Vier Jahrzehnte DDR-Fotokunst
13. Oktober 2012In die Berlinische Galerie im Stadtteil Kreuzberg, nicht weit entfernt vom beliebten Jüdischen Museum, kommen am Wochenende normalerweise zwischen 300 und 600 Besucher am Tag. Am ersten Samstag und Sonntag im Oktober waren es zwischen 1600 und 1900: die neue Ausstellung "Geschlossene Gesellschaft. Künstlerische Fotografie in der DDR 1945-1989" war am Tag zuvor eröffnet worden. Kurator Ulrich Domröse freute sich über diesen Andrang, zeigte er doch, dass er und die drei anderen Kuratoren das richtige Gespür gehabt hatten. Solch eine Ausstellung, die um die 250 ganz unterschiedliche Werke von 34 Fotografen zusammenbringt, braucht dann auch keinen publikumswirksamen Jahrestag. Solch eine Ausstellung braucht nur ein schlüssiges Konzept, die richtige Auswahl und ein Hingucker-Plakat.
Zwischen Experiment und Abbild
Diesen letzten Part übernimmt Erasmus Schröters Aufnahme "Frau in Rot", die 1985 in Leipzig entstand. Seine schrille Bildsprache in Farbe, die uns heute völlig geläufig scheint, war damals neu, schräg, undurchsichtig. Warum der Blitz? Warum gerade diese Frau? Und überhaupt: Ist das Foto nun gestellt oder bildet es Realität ab? Ein Foto, das wie viele in der Ausstellung rätselhaft bleibt, dabei aber einen großen Reiz ausübt. Und genau darum geht es: Die Werke sollen nicht nur als Quellen genutzt werden für die ewige Frage nach dem Alltag in der DDR, sondern nach ihrem künstlerischen Eigenwert beurteilt werden.
Fokus auf dem Künstlerischen
Daher wurde auch der ganze angewandte Bereich wie Presse-, Mode- und Amateurfotografie weggelassen. "Wir haben uns ausschließlich auf die Fotografie als künstlerisches Ausdrucksmittel eingelassen. Auf Fotografen, die von vornherein, unter welchen Umständen auch immer, ihr Medium dafür benutzt haben, um Bilder zu machen über das, was ihnen durch den Kopf ging oder was ihnen auf der Seele lag", erklärt Domröse die Herangehensweise. Herausgekommen ist ein bislang ungekanntes Spektrum von spöttisch-trotzigen Selbstporträts - bis hin zu fast minimalistischen Stadtaufnahmen.
Einigen der ausgestellten Fotografen wurden in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten umfangreiche Einzelausstellungen und Publikationen gewidmet, Gundula Schulze Eldowy zum Beispiel. Ihre Arbeiten hier in diesem Miteinander und Gegenüber mit Kollegen zu sehen, ist sehr anregend. Gerade weil es sich bei dieser Überblicksausstellung nicht um das Zeigen einer bestimmten Schule oder einer bestimmte Strömung handelt. Die Künstler haben nur ihre Zeit gemeinsam und, dass ihnen die Fotografie ein Stück weit dabei geholfen hat, die Realität zu entdecken, zu verarbeiten oder auch auszuhebeln.
Zensiert oder entschärft
Wenn Gundula Schulze Eldowy, die hier mit einer Serie von unverkrampften Aktporträts in Schwarz-Weiß vertreten ist, von ihrer ersten öffentlichen Einzelausstellung in der DDR erzählt, dann tut sie das mit der ihr eigenen Leichtigkeit und schickt vorneweg: "Ich war immer ein verwöhntes Kind und sehr frech“. Zwei Stunden vor der Eröffnung wurde damals eine Sonderkommission von der Kreisleitung der regierenden Einheits-Partei SED geschickt, Abteilung Kultur. "Die waren so ergriffen von meinen Fotos, dass sie zu mir sagten: Wissen Sie, wir sollen die Ausstellung nicht schließen, wir sollen sie nur entschärfen. Jetzt helfen sie uns doch mal dabei, einige Fotos abzuhängen." Glück gehabt. Und Mut.
Sich bewusst vom Kollektiv zu lösen, eine eigene Meinung zu vertreten und diese auch bildlich festzuhalten - wie unterschiedlich das aussehen konnte in der DDR zwischen 1949 und 1989, das zeigt die Berlinische Galerie mit "Geschlossene Gesellschaft". Ein Großteil der Werke dafür stammt aus der eigenen Fotografischen Sammlung - das schmälert nicht den Wert der Ausstellung, sondern ist ein Kompliment an das Team um Ulrich Domröse, der bereits in den 1980er Jahren anfing, die zeitgenössische Fotografie der DDR zu kaufen und zu sammeln.