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Vielfalt in einer Hand

Ingun Arnold30. Januar 2003

AOL TimeWarner ist in höchster Not mit einem Rekordverlust von 100 Milliarden Dollar (2002) - und sucht verzweifelt einen Käufer für seine Buchsparte. Interesse hat ausgerechnet der größte Verlag der Welt: Random House.

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Random House ist Buchproduzent No. 1 in der WeltBild: AP

"Guten Morgen, wie geht’s? Und was ich Ihnen noch sagen wollte: Ihren Job macht in Zukunft eine andere." So oder so ähnlich könnte es gewesen sein, als Peter Olson, Aufsichtsratschef der Random House Inc., am 16. Januar 2003 bei Ann Godoff, Cheflektorin der Random House Trade Group, in der Bürotür stand. Damit hatte das amerikanische Feuilleton seinen Skandal und Random House die Konkurrenz im eigenen Hause los.

Damen-Opfer

Ann Godoff ist keine geringere als die Verlegerin von Zadie Smiths "White Teeth" (dt. "Zähne zeigen"), John Berendts "Midnight in the Garden of Good and Evil" (dt. "Mitternacht im Garten von Gut und Böse") oder auch Caleb Carrs "The Alienist" (dt. "Die Einkreisung"). Im vergangenen Jahr hat sie zwölf Titel auf die Hardcover-Bestsellerliste gebracht – mehr als jeder andere Verlag. Dennoch erreichte sie die Konzernvorgabe von sechs Millionen Dollar Umsatz nicht. Vergeblich setzte Godoff auf eine eigene Taschenbuchreihe – und schaffte sich obendrein Feinde. Taschenbücher der anspruchsvollen Art macht bei Random der Alfred A. Knopf-Verlag. Und nur er.

"At random" = dt. "blindlings, aufs Geratewohl"?

Random House Inc. ist ein Buch-Potpourri: Der literarisch ambitionierte Knopf-Verlag gehört genauso dazu wie Ballantine, wo Wühltisch-Thriller, Ratgeber für alle Lebenslagen und Kitschromane verlegt werden. Die literarisch ambitionierte Random House Trade Group soll nach dem Willen von Peter Olson bei "Ballantine Books" einverleibt werden: William Faulkner, Toni Morrison, Salman Rushdie und John Irving unter einem Dach mit "Lady of Desire", "Star Wars: Attack of the Clones" und "The Miracle of Magnesium"?!

"Jeder (Verlag) ist einzigartig, weil er in absoluter publizistischer Freiheit völlig unterschiedliche, eigenständige, nur an seinen Lesern orientierte Verlagsprogramme erstellt – unbeeinflusst von innen und außen", wird Peter Olson bei bertelsmann.de zitiert. Der Rauswurf von Ann Godoff lässt jedoch vermuten, dass intern ein anderer Ton die Musik macht.

Leistungsdruck im Entertainment-Konzern

Ballantine schreibt schwarze Zahlen und erreicht die von der Konzernleitung vorgegebenen Profitmargen. Das zählt. Random und seine mehr als 100 Verlage gehören zur Bertelsmann AG - dem größten Medienkonzern Europas. Und die Konzernzentrale erwartet von den Buchmachern nicht mehr und nicht weniger, als dass sie ähnlich erfolgreich agieren wie die Unterhaltungssparten des Bertelsmann-Konzerns, BMG (Bertelsmann Music Group) und RTL. Doch so einfach funktioniert der Buchmarkt nicht: Von den 8000 Titeln, die Random House 2002 herausgebracht hat, schafften es 182 in die Bestsellerlisten, 18 davon an die Spitze.

"Bestseller zu kreieren, ist ein schwer zu durchschauender Mechanismus. Machmal ist das Marketing entscheidend, manchmal die Mundpropaganda der Leser, manchmal das letzte Wort des Lektors", sagt Anja zum Hingst vom Börsenverein des deutschen Buchhandels. Dabei jonglieren die Verlage mit Millionen: Mittlerweile wird kein Buch mehr zum Jahresbestseller gekürt, das "nur" ein paar hunderttausend Mal über den Ladentisch gegangen ist.

Immer mehr Bücher aus nur einer Hand

Zur Buchsparte von AOL Time Warner gehören die Verlage Little, Brown & Company und Warner Books - zusammen die fünftgrößte Verlagsgruppe der USA. Der Umsatz beträgt rund 320 Millionen Dollar. Ein Verkauf würde AOL die gleiche Summe bringen: Ein Tropfen auf den heißen Stein bei 26 Milliarden (!) Dollar Schulden.

Wenn der Deal aufgeht und AOL seinen Verlag tatsächlich an Random House losschlägt, dann ist der Bücher-Riese endgültig konkurrenzlos auf dem amerikanischen Markt. Erst 1998 hatten die Gütersloher "Bertelsmänner" das Unternehmen gekauft - Branchenprimus war Random damals schon. Der Marktanteil des Unternehmens in Amerika wird zwischen zehn und 25 Prozent angegeben - je nach Zählweise.

Je weiter die Konzentration fortschreitet, um so mehr fürchten Schriftsteller und Literaturexperten das drohende Übergewicht an publikumswirksamen Verkaufsschlagern und anderer leicht verdaulicher Lesekost in den Buchregalen. Doch wer den Markt dominiert, der kann auch die Konditionen diktieren. Inhaltlich und wirtschaftlich.