Anonyme Geburt
13. März 2013Der Bauch wächst, doch die werdende Mutter will es einfach nicht wahrhaben. Ein Baby - das empfindet sie in ihrer Lebenslage als Katastrophe. Weil es vielleicht nicht das Kind ihres Ehemannes ist, weil das Geld für ein weiteres Familienmitglied nicht reicht oder weil der Zeitpunkt einfach falsch zu sein scheint.
Es gibt solche Notsituationen immer wieder, auch in wohlhabenden Gesellschaften mit zahlreichen Angeboten und Beratungsstellen für Familien, für Schwangere, für Mütter. "Diesen schwangeren Frauen erscheint ihre Situation unerträglich und sie schaffen es nicht, bis zur Geburt eine Lösung zu finden", weiß Monika Kleine, Geschäftsführerin beim Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) in Köln.
100 Babyklappen in Deutschland
Oftmals kommen diese Kinder im Verborgenen zur Welt, "in einem Keller, auf einer Toilette oder in einer Gartenlaube, unter größter Angst und ohne medizinische Hilfe", so Monika Kleine. Damit die Mütter in ihrer Verzweiflung die Kinder nicht aussetzen oder gar töten, gibt es in Deutschland knapp 100 Babyklappen. Seit dem Jahr 2000 wurden hier schätzungsweise mehrere hundert Babys anonym abgelegt.
Eine solche Babyklappe gibt es auch in Köln. In einem Problemviertel der Stadt betreibt der Sozialdienst katholischer Frauen das Haus Adelheid, eine rund um die Uhr besetzte Mutter-Kind-Einrichtung. An der Nebenseite des Gebäudes führt ein von Stahlwänden abgeschirmter Weg zum Moses-Baby-Fenster, wie die Babyklappe hier genannt wird.
Hinter der Scheibe kann das Kind auf ein Lammfell gelegt werden, eine Heizung wärmt von unten. "Sobald hier ein Baby liegt, bekomme ich einen Alarm auf das Handy", sagt Mitarbeiterin Katrin Lambrecht. Vor einem Jahr war das der Fall. "Der Alarm geht los und das Herz steht still", erinnert sie sich. Im Moses-Fenster fand sie danach ein kleines Mädchen.
Ethikrat kritisiert anonyme Kindesabgabe
Innerhalb von zwölf Jahren wurden in der Kölner Babyklappe 19 Kinder abgelegt. Manche der Mütter meldeten sich später, doch die meisten Moses-Kinder werden nie erfahren, wer ihre Eltern sind. Das bleibe eine Leerstelle in ihrem Leben, weiß SkF-Geschäftsführerin Kleine. Deshalb sei es so wichtig, die Kinder und ihre aufnehmenden Familien zu betreuen und ihnen beispielsweise anzubieten, das Moses-Fenster zu besuchen. Die ersten Kinder waren schon da - und das seien anrührende Momente gewesen: "Manche Kinder wollen das Babyfenster nur sehen, andere legen sich sogar hinein."
Nichts zu wissen über die eigene Herkunft, das kann eine große seelische Last sein. Das Bundesverfassungsgericht hat schon 1989 deutlich gemacht, dass jeder Mensch ein Recht hat, die eigene Abstammung zu kennen. Vor drei Jahren kritisierte der Deutsche Ethikrat die Praxis der anonymen Kindesabgabe und forderte die Bundesregierung auf, nach einer gesetzlichen Lösung für Schwangere in Notsituationen zu suchen. Sowohl die Babyklappen als auch die anonyme Geburt, die in 130 Krankenhäusern in Deutschland möglich ist, sind nicht per Gesetz geregelt - beide Angebote werden rechtlich nur geduldet.
Studie des Deutschen Jugendinstituts
"Die Babyklappe ist das schlechteste Angebot, das man Mutter und Kind machen kann", sagt Monika Bradna vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München. Sie hat eine große Studie über anonyme Kindesabgabe betreut. Ergebnis: Es gibt keine einheitlichen Standards für Babyklappen in Deutschland, etwa wann ein gefundenes Kind den Behörden gemeldet und zur Adoption freigegeben werden muss. "Teilweise wissen die Träger der Babyklappen heute nicht mehr, was aus den Kindern geworden ist", bemängelt Bradna. Es werde auch nicht zentral erfasst, wie viele Säuglinge überhaupt anonym abgegeben werden.
Bundesfamilienministerin Kristina Schröder von der CDU will die Babyklappen zwar vorerst nicht abschaffen - aber möglichst überflüssig machen: mit einem Gesetz zur sogenannten vertraulichen Geburt, das das Kabinett an diesem Mittwoch (13.03.2013) auf den Weg gebracht hat. Danach können Frauen ihr Kind im Krankenhaus anonym zur Welt bringen. Ihre persönlichen Daten werden 16 Jahre lang in einem verschlossenen Umschlag bei einer zentralen Behörde aufbewahrt - dann soll das Kind die Möglichkeit bekommen, den Namen der Mutter zu erfahren.
Einladung zum Elendstourismus?
Kritiker bemängeln allerdings, dass die Frauen ein Widerspruchsrecht bekommen sollen: Die Kinder erfahren den Namen der Mutter nur dann, wenn sie zustimmt. Aus Sicht der Kinder sei das eine unbefriedigende Lösung, bemängelt Monika Kleine vom Sozialdienst katholischer Frauen. Rechtssicherheit gebe es damit nur für die Frauen, nicht aber für die Kinder.
Obendrein befürchtet Kleine, dass über den Weg der gesetzlich garantierten vertraulichen Geburt die Tür geöffnet werde für die anonyme Geburt. "Das ist dann ja auch eine Einladung, dieses Gesetz zu nutzen, um unter medizinisch gut behüteten Umständen das Kind zur Welt zu bringen und wieder zu verschwinden." Es gebe schon jetzt einen Elendstourismus, insbesondere aus Osteuropa, der durch ein solches Gesetz noch verschärft werden könne.
Keine Statistik über die Tötung von Neugeborenen
Gut findet Monika Kleine allerdings, dass die Bundesregierung den Nutzen der Babyklappen überprüfen will. Auch Monika Bradna vom Deutschen Jugendinstitut in München hält das für notwendig. "Wir brauchen einheitliche Regeln für alle Angebote der anonymen Kindesabgabe, auch was die Qualität der Beratung betrifft." Das Argument, Babyklappen und anonyme Geburt zu dulden, um Leben zu retten, reicht ihr nicht: "Wir wissen gar nicht, ob mit diesen Angeboten tatsächlich Leben gerettet werden."
Denn bisher gibt es in diesem Bereich keine amtliche Statistik: Es ist völlig unklar, ob seit Einführung der Babyklappen in Deutschland weniger Babys ausgesetzt oder getötet werden. Es könnte auch sein, dass die Angebote der anonymen Kindesabgabe die Nachfrage erst wecken. Möglicherweise kommen Mütter, die ihr Kind sonst behalten oder zur Adoption freigegeben hätten, durch die Babyklappen erst auf die Idee, ihr Neugeborenes dort abzugeben.