarten. "Die Wärmepumpe wird deutlich internationaler sein als die klassische Gas- oder Ölheizung."
Für die Kunden werde der Wettbewerb langfristig niedrigere Preise bei den Geräten bringen, erwartet S&B. Wesentlicher Preistreiber bleibe aber die meist mit hohem Aufwand verbundene Installation. In den entsprechenden Gewerken herrsche weiter Fachkräftemangel. Die starke Bindung der Handwerksbetriebe an die Hersteller bleibe ein entscheidender Vorteil der heimischen Anbieter gegenüber der neuen Konkurrenz aus Asien. Diese erarbeite sich aber eine gute Position beim Elektro-Handwerk, das zunehmend die Installation von Wärmepumpen und Photovoltaik-Anlagen übernehmen könne.
tko/hb (rtr, dpa)