Versteckter Fundamentalismus in Afghanistan
14. Mai 2005Immer öfter melden sich in letzter Zeit in den afghanischen und pakistanischen Medien ehemalige hohe Funktionäre der Taliban-Milizen zu Wort. Sie versuchen den Eindruck zu erwecken, mit der afghanischen Regierung "Friedensverhandlungen" aufnehmen zu wollen. Gleichzeitig gehen sie - zumindest verbal - auf Distanz zum Terror-Netzwerk von El-Kaida. Diese Bemühungen tragen offensichtlich Früchte: Sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan werden Versuche beobachtet, bestimmte Taliban-Funktionäre politisch salonfähig zu machen.
Ein harter Kern kämpft weiter für einen Gottesstaat
Seit Ende 2001, als die Taliban aus den Großstädten Afghanistans vertrieben wurden, versucht ein harter Kern der Milizen, durch gezielte Anschläge im Osten und Süden - vor allem in den Grenzgebieten zu Pakistan - das Land am Hindukusch zu destabilisieren. Sie machen dabei keinen Hehl daraus, dass sie nach wie vor mit allen Mitteln für die Wiedererrichtung des so genanten "Islamischen Emirats", wie sie einst Afghanistan nannten, kämpfen.
Ihr politischer Radikalismus und religiöser Fanatismus sind
nicht vergessen. Durch die Politik der verbrannten Erde und der ethnischen Säuberungen haben die Taliban das Land ruiniert und religiöse Animositäten unter den Volksgruppen erst heraufbeschworen. Nicht zu vergessen ist auch die Tatsache, dass die Taliban-Milizen durch aktive Zusammenarbeit mit ihren religiösen Verbündeten, dem Terror-Netzwerk von El-Kaida, Afghanistan zur Brutstätte des internationalen Terrorismus gemacht haben.
Karsai: Die Taliban sind "Söhne des Landes"
Umso erstaunlicher ist, dass Wakil Ahmad Mutawakil, der einst mächtige Außenminister des "Islamischen Emirats", nun seine Version der Entwicklung in Afghanistan offensiv vortragen kann. Ganz überraschend hat die Regierung in Kabul jetzt bestätigt, dass sich Mutawakil zusammen mit weiteren hohen Taliban-Funktionären auf Staatskosten in der Hauptstadt aufhält. Um die politischen Gemüter zu besänftigen, ließ Präsident Hamid Karsai erklären, dass bis auf einen harten Kern von etwa 150 Funktionären, die als Verbrecher gelten, die Taliban als "Söhne des Landes" anzusehen seien. Dies wird in Kabul so interpretiert, dass einer Zusammenarbeit mit angeblich "gemäßigten" Funktionären der Milizen nichts im Wege stehe.
Mutawakil ist das Sprachrohr von Mullah Omar
Mutawakil in die Reihe der "Gemäßigten" einzuordnen, wie die Regierung Karsais es offensichtlich tut, ist in vielfacher Hinsicht fragwürdig. Als eloquenter Sprecher des Mullah Omar, des Chefs der Taliban, ist Mutawakil schon immer das Sprachrohr seines pressescheuen Herrn gewesen. Als hoher Funktionär der Taliban war Mutawakil an allen Entscheidungen des "Islamischen Emirats" beteiligt. Damit ist er indirekt für eine ganze Reihe von Verbrechen verantwortlich. Hinzu kommt, dass er als Außenminister entscheidend dazu beigetragen hat, dass sich Osama Bin Laden in Afghanistan niederlassen und seine weltweiten Operationen von afghanischem Boden aus organisieren konnte.
Der Versuch, Mutawakil salonfähig zu machen, stieß in der
afghanischen Öffentlichkeit auf heftige Reaktionen. Latif Pedram, der Vorsitzende der Partei des Nationalen Kongresses Afghanistans, äußerte sich sehr kritisch über ihn: "Herr Mutawakil zählt zu den höchstgestellten Taliban-Funktionären und als solcher war er verantwortlich für die Politik der verbrannten Erde, für Hinrichtungen von Frauen und für Gewalt gegen Frauen."
Frauen als Leidtragende der Taliban-Zeit
Im Zusammenhang mit den Hinrichtungen, die zur Zeit der
Taliban-Herrschaft mehrmals in der Woche im Kabuler Sport-Stadion stattgefunden hatten, sagte damals Mutawakil kaltblütig, wenn es den westlichen Ländern nicht gefalle, sollen sie eine neue Hinrichtungsstätte für Frauen finanzieren, um die Tötungen dorthin zu verlagern.
Nadjia Hanafi, Sprecherin des "Vereins der afghanischen Frauen für die Partizipation an der Politik" sagt in einem Gespräch mit der Deutschen Welle, der Staat, dessen Präsident demokratisch gewählt wurde, habe das Vertrauen der Bevölkerung missbraucht. "Leute, die jahrelang Menschen im primitiven Zustand gehalten haben, werden von der Regierung mit Nachsicht behandelt und es werden sogar Gespräche mit ihnen geführt. Durch die Beteiligung der Taliban-Milizen an der Macht wird der Fundamentalismus erstarken und die Demokratie darunter leiden", sagt Hanafi.
Keine strategische Gefahr
Dabei sind die Taliban in den letzten Jahren kontinuierlich schwächer geworden. Eine kleine Gruppe hat zum ersten Mal die Autorität des Mullah Omar in Zweifel gezogen und sich abgespalten. Andere ehemalige Amtsträger haben im Rahmen der allgemeinen Amnestie ihre Waffen niedergelegt und sich ergeben. Andere wiederum kehrten still ins Zivilleben zurück. Die Taliban stellen nun in ihrer Gesamtheit keine strategische Gefahr mehr für Afghanistan dar. Das heißt allerdings nicht, dass die Gefahr der Destabilisierung ganz gebannt ist, wie die jüngsten Anschläge zeigen.