Verzweiflung in Griechenland
13. Mai 2016Seit 45 Tagen wartet Mahmoud Alo auf der griechischen Insel Chios. Der junge Syrer aus Damaskus wollte wie seine Mutter und drei Brüder nach Norddeutschland. Doch kaum in Griechenland angekommen, steckte man ihn in eine Art Gefängnislager namens Vial.
Die Türen des Camps sind zwar mittlerweile für Menschen, die seit mehr als 25 Tagen dort sind, offen, aber das ändert nicht viel. "Es ist eine Insel, da kommt man nicht weit", sagt Alo. Manchmal gehe er zum nächstgelegenen Dorf, um Essen zu kaufen. Denn das, was er im Camp bekommt, sei furchtbar. "Die Umstände in den Camps sind schrecklich", sagt Maria Lavida, Sprecherin der Hilfsorganisation Ärzte der Welt. Sie befindet sich derzeit in dem Flüchtlingslager Souda in der Stadt Chios. "Ich habe aber auch Informationen über Vial, und da ist es ähnlich. Die Camps sind überfüllt, Hygiene ist kaum vorhanden, und es gibt keinen Platz mehr für Neuankömmlinge."
Falsche Informationen
Doch wie kommt es, dass sich Menschen trotz geschlossener Grenzen und miserabler Bedingungen noch immer auf den Weg nach Griechenland machen? "Den Flüchtlingen wird in der Türkei gesagt, dass die Grenzen noch offen und die Umstände einwandfrei sind. Sie schicken sie einfach nach Griechenland", sagt Lavida.
So ähnlich war es auch bei Alo. "Ich wusste, dass die Grenzen dicht sind, aber mir wurde gesagt, dass das nicht auf Syrer zutrifft. Ich dachte, ich könnte weiterreisen, vor allem, weil ich bereits Familienmitglieder in Europa habe." Als das nicht der Fall war, beantragte Alo Asyl. Das ist jetzt etwa 35 Tage her. "Ich habe eine Nummer bekommen, aber mich hat nie wieder jemand angerufen. Ich habe keinerlei Informationen darüber, wann und wie es weitergeht." Im Camp wird viel darüber spekuliert. Professionelle Informationen von den Behörden gebe es nicht.
Warten auf Asyl
Mohammad Karim Toryalai aus Afghanistan hatte besonders viel Pech. "Ich war der erste im Camp." Er kam direkt nach dem EU-Türkei-Deal auf Chios an, nachdem er einen Monat lang über Pakistan, den Iran und die Türkei gereist war. Doch zumindest wurde sein Asyantrag relativ zügig bearbeitet. Je mehr Leute nach Vial kamen, desto überforderter waren die Beamten. "Wir haben hier nur zwei Personen, die die Gespräche führen. Zwei Personen für 2000 Leute. Wenn das so weitergeht, müssen die Menschen noch sechs Monate oder ein Jahr lang hier ausharren", sagt Toryalai. Dafür sei das Camp auf keinen Fall geeignet. Bei so vielen Flüchtlingen aus unterschiedlichen Ländern gebe es auch regelmäßig Auseinandersetzungen unter den Bewohnern. Toryalais Onkel und sein Cousin seien nach ihm in Vial angekommen. Sie warten noch auf ihre Gespräche.
Verzweifelte Fluchtversuche
Bei der Warterei scheint der Weg zurück in die Türkei für einige doch eine Option zu sein. Alo sagt, dass er heute von sechs oder sieben Familien gehört habe, die zurück in die Türkei gehen wollen, um von dort aus einen anderen Weg nach Mitteleuropa zu finden. Wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet, versuchten Anfang der Woche einige Flüchtlinge sogar, die 15 Kilometer weite Strecke von Chios zur türkischen Küste zu schwimmen. Die fünf Marokkaner und ein Algerier waren besonders verzweifelt, da sie keine Chance auf Asyl hatten. Seenotretter zogen die Menschen wieder an Bord, sie hätten leicht umkommen können.
Offizielle Rückführungen in die Türkei hat es in Chios seit Anfang April nicht mehr gegeben, sagt Lavida. Sie glaubt, dass die türkische Regierung den Stopp als Druckmittel einsetzt, um ihre Forderung nach Visabefreiung bei der EU durchzubekommen. Viele Flüchtlinge in Chios seien auch nicht bereit, in andere Camps des Landes zu gehen, weil sie Angst hätten, es könne ein Trick sein, sie doch abzuschieben.
Um all das muss sich Toryalai jetzt keine Sorgen machen. "Ich habe gerade meine offizielle Asyl-Genehmigung erhalten. Jetzt kann ich nach Athen gehen. Da werden sie mir neue Unterlagen geben." Er hofft, dass seine Familie bald nachkommen kann. Bis dahin heißt es: abwarten.