EU stärkt Grenzbehörde Frontex
6. Oktober 2016EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos (Artikelbild, re.) hatte sich den Übergang "Kapitan Andreevo" an der türkisch-bulgarischen Grenze ausgesucht, um die erweiterte Grenzschutz-Behörde Frontex vorzustellen. An dieser EU-Außengrenze waren die EU-Grenzschützer auch bisher schon im Einsatz. Jetzt soll das Grenzmanagement noch besser werden, versprach der bulgarische Ministerpräsident Boiko Borissow beim gemeinsamem Pressetermin. Damit ist gemeint, dass die Grenzzäune zwischen Bulgarien und der Türkei länger und höher und mit Hilfe von Frontex besser bewacht werden. Modernste Kameratechnik kommt zum Einsatz. Migranten sollen gezwungen werden, reguläre Grenzübergänge zu nutzen, sich registrieren zu lassen und an Ort und Stelle Asyl zu beantragen. Die illegalen Grenzübertritte über die grüne Grenze, wie sie im letzten Jahr zu Hunderttausenden in Bulgarien und vor allem in Griechenland und entlang der Balkanroute erfolgt sind, sollen unterbunden werden.
Keine Festung
"Es geht nicht um eine Festung Europa", wies EU-Kommissiar Dimitris Avramopoulus Vorwürfe von Flüchtlings-Aktivisten zurück. "Die Tür bleibt offen für die, die wirklich Schutz brauchen." Kommen sollen aber nur noch wirklich politisch Verfolgte oder Kriegsflüchtlinge. Offensichtliche Wirtschafts-Migranten will man auch mit Hilfe von Frontex schneller erkennen und in ihre Heimatländer zurückschicken. "Den Begriff 'Festung Europa' sollten sie einmal googlen", empfahl Avramopoulos seinen Kritikern. Der Begriff stammt aus der Propaganda des Zweiten Weltkrieges und wurde hauptsächlich von den Nazis, aber auch von Großbritannien verwendet. "Europa wird niemals eine Festung sein", versprach Avramopoulus. Allerdings geht es um mehr Abschreckung. Migranten sollen durch stärkeres Grenzmanagement und lückenlose Kontrollen davon abgehalten werden, die Reise überhaupt zu wagen. Schleppern soll ihr Geschäftsmodell zerstört werden. "Wir wollen keine Wirtschafts-Migranten mehr hineinlassen", sagte der bulgarische Ministerpräsident Boiko Borissow. "Das hier ist unsere letzte Chance, die Grenzen zu sichern." Nur mit einer geregelten Außengrenze sei es möglich, den Reiseverkehr ohne Personenkontrollen in der Schengen-Zone wieder unbeschränkt zu zulassen.
Reserve für alle Fälle
Die neue aufgepumpte Frontex-Behörde soll den EU-Mitgliedsstaaten bei dieser Aufgabe helfen, den Grenzschutz aber nicht selbst übernehmen. Die künftig 1000 Frontex-Beamten, statt bisher 450, sollen die Mitgliedsstaaten beraten, Risikoanalysen erstellen, die Grenzschutzbehörden der Mitgliedsstaaten Stresstests unterziehen und eine schnellere Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern sicherstellen. Die 1500 Grenzschutz-Beamten, die Frontex als Eingreif-Reserve unterstellt werden, sollen nur im absoluten Krisenfall innerhalb von drei Tagen ausrücken können. Die Grenzschützer bleiben in ihren Heimatländern auf Abruf und werden auch nur mit Zustimmung des betroffenen Mitgliedslandes tatsächlich an irgendeiner Grenze eingesetzt.
"Historischer Tag"
"Die Grenze des einzelnen Staates ist die Grenze aller", meint EU-Migrations-Kommissiar Avramopoulos. Frontex plus zeige, dass die Mitgliedsstaaten solidarisch handeln könnten. Deshalb sei der Arbeitsbeginn der erweiterten Behörde geradezu "historisch". Obwohl sie sich bei der Verteilung von Flüchtlingen nicht einigen konnten, können sie bei der Abschottung der Außengrenzen zusammenarbeiten. "Alle Staaten haben erkannt, dass wir hier Defizite hatten", so Avramopoulos. Weil sich alle einig waren, sogar Deutschland und Ungarn, ging die Einrichtung der aufgepeppten Frontex-Behörde nach EU-Maßstäben rasend schnell vor sich: nur neun Monate brauchte das Gesetzgebungsverfahren.
Seegrenze ist das Problem
Der Chef der Frontex-Behörde mit Sitz in Warschau, Fabrice Leggeri, glaubt, dass er mit mehr Personal und mehr finanziellen Mitteln die Qualität der Grenzkontrollen verbessern kann. "Zum ersten Mal gibt es auch die Bereitschaft, bei den Kontrollen auf See zusammenzuarbeiten", sagte Leggeri am Grenzübergang in Bulgarien. Die bereits laufende Mittelmeer-Mission "Triton" zwischen Libyen und Italien werde fortgesetzt und ausgebaut, versprach Leggeri. Heute hat Frontex dort bereits 18 Schiffe und über 500 Offiziere im Einsatz. Die Mannschaften sind aber nicht damit beschäftigt, die Seegrenze abzuriegeln, sondern Migranten auf den Booten aus dem Meer zu retten und nach Italien zu bringen.
Die Sicherung der Seegrenze gelingt aus der Sicht der EU noch nicht wirklich. In diesem Jahr kamen bislang knapp 130 000 Migranten über das Meer nach Italien, fast genauso viele wie im vergangenen Jahr. "Italien ist unter Druck. Wir werden Italien beistehen, wenn Italien uns sagt, was es braucht", versprach EU-Kommissar Avramopoulos. Griechenland hat bereits einen Antrag auf eine neue Frontex-Mission gestellt. Die griechische Regierung möchte gerne, dass EU-Beamte die Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien, also den Beginn der Balkanroute, sichern helfen.
Fünfsterne-General
Bis die neue Grenzschutz- und Küstenschutzagentur vollständig funktioniert, wird noch einige Zeit vergehen, kündigte deren Chef an. Das komplette Personal wird erst im Jahr 2020 eingestellt sein. Die 1500 Notfall-Grenzschützer sollen Anfang kommenden Jahres zur Verfügung stehen. Es gebe einen festen Schlüssel pro Land für die Gestellung dieser Reserve, sagte Leggeri. Er sei zuversichtlich, dass die Mitgliedsstaaten sich auch an ihre Zusagen halten würden. Bislang war Frontex immer darauf angewiesen, für jede Mission Personal in den europäischen Hauptstädten zu erbitten. Für die Eingreiftruppe wird Deutschland 225 Beamte abordnen.
"Sie werden hiermit zum Fünfsterne-General befördert", scherzte der EU-Kommissar, an den verdutzten Behördenchef Leggeri gewandt, und tätschelte ihm die Schulter. Die neue Frontex-Behörde habe jetzt gewaltige Aufgaben und natürlich viel mehr Personal und Geld. "Wir werden unsere neue Macht nutzen, um unsere Außengrenze effektiver zu schützen", versprach Leggeri. Ihm sei es auch wichtig, die Datenbanken für Grenzkontrollen zusammenzuführen. Außerdem soll es ein Ein- und Ausreisekontrollsystem auch für EU-Bürger geben.